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Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innendekoration — 8.1897

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Luthmer, Ferdinand: Der Fenster- und Thür-Vorhang
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https://doi.org/10.11588/diglit.7395#0076

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Teile 50.

Illustr. kunstgewerbl. Zeitschrift für Innen-Dekoration.

März-Heft.

wenn er in einer leeren Wohnung ans Lenster tritt — der kahle,
viereckige Ausschnitt lädt nicht ein, stehen zu bleiben und mit
Behagen hinaus zu sehen. Warum haben wir dies Gefühl nicht,
wenn wir z. B. die Säle des Bruchsaler Schlosses durchschreiten,
in welchem doch auch die Vorhänge, Gardinen und sonstige Spuren
des Bewohntseins fehlen? Hier ist der Rahmen, der das Lenster-

Abbildung Nr. SHS. Thür-Draperie, von Lhristian Hövel, Düsseldorf.

bild einschließt, vorhanden — freilich nicht in Vorhängen, sondern
in dem kunstvollen, vom Architekten als reichstes Rahmenwerk
ausgebildeten Getäfel der Lensterlaibung. Auch ist hier durch
die kleinere Sprossentheilung der Lenster jenes Gitterwerk vor
dem Auge gebildet, von dem wir oben sprachen.

Diese Beobachtungen lassen uns nun also einen Schluß auf
die Nothwendigkeit, die Natur und Anwendung des Lenstervor-
hanges ziehen. Derselbe ist keineswegs ein unentbehrliches dekora-
tives Element. Wo das Lenster durch enge Sprossen, durch
Butzenscheiben, Glasgemälde oder sonstige Runstverglasung seinen
Rarakter als raumöffnendes Loch in der Wand zum Theil ver-
loren hat, ist er ebenso entbehrlich, wie dort, wo durch die
architektonische Dekoration eine starke, auffallende Umrahmung
des Lensters hergestellt ist. Dies kann sowohl durch eine wirkliche,
aus j)ilastern, Halbsäulchen u. dgl. gebildete Rahmen-Architektur
erzielt werden, wie wir sie wohl in Verbindung mit kunstvollen
Wandvertäfelungen in Bauwerken der Renaissance finden (z. B.
Tratzberg, Velthurns und anderwärts) — wie auch durch eine

besonders ausdrucksvolle Verzierung der Lensterlaibung, die wir
allerdings wohl ausschließlich in den mit dicken Mauern aus-
gestatteten palastbauten suchen müssen.

Dagegen wird eine Einrahmung der Lensteröffnung durch die
Runst des Tapezierers um so nothwendiger, je größer und unge-
theilter die Lenster sind — und da letzteres das Ideal unserer
modernen Wohnung zu sein pflegt, so ist damit die bedeutende
Rolle erklärt, welche der Lenstervorhang in letzterer zu spielen pflegt.

Aber auch hierin hat sich während des letzten Jahrzehnts
ein bemerkenswerther Umschwung der Anschauungen vollzogen,
der mit dem größeren Lichtbedürfniß des heutigen Geschmacks
zusammenhängt: Jenes Dämmerlicht, das wir während der
unbedingten Herrschaft der deutschen Renaissance in unserer Woh-
nungseinrichtung in den Räumen verlangten, und das man durch
schwere, über die Hälfte des Lensters herabwallende Stoffdraperien
herbeizuführen suchte, gilt heute nicht mehr als wünschenswerth;
viel mag auch zu seiner Zurückweisung die Einsprache der Ge-
sundheitsleute beigetragen haben, die uns das italienische Sprüch-
wort vorgehalten haben: „Vovo nov svtrs, il solo, srckru 11
msäioo" — wo die Sonne nicht hinkommt, kommt der Arzt hin.
Wenn wir die schönen, zum Theil wirklich geistreichen Rompo-
sitionen dieses Heftes durchsehen, so finden wir mit wenigen
Ausnahmen die schweren Lalten-Lambrequins, die weit herab-
wallenden Stoff-Vorhänge verbannt: der glatte Lambrequin, aus
welchem rechts und links schmale Bahnen des Dekorationsstoffes
herabfallen, bilden die Regel. Der Rarakter des Rahmens, den
wir nach dem früher Gesagten als die Hauptaufgabe der Lenster-
Dekoration auffasfen mußten, kommt darin klar zum Ausdruck.

Das ist um so anerkennenswerther, als der Lenster-Vorhang
derjenige Theil unserer Innen-Dekoration ist, bei welchem der
Dekoratör am meisten auf eigenen Lüßen zu stehen gezwungen ist,
bei dem er sich am wenigsten an historische Vorbilder anlehnen
kann. Wir glauben nicht zu irren, wenn wir behaupten, daß es
alte Lenster-Aufmachungen, welche über das letzte Jahrzehnt des
vorigen Jahrhunderts zurückgehen, überhaupt nicht gibt. Wollen
wir uns über die wirkliche Lorm dieses Dekorationsstückes in der
Zeit des Rokoko, des Barock, der Renaissance, oder gar des
gothischen Mittelalters unterrichten, so sind wir aus bildliche Dar-
stellungen angewiesen — und wie spärlich fließt diese Quelle!
Wir werden zu der Annahme geführt, daß die Stoff-Draperie der
Lenster in den genannten Stilperioden eine unendlich viel beschränk-
tere Anwendung fand als heutzutage. Den Grund hierfür können
wir einmal in der unvergleichlich größeren Anspruchslosigkeit der
bürgerlichen Wohnweise suchen, andererseits aber auch in dem
I Ersatz, den man in der architektonischen Einrahmung des Lensters
und in einer engmaschigen Verglasung desselben fand.

Erst der Empirestil wendet dem Lenster-Vorhang eine größere
Beachtung, eine reichere Lantasie zu. Wir müssen aber wohl
bemerken, daß diese Stilperiode mit Vorliebe dünne Stoffe ver-
arbeitete, Laille-Seide, Loulards, leichte Baumwoll-Gewebe und
Aehnliches, Stoffe, die, ohne stark aufzutragen, alle möglichen Runst-
stücke von Laltenwurf, Ueberwürfen u. dgl. gestatteten. Man
darf nicht vergessen, daß eine Nachahmung dieser Motive in
schweren Wollen- oder Baumwollstoffen, wie sie heute beliebt sind,
unthunlich ist. Ein sehr geeignetes Material hierfür sind dagegen,
wie jeder Dekoratör weiß, die mannigfaltigen Liberty-Stoffe.

Der Thür-Vorhang, da wo er als eigentliches Dekorationsstück
auftritt, und sich nicht darauf beschränkt, den Abschluß zwischen
zwei Räumen, zwischen denen man die Thürflügel entfernt hat,
nur zu markiren, zeigt sich stilistisch von dem Lenster-Vorhang
abhängig, mit dem er in neuerer Zeit eine Verminderung der
Stoffmassen, die Beschränkung auf das eigentliche Rahmen-Motiv
theilt. Eine bedeutendere Ausbildung des Lambrequins wird er
wohl nur da noch erfahren, wo es gilt, eine Thüre höher
I erscheinen zu lassen, als sie in Wirklichkeit ist. —
 
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