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Zeitschrift für christliche Kunst — 2.1889

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Beissel, Stephan: Das Siegel des Mainzer Domkapitels aus dem XIII. Jahrhundert
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https://doi.org/10.11588/diglit.3570#0221

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383

1889. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST

Nr. 12.

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der auf unserer Abbildung fehlt: Die Ab-
bildung ist photographisch, also mit vollstän-
diger Treue hergestellt nach einem Abdruck,
den Herr Domkapitular Schnütgen 'freundlichst
aus einem am 24. Oktober 1889 bei J. M. Heberle
versteigerten, 0,085 langen, 0,07 in breiten Stem-
pel nehmen liefs. Der Stempel ist inzwischen
in den Besitz des Ober-Postsekretärs Warnecke
zu Köln übergegangen. Eine genaue Verglei-
chung des übersandten neuen Abdruckes mit
den altem, wohl aus dem Stempel des Herrn
von Hefner stammenden Abgüssen, zeigt wei-
tere wichtige Unterschiede. Das Gesicht ist
breiter, die Buchstaben sind etwas schärfer,
über dem ersten Worte SCS fehlt, wie die Ab-
bildung zeigt, das Abkürzungszeichen. Der zu
Köln versteigerte Stempel scheint überdies an
einzelnen Stellen kleine Lücken in den Tiefen
zu haben, die auf eine galvanische, späterhin
nicht genügend nachgravirte Matrize hinweisen.
Nicht nur im Kölner Stempel, sondern auch
in unsern, auf der Auktion Mayer erworbenen
Abgüssen fehlt der hohe, fein profilirte aufsere
Rand, den ein älterer Abgufs unserer Samm-
lung besitzt. Wo ist oder war also der älteste,
der echte Stempel?

Doch das gröfste Räthsel wartet noch unser.
Der kleine Engel zur Linken schaut in dem
Abdruck, wonach die Abbildung angefertigt ist,
aus einer ziemlich tiefen Nische heraus. Sein
Kopf liegt unter der Fläche, auf der die Figur
des Bischofes sich erhebt. Demnach hat der Köl-
nerStempel nichtnur ein eingeschnittenes Mittel-
bild mit der gleichfalls, wie gewöhnlich, ein-
geschnittenen Umschrift, sondern auch auffallen-
derweise eine Erhöhung, wodurch beim Ab-
drücken die tiefliegende Nische mit dem Engel
entsteht. Der im Besitz des Herrn von Hefner
befindliche Stempel hatte zwei Erhöhungen, eine
zur Rechten für den Engel, eine zweite zur
Linken für den Vierpafs. Ob nun der älteste,
den Schneider abbildete, ebenfalls zwei Erhö-
hungen mit je einem Engel besafs? Wir be-
zweifeln es; denn es scheint uns, er habe zwei
flache Bogen besessen, wie unsere Abbildung
einen zur Rechten zeigt, und die vertieften Engel
in ihren Nischen, beziehungsweise der Vierpafs,
seien nachträglich mit kleinen Stempeln im ab-
gedruckten Siegel hinzugefügt worden. Bekannt-
lich fügten manche deutsche Kaiser, wir erin-
nern nur an das herrliche Majestätssiegel Fried-

richs III., ihrem Siegel solche Merkmale bei,
um die Authenticität desto mehr sicher zu stel-
len. Die Engel oder der Vierpafs würden also
eine Art Sekretsiegel sein, wodurch eine Nach-
ahmung des einer Unterschrift gleichwerthigen
Siegels verhütet werden sollte.

Das auffallende Erscheinen solcher Nischen
und Köpfe im Mainzer Siegel führt nun zu
weitern Schlüssen. Wir begegnen nämlich ähn-
lichen Bildungen auf englischen Siegeln. Vor
mir liegen zwei Abdrücke des wunderschönen
alten Siegels des Kapitels von Kanterbury, wel-
che aus dem Nationalarchiv zu Paris uns zu-
kamen. Auf denselben ist die Kathedrale dar-
gestellt. Aus ihren Thurmfenstern schauen zwei
sehr tief liegende Köpfe heraus. Da nun Richard
von Cornwallis als deutscher König (1257—1272)
zu Mainz in enger Beziehung stand, liegt die
Vermuthung nahe, das Kapitel habe bei Eng-
ländern diese Art von Siegeln gesehen und nach-
zuahmen beschlossen. Gegen diese Vermuthung
erhebt sich aber die Angabe, unser Mainzer Sie-
gel erscheine schon seit 1238. (Vergl. Schnei der
a. a. O. Kleine Ausgabe S. LXXVII Note 1.)
Wir werden dadurch vor eine neue Schwierig-
keit gestellt, weil das hier abgebildete Siegel
zwar sicherlich dem XIII. Jahrh. zuzuschreiben
ist, die Datirung 1238 aber auffallend früh er-
scheint. Ohne urkundliche Beweise würde man
es wohl an 50 Jahre später setzen. Bekannt-
lich sind Siegel an Urkunden später erneuert
worden. Sollte dies nicht auch bei der Urkunde
von 1238 geschehen sein?

Welche positiven Ergebnisse können wir nun
dem Leser bieten? Jedenfalls die Erkenntnifs,
wie schwierig bei genauem Zusehen die ein-
fachsten Dinge werden können, dann aber auch
den Nachweis, welche Vorsicht heutzutage beim
Ankauf „alter" Stempel anzuwenden ist. Die
Fälschungen werden heutzutage so häufig und
mit solchem Geschick gemacht, dafs es oft
schwer ist, sie zu erkennen. Wenn auch das
abgebildete Siegel aus einem falschen Stempel
sein sollte — wir werden die Sache noch weiter
untersuchen und späterhin über die Ergebnisse
berichten —, es ist jedenfalls eine gute Nach-
ahmung, welche die Schönheit des echten er-
kennen läfst und darum geeignet erschien, hier
in dieser Zeitschrift einen Platz zu finden und
das Interesse für alte Siegel zu wecken.

Steph. lie issel S. J.
 
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