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Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innendekoration — 8.1897

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Weinhold, Reinhard: Melchior Lechter und das Kunstgewerbe
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Giani, Carl: Die Einwirkung der Kunstgewerbe-Museen auf das Kunstgewerbe, [4]
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https://doi.org/10.11588/diglit.7395#0087

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Seite 58.

Illustr. kunstgewerbl. Zeitschrift für Innen-Dekoration.

März-Heft

Kunstgewerbe erkennen lassen. Seine Ausstellung zeigt nicht
nur Tafel- und Glasgemälde, sondern auch Entwürfe zu letzteren,
außerdem aber: Deckel-Zeichnung für einen Wäsche-Katalog
(Nr. H7), Entwürfe für zwei Schlafzimmer-Gobelins (Inspiration
und Vision, Nr. fsi), Zeichnung für ein „Ex-Libris"-Zeichen

Abbildung Nummer 555. 5tosf> Dekoration für ein Fenster.

(Nr. H6), Fotografien nach Möbeln (Nr. 68), Malereien auf
Pergament-Einbände (Nr. H8 und 4:si), Ampel für ein Schlaf-
zimmer (Nr. 6si), Entwürfe für zwei Wandgemälde der Halle
einer gothischen Villa (Nr. j7 und j8, Inspiration und Musen-
hain), Entwürfe für Radirungen usw.

Wir haben hier also einen Künstler vor uns, dessen Gemälde
„Orpheus" (Nr. 2) z. B. man dem Besten unserer Zeit getrost
zur Leite stellen kann, der sich aber auch andererseits nicht scheut,
seine Kunst an den alltäglichsten Dingen zu erproben und
damit Gewerbe und Industrie neu zu befruchten. Das
Dekorative ist für ihn nicht äußerliche Zuthat, sondern
bildet ein integrirendes Element seines Schaffens und
so tritt auch selbst in seinen Tafelbildern immer das
Dekorative hervor. Er mischt Farben, die unsere Welt nicht
hat, zu nie geschauten Akkorden, während das Körperliche, das
Fleisch für ihn fast von keiner Wichtigkeit ist. Leine Ausbildung
als Glasmaler mag auf seine Farbentechnik nicht ohne Nach-
wirkung geblieben sein.

Während sich in Melchior Lechter's Gemälden der Ein-
fluß der englischen Praeraphaeliten, der französischen Symbolisten,
sowie eines Böcklin, Stuck usw. nicht verkennen läßt, kann er in
seinem kunstgewerblichen Schaffen das Studium der Eng-

länder (Rossetti, Edward-Burne-Iones, William Morris, Walter
Trane) nicht verleugnen; der Umstand, daß Melchior Leckster
seine Jugend im alten Münster verlebte, läßt seine Vorliebe für
Romantik erklärlich erscheinen.

Es wäre bedauerlich, wenn Melchior Lechter's Schaffen durch
die „urplötzlich über ihn hereingebrochene Berühmtheit" dem Kunst-
gewerbe wieder entfremdet werden sollte; hat er doch noch in
letzter Zeit Glassenster für ein Zinshaus in Berlin FVf, dem von
Baurath Schwechten erbauten sogenannten „Romanischen Haus",
für welches sich auch der Kaiser (dessen letzte Zeichnung: „Nie-
manden zu Liebe, Niemanden zu Leide" ebenfalls ein romanisches
Portal zeigt) lebhaft interessirt und welches sich in nächster Nach-
barschaft der auch im romanischen Stil erbauten „Kaiser-Wilhelms-
Gedächtnißkirche" befindet, gemalt.

Nicht weit hiervon befindet sich übrigens Bernhard Sehring's
„Theater des Westens", welches ebenfalls einen Restaurations-
Saal im romanischen (und zwar normannisch-sarazenischen) Stil
enthält, mit originellen Wandgemälden der Maler Kutschmann
(Vater und Sohn), die Parzival-Sage darstellend*), und wunder-
baren Mosaiken von Odorico, genau den alten Originalen auf
Sizilien nachgebildet; — wir erwähnen das nebenbei, um zu zeigen,
daß das sonst so nüchterne Berlin kein schlechter Boden für

*) (NRrd im April-Heft publizirt. Die Redaktion.)

In seinen Glasgemälden neigt Leckster mehr zur „Freilichb
malerei", die Farben lassen den Einfluß der amerikanischen poly-
chromen Kunstverglasungen unschwer erkennen. Auch die Rahmen
an seinen Gemälden zeigen den echten Künstler, denn sie sind
ebenso originell entworfen, als der Stimmung des jeweiligen
Bildes angepaßt; letztere können wir am besten durch ihre Titel
als: „Blaue Blume Einsamkeit (Nr. 3), Traumblüthen (Nr. H),
Weiße Wolken (Nr. 5), Wunderwald (Nr. 8), Muse am Meer
(Nr. 9), Der Garten der Ehe (Nr. sO), Adagio Mysterioso
(Nr. ss), L-Moll (Präludium von Thopin; Nr. s5) usw., andeuten.

Die Meisterschaft Lechter's liegt im Kunstgewerblichen und
das freut uns bei der trostlosen Ueberschwemmung des Bilder-
marktes und bei dem durchaus unberechtigten Stolz, mit welchem
die meisten deutschen Maler auf das Dekorative von oben herab-
sehen, immer mehr.

Klinger, Thoma, Stuck, Sattler, Greiner sind vielleicht in
mancher Beziehung bedeutender wie Leckster — aber was bedeuten
sie für das deutsche Kunstgewerbe?

Die Einwirkung

der Kunstgewerbe- Museen aus das Kunstgewerbe.

^Aeien wir doch einmal gegen uns selber aufrichtig und spielen

wir nicht Vogelstraußpolitik. Es wird zwar allerorten,
zumeist im Süden und Südosten Europas, das Darniederliegen
der Gewerbe dem präponderanten Vordrängen eines Volks-
stammes zugeschrieben, welcher am kommerziellen Ausbeutungs-
system das denkbar Größte leisten und vornehmlich, wenn nicht
einzig und allein Schuld tragen soll, daß das Gewerbe all-
mählich in Fabrikation, das heißt in die Macht des Kapitals
allein übergeht. Man übersieht aber dabei die großen Vorzüge,
welche der Fabrikationsbetrieb, die zur Industrie gewordenen Ge-
werbe in manchen Zweigen der gesammten Lebensführung bis
auf die niederste Stufe derselben bieten.

Man übersieht ferner die Grenze, welche selbst der sinnreichst
konstruirten Maschine gesteckt ist und dadurch zugleich die zahl-
losen Anknüpfungspunkte für das Gewerbe als solches implicite.

Man nehme beispielsweise ein dem Schreiber selbst nahe-
liegendes Gewerbe, die Kunstweberei. Seit der epochalen Erfin-
dung Iaquards sind zahllose Personen einer ebenso körper- als
geisttödtenden Arbeit entledigt worden, welche früher im Ausziehen
der das Dessin hervorrufenden Schnuren bestand; es kam weiter
 
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