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Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innendekoration — 8.1897

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Weinhold, Reinhard: Melchior Lechter und das Kunstgewerbe
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März-Heft.

Illustr. kunstgew er'bl. Zeitschrift für Innen-Dekoration.

Seite 57

Melchior Wechter und das »Mulistgewerde.

von Reinhard bveinhold, Berlin.

lin Künstler, wie ihrer deren England bereits viele,
Frankreich wohl mehrere, Deutschland aber bisher nur
wenige oder gar keine hervorgebracht haben, wie sie
jedoch unser Kunstgewerbe braucht, trat in Berlin am 8. No-
vember v.Is. nach elfjähriger
stiller Wirksamkeit plötzlich
in die Geffentlichkeit. —„Man
bittet die Einladung als Ka-
talog zu benutzen", sagt der
dreitheilige Packpapier-Zettel

— „Gedruckt im November
Eintausendachthundertsechs-
undneunzig bei (Otto v. holten,

Berlin 0." — der uns zur
„Ersten Ausstellung von Wer-
ken Melchior Lechter's" in
„Fritz Gurlitt's permanenter
Kunst-Ausstellung" einlädt.

Nur mühsam entnehmen wir
dies den gothischen Lettern des
in der Art des Walter Lrane
gehaltenen, von Melchior
Lechter gezeichneten Titel-
blattes, welches eine ihr Ge-
sicht verhüllende weibliche
Figur vor einem mit „Myst-
ischer Auell" und „Rosa
Mystika" überschriebenen ro-
manischen Brunnen darstellt,
hiermit ist auch die ganze
Richtung der Melchior Lech-
ter'schen Kunst, wenigstens
insoweit sie sich auf die Tafel-
Malerei bezieht, gegeben —
es ist das Symbolische, das
Mystische, welches überhaupt
in der modernen Kunst einen
so breiten Raum einnimmt.

Wagner, Thopin, sowie der
Philosoph Nietzsche sind es,
die den Künstler zu seinem

Schaffen begeistern, und deren Werke er in Farben übersetzt.
Gleich zu Nr. I, „Leidens-Sehnsuchtsmotiv aus dem Vorspiele
zu Tristan und Isolde" (Glasgemälde für ein Schlafzimmer),
gibt der Katalog als beste Erklärung folgende Worte Richard
Wagner's: „Der Musiker, der dieses Thema — Sehnsucht, unstill-
bares, ewig neu sich gebärendes Verlangen, schmachten und dürsten

— sich für die Einleitung seines Liebesdramas wählte, konnte,
da er hier ganz im eigensten unbeschränkten Elemente der Musik
sich fühlte, nur dafür besorgt sein, wie er sich beschränkte,

Abbildung Nummer ssq. Lambrequin

da Erschöpfung des Themas unmöglich ist. So ließ er denn
nur einmal, aber im langgegliederten Zuge, das unersättliche
Verlangen anschwellen, von dem schüchternen Bekenntniß, der
zarten hingezogenheit an, durch zagendes Seufzen, hoffen und

Bangen, Klagen und Wün-
schen, Wonnen und Dualen,
bis zum mächtigsten Andrang,
zur gewaltsamsten Mühe, den
Durchbruch zu finden, der dem
Herzen den Weg in das Meer
unendlicher Liebeswonne er-
öffne. Umsonst! (Ohnmächtig
sinkt das Herz zurück, in Sehn-
sucht zu verschmachten, in
Sehnsucht ohne Erreichen, da
jedes Erreichen nur neues
Sehnen keimen läßt, bis im
letzten Ermatten dem brechen-
den Blicke die Ahnung höchster
Wonne des Erlangens auf-
dämmert. Es ist die Wonne
des Sterbens, des Nichtmehr-
seins, der letzten Erlösung in
jenes wundervolle Reich, von
dem wir am Fernsten abirren,
wenn wir mit stürmischester
Gewalt darin einzudringen
uns mühen. Nennen wir es
Tod? Gder ist es die näch-
tige Wunderwelt, aus der
ein Epheu und eine Rebe zu
inniger Umschlingung auf
Tristan's und Isolde's Grabe
empor wuchsen, wie die Sage
uns meldet?"

Während am Fuße dieses
herrlichen Glasgemäldes Ak-
korde aus „Tristan und
Isolde", gleichsam die Auf-
lösung der Malerei in Musik
oder umgekehrt bezeichnen,
enthält das Gegenstück, Nr. 7 s (Schluß des Katalogs), ein Glas-
gemälde für ein Bücherzimmer-Fenster, folgende Inschrift: (Nietzsche)
„Schon glühst du und träumst, schon trinkst du durstig an allen
Tiefen klingenden Trostbrunnen, schon ruht deine Schwermuth in
der Seligkeit zukünftiger Gesänge!"

Doch nicht mit der „hohen Kunst" Melchior Lechter's wollen
wir uns hier beschäftigen, sondern seine Vielseitigkeit und
der Umstand, daß er überall auf das Dekorative hin-
arbeitet, sind es, die uns seine Bedeutung für unser

mit Stoff-Draperie für ein Fenster.
 
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