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Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innendekoration — 8.1897

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Minkus, Fritz: Von der Alt- und Neu-Haller Ausstellung in Hall in Tirol
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5eite 66.

Zllustr. kunstgewerbl. Zeitschrift für Znnen-Dekoration.

INärz-k)eft.

!vn der Nlt- und L)eu-M>aller Musstellung in in Tirol.

von Fritz Minkus, Wien.

(irol hat in der letztjährigen Ausstellungs-Saison den spärlichen
Gästen, die ihm der mißrathene Sommer des vorigen Wahres
zuführte, zwei Ausstellungen geboten: Line „internatio.
nale Ausstellung für Sport und Hygiene" in Innsbruck und
eine „Alt- und Neu-H aller Ausstellung" in der kleinen malerischen
Salzstadt am Inn. — Die erstere, von der in aller Welt Plakate kündeten
war mißlungen wie noch selten eine Ausstellung; die sie anzeigenden Plakate
waren, von einem echten Künstler ausgeführt, beinahe das einzige an ihr
beachtenswerte. — Die kleine Ausstellung in Hall, die in vier Sälen
des alten Rathhauses untergebracht war, und die mit einer solchen Bescheiden-
heit auftrat, daß man selbst im nachbarlichen Innsbruck ohne die geringste
Kenntniß von ihrer Existenz bleiben konnte, war ein wahres Juwel von
einer Lokal-Ausstellung. Selbstverständlich gilt dies ausschließlich von dem
qualitativ wie quantitativ weitaus überwiegenden historischen Theil der-
selben, der einen an lokal- wie an kunstgeschichtlichem Interesse gleich reichen
Schatz alter, meist dem Land Tirol entstammender kunstgewerblicher Arbeiten
aufwies und manches auch für die heutige Zeit mustergültige Stück enthielt.

Man mag der Werke alten Kunststeißes in Museen und Ausstellungen
noch so viele sehen, immer drängt sich der vergleich zwischen dem Linst und
Jetzt auf, und fast regelmäßig fällt er zu Ungunsteu des letzteren aus!
Welcher Reichthum in der Formgebung jener Reihe prächtiger Gitter,
— schmiedeeiserne Gitter von der Gothik bis zum Rokoko bilden den Stolz
des alten Hall, — welche Fülle stilvoller Grnamentik, reizvoller Farben-
zusammenstellungen bei diesen grandiosen Nadelarbeiten des sS., ;s.
und s?. Jahrhunderts, an denen die Haller Kirchen wahre Unica besitzen!

Das Interessanteste an „Alt-Hall" ist aber wohl sicherlich das Gebäude
selbst, das die kleine Ausstellung enthielt — das schöne, gothische Rath-
haus der Stadt; es ist hier nicht der Drt, auf eine Schilderung seines
malerischen Aufbaus, der reichen, meist aus der Blüthezeit der Renaissance
stammenden Vertäfelung seines Innern einzugehen; nur eines einfachen und
dabei ungemein wirkungsvollen Schmuckes, der in die ernste Fassade frisches
Leben bringt, wollen wir Erwähnung thun, zumal er uns für moderne,
einfach gehaltene Landhaus-Bauten?, die so oft eines anheimelnderen, fröh-
licheren Gepräges entbehren, höchst nachahmungswürdig erscheint: einer
alten, im mittleren Innthal weit verbreiteten Sitte gemäß, sind die sämmt-
lichen Fensterläden des Haller Rathhauses horizontal in drei gleiche
Streifen getheilt, deren oberer und unterer tief roth, deren mittlerer weiß
bemalt ist; man kann sich schwer einen Begriff machen, wie sehr diese so
einfache Dekoration eine wenig gegliederte, etwa hell getünchte Fassade hebt;
kommt dazu noch, wie es bei manchen der vielen alten Schlößchen Nordtirols
der Fall ist, eine matt-bunte Bemalung der Lckqu adern der Mauern —
der eine Stein wird beispielsweise matt-roth, der darunterliegende zart grün,
der folgende satt-gelb u. s. s. bemalt — so ergibt diese Polychromie, etwa
umrahmt vom üppigen Grund eines Waldes, ein wirklich fesselndes, höchst
originelles und dabei durchaus nicht aufdringliches Bild ab, und sie wäre,
wie gesagt, für die oft unglaublich langweiligen und armseligen Fassaden
unserer bescheideneren Villen ein ebenso hübscher als billiger Schmuck.

