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Zeitschrift für christliche Kunst — 2.1889

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Ditges, A.: Stickerei aus dem Schreine der hl. Ewaldi in St. Kunibert zu Köln
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https://doi.org/10.11588/diglit.3570#0185

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317

1889.

ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 10.

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eine Beherrschung der Kunstmittel und eine
geistige Durchdringung der gestellten Aufgabe, wie
sie nur zur Zeit hoher Kunstblüthe sich findet.

Bei der Frage nach der ursprünglichen Be-
stimmung der Stickerei sollte man einen Finger-
zeig in der Umschrift des reichern Bildes ver-
muthen. Wortstellung und rhythmischer Fall
weisen anf einen oder mehrere daktylische Verse
hin. Liest man von oben, so ergeben sich
Stücke von zwei Hexametern: Populus qui con-
spicit omnis Arte laboraium. Lesen wir nun quc
oder, was sicherer ist, qui, so scheint das Ganze
ein Bruchstück aus einer fortlaufenden Inschrift
zu sein, die eine Bilderreihe umrahmte und ver-
band. Der Anfang des zweiten Hexameters findet
sich in Virgil's Aeneis Ges. I Vers 639, wo es
vom Hause des Dido heifst: At domus inferior
regali splendida luxu Inslruitur, mediisque
parant convivia tectis: Arte lab o rata vestcs
ostroque superbo; Ingcns argcntum mensis cet.
Der Vers aus Virgil mag dem Schreiber im
Ohre gelegen haben, ohne dafs er ihn absicht-
lich entlehnte. Jedenfalls ist ein Selbstruhm
der Stickerei als kunstreiches Purpurgewebe zu
geistlos, um Annahme zu finden. Forschen wir
aber nach einer Reihe von Bildern, so liegt es
nahe, an eine Darstellung des Sechstagewerkes
zu denken, an die Wunder der Schöpfung, die
alles Volk auffordern, bewundernd anzuschauen,
was Gott mit Weisheit geschaffen. Professor
A. Bodewig schlägt vor zu lesen: Arte labo-
ratum (est), populus quia conspicit omnis. Wir
hätten dann einen regelrechten Hexameter mit
einem allerdings elliptisch ausgesprochenen Ge-
danken. „Es ist die Schöpfung (die Stickerei)
mit Kunst gefertigt; denn alles Volk beschaut es."
Qui als Abbreviatur für quia wäre nichts Un-
gewöhnliches, und quia statt quod oder quare
dürfte im Vulgärlatein des Mittelalters vorkom-
men. Jedenfalls haben wir hier ein Problem, das
zu genauerer Forschung anzuregen geeignet ist.

Die Inschrift gibt also einstweilen für die
Bestimmung des Gewebes keinen Fingerzeig;
wir sind hier auf die Form und den Inhalt der
Bilder angewiesen. Zunächst wäre der Form
nach an ein Schultervelum zu denken, wie es
jetzt besonders beim sakramentalen Segen in
Gebrauch ist. Es würden dann beim Gebrauche
die beiden Zierstücke vorn heruntergehangen
haben und vollkommen sichtbar gewesen sein.
Das Schultervelum zur Verhüllung der Hände,
mit welchen man Heiliges berührte oder Weihe-

geschenke darbrachte, findet man schon in den
Katakomben, wo Elisäus den Mantel und Petrus
die Schlüssel in dieser Weise empfängt, und in
den Mosaiken der römischen Kirchen, wo die
Heiligen ihre Kronen auf verhüllten Händen
tragen (De Rossi Musaici Cristiani). In St. Ku-
nibert ist das Velum an zwei Stellen dargestellt.
In den von M. Göbbels erneuerten Wandbildern
am Marienaltar streckt Simeon die verhüllten
Hände nach dem Jesukinde aus, und auf einer
Kreuzabnahme am linken Chorpfeiler umfafst
Joseph von Arimathäa den Leichnam des Ge-
kreuzigten mit diesem Velum. In beiden Fällen
ist das Velum weifs, der liturgischen Farbe des
allerheiligsten Sakramentes entsprechend. Bei
unserer Stickerei herrscht Blau und Roth vor,
und wären zudem die Bilder an den Enden des
Velums nicht ganz dem Gebrauche angemessen,
da sie, wenn nicht besondere Täschchen unter-
legt wurden, unter den fassenden Händen zu
viel hätten leiden müssen. Es empfiehlt sich
deshalb eine andere Erklärung, bei welcher
Form und Darstellung gleich natürlich zu ihren
Rechten kämen. Das Ganze könnte als Decke
gedient haben, unter oder über dem Reliquien-
schreine, wo dann die Zierstücke an beiden
Seiten herunterhingen,1) oder als Decke über
ein Evangelienpult, wo gerade die Wahl der
Kalenderbilder sich nachweisen liefse.

Das Evangelienpult hat seinen Ehrentag am
Charsamstage; es wird dann an demselben bei
der Weihe der Osterkerze vom Diakon das
feierliche Exultet gesungen. Nach Durand von
Mende Rationale divinorum officiorum lib. VI
De benediclione cerei wurde an der Osterkerze
eine Tafel mit der Jahreszahl befestigt, weil
die Kerze das Bild Christi, Christus aber das
alte, grofse Jahr sei, voll der Tage. Nach der
allegorischen Erklärung dieses Bildes fährt Du-
rand fort: „Es wird auch auf jene Tafel das
Jahr von Anfang der Welt geschrieben zum
Zeichen, dafs er das A und Si ist." Man hat
noch glänzend ausgestattete Pergamentrollen,
von denen das Exultet abgesungen wurde, im
Britischen Museum, in Pisa, Rom und Monte
Cassino; sie sind mit Bildern verziert und zwar
zum Theil in der Weise, dafs die Bilder, mit
dem Kopfe gegen die Schrift gerichtet, auf der

') [vielleicht quer über die, Bahre gelegt, auf welcher
bei feierlichen Umzügen die Schreine getragen zu werden
pflegten, und an den Längsseiten derselben, also in leicht
erkennbarer Weise, herunterhängend,] D. H.
 
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