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Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innendekoration — 8.1897

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Weinhold, Reinhard: Luxuswaaren, Kunstgewerbe und Kunstindustrie
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https://doi.org/10.11588/diglit.7395#0267

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Dezember-Heft.

Leite sflS.

Illustr. kun st ge werbt. Zeitschrift für Innen-Dekoration.

Mumlswaaren, -MnnstgewerbH

und -Munstmdustrip.

von Reinh. N) einhold, Berlin.

^^M^^unst- und Luxuswaaren" lautet gewöhnlich die Aufschrift
derjenigen Läden der Mittel- und Groß-Städte, die
kunstindustrielle Maaren zur Ausschmückung unserer
Wohnräume, sowie auch solche für unseren persönlichen Gebrauch
feilbieten. Wenn wir das Schaufenster mustern oder einen solchen
Laden betreten, so werden wir sehr bald finden, daß an „Luxus-
waaren" kein Mangel ist, Kunst- oder kunstgewerbliche Gegen-
stände hingegen wenig oder gar nicht vorhanden sind, Knüpfen
wir mit dem Inhaber des Geschäfts oder dessen Personal ein
Gespäch an, so wird sich in den meisten Fällen Herausstellen, daß
alle diese Leute nicht das geringste Verständniß für das Kunst-
gewerbe haben, auch den Unterschied zwischen Kunstgewerbe
und Kunstindustrie nicht definiren können.

Wenn so etwas möglich ist bei Fachleuten, die mit den
begüterten und sogenannten „gebildeten" Massen im täglichen
Verkehr stehen — wie mag es dann erst mit dem Kunstoerständniß
der letzteren bestellt sein?I wenigstens in Bezug auf das Kunst-
handwerk und die bildende Kunst?! Nun, die Ausschmückung
der meisten Wohnungen legt Zeugniß davon ab, daß der großen
Masse selbst des kaufkräftigen Publikums die Anfangsgründe von
Stil und Geschmack sozusagen „böhmische Dörfer" sind. Die
pflege der „Aunst" in „besseren" Familien erstreckt sich lediglich
auf Musik und Theater, wozu in großen Städten einige Besuche
der Kunstausstellungen kommen. Während man erstaunt sein
würde, wenn der Musikalien- oder Sortiments Buchhändler über
die neuesten Erscheinungen der Musik oder Literatur nicht orientirt
wäre, nimmt man die Ignoranz des „Luxuswaarenhändlers" als
etwas ganz Selbstverständliches hin. Der Käufer eines Hochzeits-
oder sonstigen Gelegenheits-Geschenkes sieht weniger aus die
Schönheit oder den Gebrauchswerth, als vielmehr auf die Größe
eines solchen in einer bestimmten Preislage; — von der vorge-
legten Auswahl wird einfach das Stück genommen, welches „nach
am Meisten aussieht"; die Gediegenheit, der Stil im besseren
Sinne des Wortes ist ganz Nebensache. Die Folge davon ist,
daß sich in unseren Wohnungen eine Masse aller möglichen und
unmöglichen Luxus-Gegenstände, namentlich solche aus dem als
Bronze bezeichneten Dachrinnen-Zinkguß ansammelt, die weder
einen künstlerischen noch einen volkswirthschaftlichen Werth haben,
vielmehr geradezu einen Verlust am Nationalvermögen darstellen.

Eine rühmliche Ausnahme macht allenfalls die Keramik, die
für verhältnißmäßig billiges Geld stilvoll geformte und dekorirte
Gegenstände aus Fayence, Majolika, Porzellan rc. hervorbringt,
von welchen leider auch das aus dem Auslande bevorzugt wird;
aber auch hier wird noch so viel Minderwaare produzirt, daß
man sich über diesen Schlendrian nur wundern kann. Geradezu
greulich müssen wir die Produktion an Holzwaaren nennen. Sieht
man den unverstandenen Naturalismus der geschnitzten Wand-
Mappen, Rauchtische, Wand-Konsole, der rokokoartigen Aufsätze
an Schränken, so fragt man sich unwillkürlich, ob unsere Kunst-
gewerbe-Museen wirklich der Praxis oder nur der Gelehrten-
Krämerei dienen.

Auf der letzten Berliner Gewerbe-Ausstellung hatte ein der
Preis-Jury angehöriger „Fabrikant", der hauptsächlich die 3-Mark-
Bazare mit Waaren versorgt, aber auch Gegenstände in viel
höherer Preislage in den Handel bringt, u. A. auch einen der
bekannten Rauchtische, die aus übereinander gekreuzten altdeutschen
Waffen bestehen, ausgestellt; dieser „Keulen-Tisch" stand auf dem
ziemlich erhöhten Podium vorne an, so daß nian sich die Keulen-
spitze direkt in's Auge rennen konnte. Betreffender Fabrikant,
der ob der Billigkeit seiner 3-Mark-Artikel in Fachkreisen

be—rühmt ist, hat wiederholt in Vorträgen den Besuch und die
weitere Einrichtung von Kunstgewerbeschulen empfohlen, auch
sagt man von ihm, daß er „seinen Arbeitern den Magen aus-
drückt". Viele derselben, die außer dem Hause arbeite», sind von
diesem Fabrikanten trotzdem finanziell abhängig, weil sie bei ihm
im Vorschuß stehen.