Auf der Ausstellung „Neu-Halls" dominirte, wie auf allen Aus-
stellungen der Alxenländer, die heimische Holz-Industrie. — So klein
die Ausstellung auch war, gerade bei den Holzmöbeln Neu-Halls konnte man,
wenn auch mehr durch verwandtes, als durch nachahmungswürdiges Beispiel,
so manches lernen, vor Allem wieder durch den vergleich von Einst und
Jetzt, der um so näher lag, als fast sämmtliche Möbel der Ausstellung alten
«Originalen nachgebildet waren. Aber wie anders sehen diese modernen
Kopien aus! Ls ist eigenthümlich, wie viel Kunstwerke alter Zeit in
moderner Nachahmung verlieren: gewiß ist es ja höchst wahrscheinlich, daß
jene zur Zeit, da sie neu waren, sich von ihren modernen Imitationen wenig
oder gar nicht unterschieden; wir aber kennen sie nur, gleichsam veredelt
durch die vornehme, alle Härten der Färbung, alle allzu scharfen Kanten und
Ecken nivellirende Patina der Jahrhunderte! Und so erscheint uns beispiels-
weise der hochlehnige „gothische Thronstuhl", den ein biederer Haller Schreiner
ausgestellt hatte, mit seinen philiströs-regelmäßigen Profilen, der peinlich-
gewissenhaft gleichgetönten Beizung des Holzes gegenüber den alten Exemplaren,
die sich uns ja nicht allzu selten aus dem ;2., und ^s. Jahrhundert erhalten
haben, mit der behaglichen Abgenütztheit ihrer vortretenden Theile, den feurigen
gold-rothen Ton, den Eichenholz an häufig angegriffenen Stellen annimmt, als
ein wahres Monstrum langweiligster Gespreiztheit, nüchternster Pedanterie und
bei alledem noch als raffinirtestes Marterwerkzeug an Unbequemlichkeit.

Der „gothische Thronsessel" der Haller Ausstellung ist nur ein Beispiel
für viele; fast alle diese strikten Kopien alten Mobiliars kranken an den
gleichen praktischen Gebrechen: sie sind zu sklavisch kopirt und unglaublich
unbequem! Möge unser Kunstgewerbe und speziell das Kunstgewerbe der
Alxenländer, die ja gerade in der Holzindustrie, dank Jahrhunderte langer,

unausgesetzter Uebung das Trefflichste zu leisten im Stande sind, endlich die
gedankenlose Nachäffung vergangener Kunstepochen aufgeben, und — wenn
ihr schon keine neuen Motive zur Verfügung stehen — mit Hülse des uner-
schöpflichen Bornes mustergültiger Formen- und «Ornament-Motive vergangener
Perioden, ausgehend von den strengen Vorschriften des praktischen Be-
dürfnisses Neues, Brauchbares und Schönes schaffen! — Hoffentlich wird
die neue, dankenswerthe Publikation von Storck „Alte Möbel für
moderne Bedürfnisse", die in ihrem vor Kurzem erschienenen t-Hefte
die portugiesischen Möbel des t?. Jahrhunderts, für den prak-
tischen Bedarf der Jetztzeit eingerichtet, vorführt und unter Anderem auch
die Tiroler Gothik behandeln wird, der so leistungsfähigen Möbel-
industrie Tirols iin oben angedeuteten Sinne einen kräftigen Impuls geben!

