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Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innendekoration — 8.1897

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Bie, Oscar: Fotografien im Zimmer
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https://doi.org/10.11588/diglit.7395#0063

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Februar-Heft.

Zllustr. kunstgewerbl. Zeitschrift für Znnen-Dekoration.

Seite 39-

Fotografien Aimmer.

von Or. Dscar Bie.

Recht der Ahnenbilder war immer mehr verbürgerlicht
worden. Bei den Römern hingen nur diejenigen Wachs-
Masken der Ahnen als vorbildliche imLAiuss in den Schränken !
des Atriums, welche curulisch geehrten Familien angehörten. Die
ImÄZiuss waren ein Privilegium und ein Stolz, weniger eine
Znnen-Dekoration. Für die Mittelalterlichen, die alten und die
neuen, war die Znnen - Dekoration schon ein wichtigeres Motiv ^
bei ihren Ahnenbildern. Aus Masken waren Gemälde geworden,
welche die langen Wände der Galerien wirksam abtheilten; der j
curulische Standpunkt war ein mehr subjektiver und kein Gesetz
regelte die Stammbäume. Die Römer hatten wohl die ImLAivss
mit Guirlanden verbunden, in der Weise, daß sie stammbaum-
artig sich aneinander schlossen; aber nirgends sehen wir in der
alten Kunst daraus ein Motiv der Wandbekleidung sich entwickeln.
Die Ahnenbilder der Ritter waren weniger didaktisch und mehr
künstlerisch; das Dekorationsmotiv der Ahnengalerie hat sich auch
ohne Ahnen bis heute erhalten. Aber es hatte doch noch einen
gewissen aristokratischen Zug. Das demokratische s9. Jahrhundert
hat eine dritte Methode der Ahnenverewigung gesunden, eine echt
bürgerliche, die nicht nur keine curulische Legitimation nöthig hat,
sogar an jeder Zimmerwand ihre Stelle findet: die Familien-
fotograsie. Seitdem durch die Erfindung des Lichtbildes die kost-
spielige porträtirung durch Oelbilder, Stahlstiche, Zeichnungen
auf das rein künstlerische Gebiet hinaufgedrängt war, ergoß sich
ein Strom von Familienbildern in fotografischem Druck über die
bürgerlichen Zimmerwände. Es war in der fürchterlichsten Zeit
unseres Kunstgewerbes, als man jeden freien Geschmack einer
Anordnung verloren hatte, als man die billige Waare selbst ohne
den Sündenglanz eines falschen Luxus zur Schau stellte, als man
sich in ovale Rahmen aus polirten Leisten verliebte und geschnitzte
Beizrahmen „antik" nannte, nicht ohne einen Schauer künstlerischer
Ehrfurcht über den Rücken rieseln zu lassen — damals feierte die
Familienfotografie im Zimmer Triumphe. Ich habe Wände
gesehen bei Leuten, denen die Symmetrie das letzte Ergebniß alles
künstlerischen Geschmackes war, da thronten Großvater und Groß-
mutter, in „antiken" Rahmen mit gerundeten Ecken, in der Mitte
über dem grünen Plüschsofa; die Schaar der Gnkel und Tanten
schloß sich links und rechts in glänzenden Ovalrahmen an, selten
unterbrochen von einigen billigen Aquarellen, die von der venezia- ^
nischen Hochzeitsreise stammten; weiter im Kreise herum, wie die !
Heiligen im Himmel alter Bilder, hingen die übrigen lieben Der- I
wandten, lebende und todte, einzelne und Gruppen, Erwachsene
und Rinder, in Rahmen bis herab zu vier Tentimeter Durchmesser,
alle starr nach vorn blickend, als ob sie einen Messias erwarteten,
oder auch als Pendants gedacht in der schönen Symmetrie, welche
Ehepaare auf schlechten Bildern zu haben pflegen. Zn der guten
Stube, im Eßzimmer, namentlich aber in der „Wohnstube" ord-
neten sich die Schaaren der bürgerlichen Ahnengalerie.

Diese Zeit liegt so lange hinter uns, daß sie beinahe schon
den Reiz des alterthümlichen hat; wie man sich die bunten
Porzellan-Tintenfässer der Urgroßmutter auf das Ecktischchen stellt,
möchte man manche dieser dicken, ovalen, so patriarchalischen
Bilder als wirksamen Kontrast an eine bizarre Stelle der modernen
Wand wieder unterbringen.

