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Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innendekoration — 8.1897

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Minkus, Fritz: Die Weihnachts-Ausstellung des Wiener Kunstgewerbe-Vereins
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https://doi.org/10.11588/diglit.7395#0155

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Leite ssO.

Zllustr. kunstgew erbl. Zeitschrift für Znnen-Dekoration.

Zuni-tzeft.

eigentlichen Stock der Ausstellung; überraschender und vielleicht glücklicher
Meise ist es nicht das zum gegenwärtigen „Modestil" ausgerufene Empire,
das hier alleinherrschend sein Szepter schwingt: eine stattliche Reihe hervor-
ragender Firmen arbeitet immer noch in üppiger Renaissance, in graziösem
Rokoko, in zierlich-knappem Louis-XVI. — Lin Aufsatzschränkchen in reifen
Renaissanceformen (ausgeführt von Bildhauer F. Würfel) fällt durch seinen
virtuos im stärksten Relief geschnitzten Dekor auf, ein zweiter, auf Rosten
desjHoftiteltaxfonds von Niedermesser L Zelczny nach A. Görlich's
Entwurf gearbeiteter größerer Aufsatzschrank in schwungvollem Rokoko durch
die ungemein saubere und liebevolle Ausführung der Vrnamentschnitzereien.
— Zwei weitere auf Rechnung ches Hoftiteltaxfonds angefertigte Schränke,
ein barocker, büffetartiger Zierschrank von F. Michel und ein ungemein
vornehmer, reich geschnitzter und zart vergoldeter Konsoltisch (von Stephan
Schulz nach Prof, Herdtle's Entwurf) fesseln durch ihre technisch wie
künstlerisch vollendet schöne Intarsien-Dekoration: der erstere zeigt zu pompösen
Bouquets angeordnete großblüthige Blumen, die, trotz ihrer leuchtenden
Farbengebung und ihrer für die schwierige Technik der Intarsia geradezu
staunenswerthen Plastizität, nicht aus der Fläche „herausfallen", wie dies
so oft bei ähnlichen Arbeiten des Barocks und Rokokos zum Nachtheil ihrer
ästhetischen Wirkung der Fall ist, der letztere weist auf seiner Platte orna-
mentales Holzmosaik von einer Feinheit in der Farbengebung auf, wie man
sie selten finden mag. — Lin peinliches Gegenstück zu diesen entzückenden
Leistungen der Intarsia stellt ein zu einer vollständigen Garnitur gehöriges
Tischchen aus smaragdgrünem Holz dar, dessen Platte mit einer extravagant
gezeichneten Holzeinlage-Arbeit von einer Farbenzusammenstellung geschmückt
ist, wie sie in solch greller Buntheit selbst an einem Neu-Ruppiner Bilder-
bogen empören würde: (Originalität ist ein gutes Ding wenn sie mit Ge-
schmack gepaart ist, aber geschmacklose Originalität ist ein Greuel! (Originell
und glücklich ist der Gedanke, die aparte Form der spanischen vargueüos
bei uns heimisch zu machen, jener bekannten kofferförmigen Kabinets auf
hohem, reichgegliedertem Gestell, die, wie es scheint, auf die maurische Möbel-
fabrikation zurückgehen und vom bis s7. Jahrhundert namentlich in der
Provinz Toledo angefertigt wurden; das in der Ausstellung befindliche
Kabinet hält sich in der Bildung des Gestells streng an die spanischen Vor-
bilder: beiderseits drei auf einer gemeinsamen Plinthe hinter einander stehende
Säulchen, von denen die einander gegenüberstehenden mittleren gewunden
und durch eine hohe, arkadenförmige (Ouerleiste verbunden sind, tragen die
auf beiden Seiten beträchtlich über das Gestell vorsxringende, liegend-oblonge
Truhe; diese selbst ist nicht, wie es in Spanien beliebt war, bunt bemalt
und mit reichen Beschlägen geziert, sondern mit Leder überzogen, das an den
Rändern mit großköpfigen Messingnägeln beschlagen und in Lederschnitt-
Arbeit dekorirt ist. Der Lederschnitt, eine, im vergleiche etwa zum modernen
deutschen Kunstgewerbe, bei uns im Großen und Ganzen verhältnißmäßig
nicht allzu häufig angewandte Technik, tritt uns noch an einigen anderen
Objekten entgegen, überall mit ungemeiner Präzision und mit richtigem Stil-
gefühl, das ein zu weit getriebenes Relief verbietet, ausgeführt.

