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Verein für Historische Waffenkunde [Editor]; Verein für Historische Waffenkunde [Contr.]
Zeitschrift für historische Waffen- und Kostümkunde: Organ des Vereins für Historische Waffenkunde — 9.1921/​1922

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Heft 5
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Bruhn, Wolfgang: Kopf und Hut: Ausstellung der Lipperheideschen Kostümbibliothek
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.44571#0202

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WOLFGANG BRUHN: KOPF UND HUT

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BAND 9

fehlt. Die häufigste Kopftracht, die vor allem den vornehmen
Mann des 15. Jahrhunderts auszeichnet, entwickelt sich un*
mittelbar aus der Gugel: es ist der Turban oder die Sendel*
binde, wie sie als pars pro toto nicht sehr glücklich genannt
wird, und entsteht dadurch, daß die alte Gugel (seit etwa 1390)
mit dem ursprünglich für den Halsausschnitt bestimmten Teil
um den Kopf gewickelt wird, so daß das Kragenstück auf der
einen, der stark verlängerte Zipfel (eben die eigentliche „Sendel*
binde“) auf der andern Seite herunterfällt.5 6 *) Jan van Eycks
Bildnisse in Hermannstadt, Berlin und anderen Orten (sämtlich
von der Brügger Ausstellung her bekannter geworden), geben
gute Belege für diese eigenartige Kopftracht der Burgunder Zeit.0)
Eine Abart davon stellen die Zeugs oder Lederkappen vom Aus«
gang des 15. Jahrhunderts dar, die z. B. Dürers Pfeifer und
Trommler (Köln, Museum) tragen. Hier scheint der Turban zu
einer Kappe zusammengeschrumpft und zeigt seine Herkunft
nur noch in dem Zipfel, der auf eine Seite überfällt. Gutes
Beispiel dafür: Dürers Selbstbildnis im Prado zu Madrid.
Wie so häufig, lehnt sich die Frauenmode auch in der bur*
gundischen Kopftracht des 15. Jahrhunderts an die männliche
an. Denn die Frauen auf den bekannten Bildnissen des Mem«
ling, Roger u. a. (in Brüssel, Paris, Hermannstadt) tragen doch
nichts anderes als den hohen Filzhut, der, ähnlich der oben*
genannten Rise, noch mit einem lang überfallenden Schleier*
tuch bedeckt ist. Von dieser Frauenhaube zu der berüchtigten
riesigen Spitzhaube ') war es eigentlich nur noch ein Schritt. In
ziemlich maßvoller Form trägt diese Haube die Maria Portinari
v. Memling. Die zweiteilige Hörnerhaube begegnet seit der
zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts in Burgund, Flandern,
Deutschland und Italien nicht minder häufig und hängt wahr«
scheinlich mit der eigentümlichen Wulsthaube zusammen, die
u. a. schon auf einem schönen Grabmal von J. della Quercia
im Dom zu Lucca erscheint. Damit kommen wir zu der Kopf*
tracht der italienischen Renaissance, die in der Ausstellung sehr
würdig vertreten ist. Zunächst fallen keine besonderen Unters
schiede von der burgundisch*niederländischen Mode auf. Sig*
norellis großes Bildnis eines alten Mannes (Kaiser Friedrichs
Museum) zeigt die bekannte rote Filzkappe, ähnlich die Porträts
in Ferrara und Florenz. Dieselbe Kappe in Weiß mit aufge*
klappter Krempe auf Filippo Lippis Bildnis und Signorellis
Niccolo Vitelli.8) Mantegnas Vesp. Gonzaga trägt eine spitzs
ovale Mütze mit nach vorn gerichtetem scharfen Kiel. Beson*
ders originell wirkt die hohe, steife, schirmlose Soldatenmütze,
die Federigo v. Montefeltre auf P. della Francescas bekanntem
Porträt trägt. Sie erinnert mich an die neuzeitlichen sogen. Extra*
mützen der preußischen Einjährig*Freiwilligen. Bei den Frauen
sind im damaligen Italien eigentliche Kopfbedeckungen bild*
lieh so gut wie nicht überliefert mit Ausnahme der genannten
Wulst* und Hörnerhauben. Im allgemeinen zeigen die Künstler
sie in ihrem natürlichen und noch öfter künstlichen Haar*
schmuck von Perlen, Diademen, Spangen usw. reich verziert.
Dagegen ist der Haarbeutel, das Haarnetz, ähnlich der grie*
chischen Frauentracht, sehr häufig.
Pisanellos Mädchenkopf zeigt solchen Haarbeutel sehr an«
schaulich. Da es galt die Haartracht durch immer neue Moden
zu verändern und zu bereichern, kam man auf die sonder*
barsten Einfälle; besonders eigentümlich wirkt die Manier, das
5) Auf die vielen Variationen im Schnitt und in der Art den Turban zu tragen,
kann hier nicht näher eingegangen werden.
6) Zu bemerken ist, daß die einfache Filzkappe, wie sie z. B. der hl. Eligius
auf dem gleichnamigen Bilde des Petrus Cristus trägt, meist noch unter der Sendel«
binde getragen wurde, ähnlich der späteren Calotte unter dem Barett.