Wir führen dieses kleine Beispiel aus dem praktischen Leben
nur an, um zu zeigen, wie unheilvoll der Einfluß vieler Kauf-
leute und Fabrikanten, die nur auf die Billigkeit ihrer Erzeugnisse
sehen, für die Kunstindustrie ist. Dieser schädliche Einfluß geht
sogar bis tief in das Innere Japans und Indiens hinein, denn
unsere Importeure schreiben Preise vor, für welche auch diese
Arbeiter nur Schund liefern können; die Beweise sehen wir in
unseren Japan-Läden und Bazaren, wo orientalische Waaren
einer Qualität zum Verkauf gestellt werden, die man vor 20 Jahren
unmöglich gehalten haben würde. Als vor ca. 5 Jahren die
bekannten schwarz und roth lackirten Brot-Kähne als 50-pfennig-
Artikel verkauft wurden, so fand man dieses schon unerhört und jetzt
offerirt ein bekanntes Berliner Waarenhaus dieselben für s5 pfg.

Viele Leute bezweifeln übrigens, daß die als Japanisch aus-
gebotenen Waaren wirklich diesem Lande entstammen, sondern
nur der Reklame wegen so genannt werden. Dieses ist aber schon
um deswillen ausgeschlossen, weil Japan weit billiger produzirt
als Europa oder Amerika und sich Japans Erzeugnisse trotz der
hohen Fracht immer noch vortheilhafter stellen, als diejenigen
des Abendlandes, ganz abgesehen davon, daß wir nur Nach-
ahmer sein würden, denen die Originalität abgeht. Ehina kommt
für den Export wenig und gar nicht in Betracht, da es mit seiner
Industrie wie mit seiner ganzen Kultur hinter dem seit Jahr-
hunderten rastlos vorwärts strebenden Japan zurückgeblieben ist, —
wohl aber Indien mit seinen Seiden- und Baumwollstoffen, Email-
und Metallwaaren, Teppichen, Thongegenständen rc.

Was unsere Arbeiter von ihren japanischen oder indischen
Kollegen lernen sollten, das ist weniger die Genügsamkeit, als
deren Freude am Schaffen, an der Arbeit selbst, die Art und
Weise, letztere als Lebensaufgabe, nicht als unbequeme Last, zu
empfinden. Hier müssen unsere Volksschulen kräftig eingreifen
durch energische Förderung des Handfertigkeitsunterrichts sowie
durch Popularisirung der Biographien unserer Altvordern und
deren Werke, wie z. B. Peter Bischer, Wenzel Iamnitzer, Ben-
venuto Tellini.

Heute nimmt der junge Mann ganz falsche Lebensbegriffe
aus der Volksschule mit fort; sein Ideal ist ein Beruf, bei welchem
er den ganzen Tag mit Vorhemdchen und Manschetten einher-
gehen kann, oder derjenige des Bureaukraten, der Schreiberberus.
Wirklich befähigten jungen Leuten schwebt allenfalls das Ideal
der in den Schulen fast ausschließlich kultivirten Wissenschaften
vor, er studirt — was aber auch weniger befähigte Leute thun
und damit das Heer des gebildeten Proletariats vergrößern. Wie
gesagt, tragen unsere Schulen an diesem Zustande sowie an dem
Niedergang unserer Industrie in qualitativer Beziehung die
Hauptschuld, denn der Mensch muß schon aus der Schule das
Verständniß für gute produktive Arbeit mitbringen, sonst wird es
nicht besser. Wer selbst eine Arbeit einigermaßen zu taxiren ver-
steht, wird einem soliden Stück jederzeit den Vorzug geben und
sich nicht von der Billigkeit leiten lassen.

Wohl ist in den letzten Jahren vieles besser geworden, aber
der Fortschritt ist ein zu langsamer im Gegensatz zu demjenigen
auf vielen anderen Gebieten und den für die Museen aufgewandten
Mitteln. Letztere dürften wahrscheinlich für das größere Publikum
erst dann interessant werden, wenn einmal so weite Räumlichkeiten
vorhanden sind, um komplete Interieurs zu arrangiren — natürlich
mit dem nöthigen Klimbim inszenirt s 1s, Berliner Gewerbe-
Ausstellung. Aber Spaß bei Seite, durch regelmäßige Besprechung
auch der älteren Gegenstände in Tages-Zeitungen könnte das
 
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