Ganz mit Leder überzogen, xräsentirt sich ein kleines Kabinetschränkchen
auf dazu gehörigem Tischchen, beide in frühen Boulle-Formen komponirt,
aus dem kunstgewerblichen Atelier F. W. Paxke stammend, das noch eine
ganze Kollektion kleinerer, prächtiger Leder-Gegenstände ausgestellt hat, wäh-
rend diese letzteren so recht den Karakter des Leders zur Geltung bringen,
dessen vornehmer Glanz und tiefbraune Färbung durch diskrete Verzierung
in Gold - Stempeldruck (meist Streudekor von kleinen heraldischen Lilien,
Sternchen u. dergl.) aufs Ansprechendste gehoben wird — ein Genre, das
unserer Galanterie-keder-Industrie zur höchsten Ehre gereicht — ist an dem
kleinen Kabinet und seinem Gestell das Leder an Stelle von Fournierhölzern
in verschiedener Maserung und Tönung angewendet; die gepreßten Gold-
Ornamente ersetzen die Metalleinlagen der Boulle-Arbeiten. So tadellos die
technische Ausführung und die Komposition des Aufbaues erscheinen, die
Nachahmung von Holz durch Leder ist entschieden verwerflich, und es ist
erstaunlich, daß unsere Kunstgewerbetreibenden, und namentlich eine künstlerisch
so hervorragende Firma noch immer in diesen, seit Jahrzehnten betonten
Fehler zu verfallen vermag!

Hübsche Tischchen, Ltagsren, Paravents enthält die Ausstellung, aus-
geführt in der an die L a q u e - M a rt i n - A r b ei t en erinnernden Technik,
die ganzen Gegenstände zu vergolden und mit einem bräunlich schimmernden
Lack zu überziehen, der den grellen Goldglanz reizvoll abtönt und auch die
aufgemalten Delbildchen bedeckt und so mit dem Goldgrund in schöne Har-
monie bringt: schade, daß dieses wahrhaft vornehme Genre in den Augen
des Publikums einigermaßen diskreditirt ist durch die elenden Nachbildungen,
die die billige Bazar-Industrie mit Hülfe von goldbronzirtem Pappendeckel,
von schlechten Beldrucken und Abzugbildern um ein paar Groschen herstellt!

Unter den in verhältnißmäßig sehr geringer Zahl ausgestellten Sitz-
möbeln find einige reizende Louis-XVI.-Fauteuils von Portois L Fix
erwähnenswertst, deren schön getöntes Holzwerk in Verbindung mit maßvollen
Bronzebeschlägen sehr fein wirkt; die Stoffe der Polsterungen sind in Farbe
und Zeichnung sehr stilvoll — zu stilvoll vielleicht, denn einer derselben, der
ein schön gezeichnetes Bouquet mit großen Aspidistrablättern zeigt, verfällt

bereits hochgradig in den oft gerügten Fehler der Louis-XVI.-Möbelstoffe,
die in ihrer Zeichnung eine so weitgehende plastische Natürlichkeit aufweisen
— an Stoffen, auf die man sich setzt, gewiß ein böser Mißgriff! — daß sie
hierin nur von der „Kunst"-Industrie der sog. Biedermännerzeit über-
troffen werden konnten, die in ihre Stoffe dermaßen naturalistische Rosen,
Vergißmeinnicht u. s. w. einwebte, daß man aus Furcht, die schönen Blumen
zu zerdrücken, sich kaum auf sie zu setzen wagte, oder auf ihren Teppichen
den blauen, von schwirrenden Vögeln belebten Himmel so naturwahr dar-
stellten, daß einem ganz schwindelig zu Muthe ward!

Es ist auffallend und bedauerlich, in wie verschwindend kleinem Maße
die Textil-Industrie an unseren kunstgewerblichen Ausstellungen theil-
nimmt: Spitzen und Stickereien sind allerdings, wenn auch in geringer
Auswahl, in der Weihnachts-Ausstellung vertreten: erstere durch wunder-
schöne Points, die der Firma Bollarth entstammen, letztere durch ein
paar wenig beachtenswertste Leinenstickereien und eine ungemein fleißige,
kirchliche Stickerei, eine sehr feine Arbeit, deren figuraler Theil, ein in
Plattstich gestickter Engelskopf auf blauem Atlasgrund, mit solcher Präzision
der Nadelführung und so dünner Seide ausgeführt ist, daß man die gestickten
Flächen vom Atlas des Grundes kaum zu unterscheiden vermag. Mit der
gleichen Gewissenhaftigkeit ist auch der übrige, ornamentale, Theil in Gold
auf rothen Sammtgrund gestickt, vielleicht mit zu großer Gewissenhaftigkeit:
da ist kein Stich, der nicht dem anderen auf Haaresbreite gleich wäre, keine
Linie, die um ein Hundertstel Millimeter von ihrem vorgeschriebenen Laufe
abwiche; dadurch entfällt oft gerade der Reiz des Persönlichen, der Hand-
arbeit, die kleiner Zufälligkeit nicht dermaßen ängstlich aus dem Wege gehen
sollte, auf daß sie nicht schablonenhaft werde wie die Maschinenstickerei. —
Der Technik nach gehören vielleicht auch die aus Golddraht gefertigten vor-
steckbouquets rc. hierher, die, in der Art der schauerlichen, aus altmodischen
Friseurauslagen bekannten „Haarblumen" gearbeitet, eine kleine Vitrine der
Ausstellung füllen: warum so viel Mühseligkeit, so viel Geschicklichkeit, warum
ein so prächtiges Material an so erbärmlich geschmacklose Dinge verschwenden?