Die Möbel der Haller Ausstellung zeigen, wie virtuos noch heute die
Tiroler Holzindustrie die Intarsia zu behandeln versteht, in der sie ja,
dank ihrer Nachbarschaft mit Italien, dem Mutterlands der Intarsia, seit
jeher das Kunstgewerbe der nordischeren Länder übertroffen hat; die Intarsien
der zahlreichen, den bekannten reich eingelegten Alt-Tiroler Möbeln nach-
gebildeten Kästen, Truhen und Tische der Haller Ausstellung sind technisch
von höchster Vollendung: nur im «Ornament erscheinen sie hin und wieder
etwas zu überladen, in der Farbengebung fast durchgehend? zu hart und
unvermittelt. — Gottlob läßt sich wenigstens die Haller Holzindustrie bei
all ihrer Gewandtheit in der Intarsientechnik nicht auf perspektivische Architektur-
und kandschaftsdarstellungen ein, wie wir solchen im Jahre ;8YZ auf der
Innsbrucker Landes-Ausstellung begegnet sind, und wie sie auch
in diesem Jahre die — übrigens völlig unbedeutende — „Tiroler Aus-
stellung" in Wien aufwies; solche Kunststücke mögen noch so gut aus-
geführt sein — (ein wahres Wunderwerk dieser Art enthielt die Alt-Haller
Ausstellung in einer großen, von Papst Gregor XIII. im Jahre ;s7-l einer
österreichischen Erzherzogin geschenkten Truhe, die mit Holzmosaik-Darstellungen
alt-römischer Ruinen geziert ist) — so sind sie einerseits immer von einer
durch die Technik bedingten Härte und Eckigkeit — „hölzern" im wahrsten
Sinne des Wortes, andererseits gehören doch entschieden perspektivische Dar-
stellungen zu den unglücklichsten Dekorationsarten für Flächen, die, wie es
gerade an Möbeln im höchsten Grade der Fall ist, in erster Linie die Tendenz
des Abschließens betonen sollten. — So jung ist die kunstgewerbliche
Renaissance unserer Zeit denn nun doch nicht mehr, daß man nicht fordern
könnte, daß derartige primitivste Gesetze der Aesthetik des Kunstgewerbes in
die weitesten Kreise gedrungen seien. Bei den alten Stilperioden, die Neues,
Großartiges in Hülle und Fülle geschaffen haben, fällt der eine oder andere
mitunterlaufene Mißgriff nicht ins Gewicht — unsere Zeit, die so wenig
mehr kann, als jene kopiren, darf nur das Allerbeste nachahmen!

Geht das Haller Kunstgewerbe dem Fehler der perspektivischen Intarsia,
sei es mit Absicht, sei es aus Zufall, jedenfalls mit Recht aus dem Wege,
so ist es im Begriff, im Bereich der.Möbel-Dekoration einen Stilfehler
einzubürgern, der einem alten und rühmlichen Zweig der Tiroler Holz-
Industrie im stärksten Maße verderblich werden kann, wenn ihm nicht recht-
zeitig Einhalt geboten wird: wir meinen die Bemalung der bekannten, ob
ihrer Solidität, ihrer Billigkeit wie ihrer geschmackvollen Gestaltung gleich
geschätzten Natur-Zirbelholz-Möbel mit duftigen, zartfarbigen
Rokoko.Guirlanden. Das Jirbelholz-Möbel erscheint, trotz der freundlichen,
hell-goldgelben Naturfarbe des Holzes, immer schwer und gediegen, — das
Material (weiches Holz) gestattet keine graziösere Ausführung, und so kann
man sich kaum eine unangenehmer wirkende Dekorationsweise für dasselbe
denken, als zierliches Rokoko-Rankenwerk: die feine Grnamentik des fran-
zösischen Rokokos ist der passende Schmuck für die graziösen, weißlackirten
oder vornehm matt-nußhölzernen Möbel des Louis XV., die in duftende
Boudoirs, neben Helle rauschende Seide, neben blinkendes Porzellan gehören;
sie wirkt aber geradezu lächerlich auf dem urwüchsigen Zirbelholz-Möbel, das
in gemüthlichen Sommerwohnungen, neben buntblumigem Kattun und keck
gemalter Bauern-Majolika seinen Platz zu suchen hat. — Wir sehen den
Grund nicht ein, warum man aus reiner Neuerungssucht von der allbeliebten,
Dekorationsweise des Zirbel-Möbels mit kräftigen, derben Profilen, reich-
gegliederten Füllungen und einigen auf der Drehbank hergestellten Ver-
zierungen abweichen will: und wenn das Jirbelholz schon bemalt werden soll,
warum nimmt man sich nicht die uralte und heute noch geübte Bauern-
kunst zum Muster, die ihr aus weichem Holz gefertigtes Mobiliar mit großen,
bunten Fantasieblumen bemalt und damit die hübscheste Wirkung erzielt?

Länder, die sich noch einer blühenden Bauernkunst zu erfreuen haben,
sollten in ihrer Kunstindustrie, wo nur immer thunlich, in erster Linie von
dieser ausgehen; das ist kräftiger, gesunder Boden, an dem sich wahre Kunst
großziehen läßt. — Es ist durchaus unnöthig, einer Kunst, die seit jeher
aus der Basis der Gothik ausbaut, plötzlich Renaissance, Barock und Rokoko
aufzudrängen — sie soll ihren eigenen weg weitergehen und wird sicherlich
 
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