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Zeitschrift für christliche Kunst — 2.1889

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Münzenberger, Ernst F. A.: Merkwürdige alte Tafelmalereien im Welfen-Museum zu Hannover
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https://doi.org/10.11588/diglit.3570#0130

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215

1889.

ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST

Nr. 7.

216

Quod in ea natunt est, de spiritu sancto est
(Matth. 1, 20), Markus: Hie est filius carissimus.
hunc andite, (Mark. 9, 6), Lukas: Videamus hoc
verbum quod factum est, quod dominus osteudit
nobis (Luk. 2, 15) und Johannes: In prineipio
erat verbum (Joh. 1, 1). Aus diesem Trichter
windet sich dann ein Band hervor, auf dem die
Worte verzeichnet sind: Et deus erat verbum.
Darunter halten die vier Kirchenväter einen
Kelch, in dem man das für uns flehende Jesus-
kind wahrnimmt. Ueber seinem Haupte steht:
Et verbum caro factum est. Zu beiden Seiten
des Trichters stehen je sechs Apostel, zur Rech-
ten zuerst Petrus, zur Linken zunächst Johannes;
sie halten die Kurbel, durch welche die Mühle
gedreht wird, in den Händen. Unter ihnen
knieen zu beiden Seiten der Kirchenväter Hei-
lige, zur Rechten der erstem St. Franziskus mit
den Wundmalen und mit der Legende: Salvator
noster dilectissimus hodie natus est: gaudeamus;
und zur Linken der dem Franziskanerorden
angehörige hl. Bischof Ludwig von Toulouse
(„Lodewicus") mit dem Spruchband: Natifitas
(sie) tua gaudium annuniiavit universo mundo.

Die dieser Symbolik hier zu Grunde liegende
Gedankenverbindung ist etwa diese: Gott Vater
sendet aus unendlicher Liebe seinen eingebore-
nen Sohn als unsern Heiland. Er läfst Maria
die wunderbare Geburt Christi durch den Engel
verkündigen, und das Evangelium ist die frohe
Botschaft, dafs dieser Verkündigung zufolge der
Heiland wirklich Fleisch angenommen hat, dafs
er herabgekommen ist auf diese Welt und dafs
im hl. Sakramente diese seine Herabkunft fort-
dauert. Die Apostel sind es, die als Boten und
Zeugen des Herrn der ganzen Welt das Ge-
heimnifs von Bethlehem verkündigen, und die
Kirche, versinnbildet durch die grofsen Kirchen-
lehrer, ist es, die allezeit diesen Schatz gött-
licher Offenbarung bewahrt und die Geheimnisse
des Glaubens, namentlich das hh. Altarssakra-
ment, verwaltet. Sie verkündet auch die Freude
durch die Menschwerdung des Gottessohnes
allen Zeiten, und ihre Heiligen, dargestellt durch
zwei Hauptpatrone des Franziskanerordens, sind
mit den Kirchenvätern die hauptsächlichsten
Verkündiger jener Freude, die aus der Mensch-
werdung unseres Herrn und aus der Erlösung
durch ihn allen Geschlechtern zufliefsen soll.

Das Symbol der Mühle ist in diesen alten
mystischen Darstellungen wohl deshalb gewählt,
weil durch sie die Gottesgabe des Getreides

uns zur täglichen, nothwendigsten Nahrung
umgewandelt wird; so wird auch das Gröfste
und Erhabenste, was die göttliche Liebe uns
spendet, das Wort, das im Anfange war, ver-
mittelst der Menschwerdung, seiner Lehre und
seiner Gegenwart im hl. Abendmahl die er-
habenste Speise unserer Seele. Das Evangelium
aber verkündet uns die frohe Botschaft des
Heils und die Kirche überliefert uns seine Lehre,
und bereitet uns das Mahl der Liebe. Das
auf den ersten Blick sehr ungewöhnlich er-
scheinende Bild der Mühle wird gleich sein
Absonderliches und Ueberraschendes verlieren,
wenn wir uns daran erinnern, dafs es eigentlich
auf einem Worte des Herrn beruht, da er bei
Joh. VI, 51 von sich sagt: „Ich bin das lebendige
Brod, das vom Himmel herabgekommen ist."
Dafs übrigens schon in ältester christlicher Zeit
das Symbol der Mühle als das einer geheimnifs-
vollen Umwandlung aufgefafst worden ist, zeigt
jener erhabene Satz des hl. Märtyrers Ignatius
in seinem Briefe an die Römer, wo er darauf
hinweist, dafs der Tod durch die Zähne der
Raubthiere für ihn wie eine Mühle wirken müsse,
durch die er geistig umgewandelt werde, und
wo er dann seine Aufnahme durch Christus
mit dem weitern Bilde des Brodes bezeichne!:
Frumentum Christi sunt; deniibus bcstiaruin
molar, ut panis Christi inveniar. —■ Das Bild
oberhalb der hl. Mühle stellt den zwölfjährigen
im Tempel lehrenden Heiland vor. Die grofse
Thatsache der Menschwerdung erhält in der
Lehre des göttlichen Erlösers ihren erhabensten
Ausdruck.

Die Vollendung aber des ganzen Erlösungs-
werkes ist der Tod und die Auferstehung des
Herrn. Dies ist der Gedanke des dritten Bildes,
des untern auf dem rechten Flügel. Weil aber
hier diese Geheimnisse im engsten Zusammen-
hang mit demjenigen der Menschwerdung vor-
geführt werden sollen, wird in einer Weise, die
in Deutschland wenigstens unseres Wissens sonst
sich nicht mehr findet, die Gottesmuttei
gewissermafsen als Verkündigerin des wirklichen
Todes und der wahren Auferstehung ihres gött-
lichen Sohnes dargestellt, sowie auch die K"'
chenväter oft von ihr als dem Hauptzeugen fi'1
die wirkliche Menschwerdung Christi sprechen-
Maria sitzt als Schmerzensmutter in der Mitte>
und trägt auf ihrem Schoofse eine Art von Sar-
kophag, in dem der Leib ihres geliebten Kindes,
in Leinen eingewickelt, sichtbar ist. Mit


 
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