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Zeitschrift für christliche Kunst — 2.1889

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Beissel, Stephan: Der Taufbrunnen des Domes zu Hildesheim
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391

18S'J. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 12.

392

den hl. Godehard und Epiphanius oder Bern-
ward. Auf den Stufen des Thrones kniet der
Geschenkgeber in geistlicher Tracht mit dem
Spruchband: Ave • Maria ■ gratia ■ plena •
Auf dem grofsen Kleehlattbogen wird dann sein
Name genannt, denn dort liest man:
+ Wilbemus • venie • spe ■ dat • laudique • Marie •
Hoc • decus • ecclesie • Suscipe • Christi • pie •

Mit Recht hat Kratz diesen Wilbernus als
Kleriker, ja als Kanonikus des Domes ange-
sehen, obgleich er nicht ermitteln konnte, wann
derselbe gelebt habe. Auch Herr Pfarrer Wächter
hat ihn weder in dem 1190 beginnenden und
im Beginn des XV. Jahrh. schliefsenden Sterbe-
buch des Hildesheimer Domes noch unter den
Zeugen der Urkunden des XIII. Jahrh. gefunden.
Seine \rermuthung, der Taufbrunnen möge um
1250, nach Vollendung der 1230 bis 1240 unter
Bischof Konrad ausgeführten Dombauten ent-
standen sein, wird wohl das Richtige treffen.
Die im »Organ für christliche Kunst« ausge-
sprochene Ansicht: „Wir können in demselben
(demBilde desWilbern) ebensogut denKünstler
vermuthen, welcher das schöne Werk fertigte,
als den blofsen Donator", kann auf Richtigkeit
keinen Anspruch erheben. Sowohl der Text
der Weiheinschrift als die geistliche Tracht des
Geschenkgebers sprechen dagegen.

Wie neben dem Bilde der Taufe des Herrn
zwei Vorbilder angebracht sind, so stellte der
Künstler über unser Widmungsbild A ein Vor-
bild B, worin die reine Jungfrauschaft der Gottes-
mutter vorbedeutet wurde. Wir sehen da einen
Altar mit der Bundeslade, auf dem zwölf Stäbe
stehen, deren mittlerer blüht, zur Linken be-
findet sich Aaron mit dem Oelgefäfs, aus dem
er seine Salbung erhielt, zur Rechten Moses mit
Stab und Schriftrolle, worauf geschrieben ist:
„Prophetam . suscitabit ■ de • filiis • vestris •"
Oben im Kleeblattbogen steht: Virga ■ viget •
flore • parit • alma • vigente • pudere •

Die Inschriften der neben A u. B in 15 u. 16
angebrachten Prophetenbilder lauten: „Isayas •
propheta •" (11. 1.) „Egredietur • virga • de •
ra(dice) • Yes(se) •" „Salomon • rex •" (Eccl.
24. 23.) „Flores • mei • fruetus . ho(noris) •
et • ho(nestatis) •"

Sowohl Kratz als der Artikel des Organs sahen
in der zuletzt besprochenen grofsen Szene B „die
Bestätigung Aarons als Priester durch den blü-

henden Stab". Sie haben nicht einmal hier, trotz
der Inschriften, geschweige in den andern Bild-
werken, den Zusammenhang erkannt. Alle an-
dern Besprechungen unseres Taufbrunnens aber
gehen auf diese zurück, ja der Artikel des
Organs ist nur eine Bearbeitung des von Kratz
gebotenen Materials.

Fügen wir noch einige Worte bei über die
Technik. Jede der unter dem Becken befind-
lichen Figuren ist für sich gegossen, ebenso die
Schlufsblume und die unter dem Becken an-
gebrachte, in vier Blumen auslaufende Stütze.
Das Ganze besteht also aus acht Theilen. Der
Gufs ist vortrefflich. Die Inschriften sind in
die fertig gegossenen Theile eingegraben, ebenso
sind die Verzierungen der Gewänder gravirt. Die
Zeichnung der Figuren ist edel, die Modellirung
hoch und gut. Die oft fast ganz vom Grund los-
gelösten Köpfe der Figuren sind voll Charak-
teristik und Würde. Eine grofse Rolle spielen
die Hände, womit die Personen ihre Gemüths-
bewegungen verdeutlichen. Die Frau vor Herodes,
deren Kind getödtet wird, ist in ihrem Schmerz
vortrefflich geschildert. Die Inschriften sind
oft sehr arg abgekürzt, woraus erhellt, dafs der
Entwurf jedenfalls von einem Geistlichen stammt,
der den Künstler zwang, die gewählten Texte an
ihre Stelle zu setzen. Hätte der Künstler voll-
ständig freie Hand gehabt, so würde er wohl
im Interesse der Aesthetik, kürzere Inschriften
gewählt haben. Beachtenswerth ist, mit welchem
Geschicke so viele Bänder und Leisten für die
grofse Menge der Inschriften angebracht wor-
den sind.

Praktisch verwerthbar werden die Bilder des
HildesheimerTaufbrunnens in zweifacher Art sein.
Man könnte eine Anzahl der Bilder, etwa die
Wassertaufe des Herrn, die Bluttaufe der Kinder
und die Begierdetaufe der Magdalena, vielleicht
mit einem oder dem andern Vorbild heraus-
heben, um einen Taufbrunnen zu verzieren.
Alle zu nehmen dürfte zu viel sein. Zweitens
könnte man den ganzen Cyklus in wenig geän-
derter Gestalt zur Ausmalung einer Taufkapelle
verwerthen. Möge man aber die Inschriften nicht
vergessen! Trotz derselben ist die schöne Idee,
welche die Bilder verbindet, bis jetzt unbekannt
geblieben. Würde man sie ohne die Inschriften
gefunden oder die gefundene als richtig aner-
kannt haben? St. Beissel S. J.
 
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