Langsam entwöhnten sich die Fotografien und suchten sich dem
fortschreitenden Geschmack anzupassen. Man sah die Rahmen
schwungvoller werden, das Stehbild entstand und die Fotografie
wanderte von der Wand auf den Kamin, die Staffelei oder den
Schreibtisch, wo eine bunte Abwechselung von Bilderformaten, in den
glatten Nüancen des eleganten Moraständers, wo die Emanzipation
von der Familie und der Sinn für Sammlung reizvoller, hübscher
Erscheinungen — bisweilen sogar sehr außerhalb der Familie —

ein Milieu schufen, das als eine Art modernen Stilllebens heut
noch seine Kraft nicht verloren hat. Oder man erfand Hänge-
behälter mit Fächern verschiedener Größe, Ständer, Draperien,
lauter Gegenstände, welche unsymmetrisch sich an einen Thürpfosten,
ein panneel, eine Schrankwand, anbringen ließen und die leicht
hineingesteckte Fotografien ohne Rahmen darboten wie Bouquets.
Es war dieselbe Entwickelung zum leichteren, malerischen Ton,
wie sie sich in der Ablösung des steifen Albums durch die lose
Mappe darstellte.

Die Wände waren nun von Fotografien leer. Man gewöhnte
sich daran, die Familienbilder über dem Sofa anzulächeln; man
empfand die Grobheit und Kleinlichkeit, die in der Dekoration
einer Fläche mit symmetrischen schlechten Porträts lag. Nach
einer Schablone gearbeitet, stofflich eigentlich viel zu intim, als
daß man sie so bloßstellen mochte, und doch wieder in dieser
Anordnung zu grob, als daß sie irgend Zemanden interessirten,
verfiel der Familienhaufen an der Wand bald der Lächerlichkeit.
Man sehnte sich nach Farbe. Nach gewissen Schwankungen trugen
leider die Publikationen des Vereins der Kunstfreunde und ähnliche,
auch schlechtere Drucke, den Sieg in dem Kampf um den Wandplatz
davon; in nicht so bürgerlichen Kreisen machte auch das Melbild
und die Radirung nicht vergebliche Anstrengungen, wieder über
das Sofa zu kommen und man konnte sehen, wie eine hochzeit-
geschenkte Aurora von Reni aus dem Rahmen genommen und
durch eine Heliogravüre der Böcklinschen Todteninsel ersetzt wurde.
Man vergißt oft, wie viel der moderne Sinn für nicht konven-
tionelle Dekoration hierin schon gebessert hat; man veranlasse
einmal eine Statistik und überzeuge sich, daß der Sieg der schottischen
Malerschule, wie einst der Sieg der niederländischen Kleinmeister,
aus einem gesteigerten dekorativen Bedürfniß beruhe und daß
Strahlen von dieser Sonne bis an die Grenze der Beamten-
wohnungen hinüberreichen.

Die Zukunft liegt darin, daß die Fotografie wieder die Wand
des Bürgerhauses gewinnt. Freilich, eine andere Fotografie. Statt
der leblosen Porträts, die unsere Berufsfotografen anfertigen,
werden individuelle Porträts an den Wänden hängen, von Ama-
teuren gefertigt, die es noch nicht gelernt haben, das Leben durch
Kopfhalter und Schablonenstellungen zu tödten, jedes Stück eine
lebendige Erinnerung, bald in breitem, bald in schmalem Format,
geschmackvoll und originell gerahmt, als Einzelstück auch in seiner
Anbringung an der Wandfläche behandelt. Oder die Landschaft
wird sich dort breit machen mit der ganzen feinen Technik moderner
Amateurfotografie ausgeführt, Vergrößerungen aus matten Papieren,
Sonnenuntergänge am Wasser, Perspektiven mit duftigen, gedeckten
Hintergründen, braune, violette, grünliche Töne, je nach dem
Gegenstand, der sich der individuellsten Liebe erfreut hat. Das
ist ein Zimmerschmuck, der billig ist, ohne unecht zu sein, der das
Leben und die Erinnerungen festhält ohne sie zu tödten. Welchen
anderen Athem hat er als ein gekaufter schlechter Oeldruck oder
ein buntes Blatt, das an einem einzigen Weihnachtsmorgen in
gleichen Exemplaren bei 250 Familien aufgehängt wird.

Der dekorative Werth ist nicht zu verkennen, am wenigsten in
der Epoche des englischen Stils, der sich mit feingerahmten Schwarz-
Weiß-Drucken wundervoll verträgt. Statt einer Legion sym-
metrischer Porträts als Unterlage zu dienen, belebt sich die Wand
an jedem Punkte, der eine individuelle Fotografie zeigt, und schon
äußerlich wird durch die zwanglos sich aneinander fügenden Linien
der Blätter und ihrer immer verschiedenen, immer zupassenden
Rahmen der Wand etwas von dem sprühenden Augenblicks-Leben
gegeben, das jede Amateurfotografie ausströmt. Der Reiz erhöht
sich und der Eindruck einer einfachen und doch lebendigen Ehronik
aller Erinnerungen bleibt flüssig, wenn man die Bilder zeitweilig
wechselt und neue Gesammt-Arrangements zu treffen sucht. —
 
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