Haupthaar bis über die Mitte des Schädels wegzurasieren, wie
z. B. auf dem Londoner Mädchenbildnis des P. della Francesca.
Ähnliche Beispiele sind häufig. Daneben spielt natürlich das
frei herabfallende Lockenhaar oder die in einzelne Strähnen
gegliederte Frisur eine große Rolle, z. B. „Simonetta“ im Palazzo
Pitti, Botticellis Mädchenbildnis im Städelschen Museum und
zahlreiche andere Bilder. Auch die Männer trugen das Haar
langgelockt oder hinter dem Ohr zusammengenommen.9)
Die Zeit vor der deutschen Reformation bevorzugt im allge*
meinen die neue Mode des Baretts, das in zahllosen Varianten:
einfach, geschlitzt, mit flacher, mit hochgeklappter Krempe,
federgeschmückt usw. vorkommt. Besonders die Innenseite des
Baretts wird gern mit Schmuck behängt oder durch verschiedene
farbige Stoffe bereichert. Bei stoffreichen, faltigen Gewändern
ist auch das Barett besonders reich und groß, bei knapper Sil«
houette des bekleideten Körpers bekommt auch der Umriß des
Hutes etwas Knappes, fast Schneidendes, wie in Kranachs Stutt«
garter Frauenbild. Prachtvoll ist Mostaerts Bildnis im Kaiser
Friedrich«Museum um 1520, das die Form des leuchtend roten
dreieckigen Baretts gut zur Geltung bringt. Das flache weitaus«
ladende Barett mit sternförmig gestreiftem Muster des Herzogs
Wilhelm IV. von Bayern läßt kaum mehr etwas von dem Hut«
kern ahnen, den der breite Rand sozusagen völlig verschluckt
hat. Unentbehrlich für das Barett, zumal wenn es nur auf einem
Ohr saß, war die Calotte oder Haarhaube, die, anscheinend
zunächst Frauentracht, bald allgemeine Aufnahme fand. Die
Calotte wird natürlich auch für sich allein getragen, und als
intime häusliche Kopftracht erscheint sie auf Lor. Lottos Ver«
mählungsbild im Prado. — Kein Maler der deutschen Früh«
renaissance ist als wahrheitsgetreuer Schilderer des Zeitkostüms
seiner Umgebung so vielseitig wie der jüngere Holbein. Er
ist daher in der Ausstellung sehr mit Recht besonders gut be-
dacht worden. Neben dem Barett für beide Geschlechter zeigt
er uns noch besonders die Haubentracht der englischen Hof«
damen, an deren Rückseite ein Schleier oder Tuch befestigt ist,
das bald herabfällt, bald aufgesteckt ist, z. B. in dem Bildnis
der Jane Seymour 1536. Außer Holbein liefern Maler wie Am«
berger und Barthel Bruyn die besten Beispiele für das Barett
und die Frauenhaube.
Das italienische Barett erscheint dem deutschen gegenüber
wesentlich einfacher und zurückhaltender, charakteristisch ist
die häufigeVerwendung von kunstvollen Medaillen an der Innen*
Seite der Hutkrempe, z. B. Bartol. Venetos Bildnis in Rom.
Künstlerisch besonders schön ist die Art, wie Rafael den Kopf
der Johanna von Aragon mit dem in ihren Nacken gesetzten
Purpurbarett einrahmt.
Machte sich schon die Reformation in Deutschland und Eng*
land um die Mitte des 16. Jahrhunderts in einer ernsteren Auf*
fassung auch der Kopftracht geltend, so verliert die europäische
Mode in den Zeiten der Gegenreformation jeden Rest ihres
fröhlichsfestlichenCharakters. Leichtfließendes Haar oder Locken
verschwinden unter der Netzhaube, das bauschige Barett weicht
dem knappen, steifen spanischen Hut mit schmaler Krempe,
jenem so bezeichnenden Ausdruck der jesuitisch*soldatischen
Gesinnung; die steife spanische Halskrause zwängt den bisher
freien Hals ein und drückt sozusagen automatisch das Kopf*
haar zu einer hohen Coeffüre in die Höhe, auf deren Ende

7) Über Bedeutung und Form des sogen. Hennin sind wir heute trotz der
interessanten Beiträge von Karaba^ek u. a. noch nicht hinreichend unterrichtet.
8) Die Grenze zwischen Kappe, Mütze oder Hut ist hier, wie auch schon in
früheren Beispielen oft schwer zu ziehen.
9) Ein Zeichen für die modischen Einflüsse der italienischen Renaissance auf
die deutschen Länder ist z B. Dürers genanntes Selbstbildnis.
 
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