An eigentlichen Textil-Arbeiten, an gewebten Möbelstoffen bietet die
Ausstellung — außer den oben erwähnten — so gut wie nichts, geschweige
denn an Kleiderstoffen: unsere zahlreichen Textilfabriken scheinen nicht zu
wissen, daß wir seit nunmehr bereits drei Jahrzehnten wieder ein Kunst-
gewerbe besitzen, und daß in allen früheren Epochen kunstgewerblicher Hoch-
blüthe die Weberei stets einen ersten Platz unter den technischen Künsten
eingenommen hat: darum figuriren denn auch die Stoffe, mit denen sich
unsere Altvordern bekleideten, als mustergültig in unseren Museen, während
unsere heutigen, technisch oft weit höher stehenden Modestoffe in der von
einer häufig völlig unxlatzmäßigen Bescheidenheit diktirten Einfachheit und
Reizlosigkeit ihrer Musterung beim . . . Lumpensammler enden!

So spärlich auch die Textilkunst auf unserer Ausstellung vertreten ist,
einem ihrer allervornehmsten Produkte, dem Gobelin, begegnen wir in
mehreren umfangreichen Exemplaren — aber nicht in der schwierigen und
langwierigen Wirktechnik, in der die Antike ihre Llavi, das Mittelalter seine
Rücklaken und Wandteppiche, die Zeiten Rafaels und Rubens' ihre grandiosen
Tapeten fertigte, sondern mittelst eines sehr abgekürzten, dem Blitzzugstemxo
unserer Zeit entsprechenden Verfahrens ausgeführt: mit breitem Pinsel und
matten Farben auf gelbgrauen, derb gerippten Stoff — gemalt! Die
sogenannte „Gobelinmalerei" mag eine recht hübsche und ansprechende Be-
schäftigung für dilettirende Damen sein, und es läßt sich gegen diese ins
Bereich der sog. „Liebhaberkünste" einzureihende Technik sicherlich nichts ein-
wenden, zumal wenn die betreffenden Dilettanten ihre derartigen Erzeugnisse
hübsch fein für sich behalten: eine ernste künstlerische Technik ist die Gobelin-
Malerei aber nicht, denn sie ist eine Surrogat-Technik und ein gediegenes,
vornehmes Kunstgewerbe, wie es das unsere heute gottlob ist, muß all diese
Pseudo- und Talmi-Techniken als Heuchelei zurückweisen: wer keinen echten
Gobelin erschwingen kann, muß eben ohne Gobelin sein Auskommen finden
können! Die gemalten Gobelins sind, wenn sie noch so geschickt die echten
imitiren, immer langweilig und schal in den Farben, da ihnen dieselben nur
äußerlich anhaften, während die Wolle des echten Gobelins von ihnen durch-
tränkt ist und in satter Farbenpracht leuchtet; die breiten Lichter, die zackigen
Farbenübergänge wirken hier natürlich, weil von der Technik bedingt, dort
abgeschmackt, störend und hart; der gemalte Gobelin, wenn er auch von
einem ersten Künstler gemalt sei, ist ebenso unnütz und ebenso häßlich wie
etwa die greulichen Papier-„Verglasungen", die unsere mitleidige Industrie
denjenigen anbietet, die kein Geld für Glasmalereien haben und)(doch gerne
so etwas Aehnliches hätten! .... Die betreffenden Kreise des Publikums
sollten doch stolz genug sein, solch ein Almosen zurückzuweisen, zumal es ja
in falscher Münze gegeben wird!

Einige Teppiche heimischer Erzeugung zeigen, wie unsere so vor-
geschrittene Industrie sich noch immer mit der Kopirung ihrer orientalischen
Vorbilder abmüht — fruchtlos abmüht: es läßt sich, namentlich angesichts
eines Teppichs der Ausstellung, der einen ganz prächtigen und aparten
violetten Grundton aufweist, gewiß nicht leugnen, daß auch hier Fortschritte,
bedeutende Fortschritte gemacht worden sind gegenüber den ersten derartigen
Versuchen: aber so gewissenhaft wir uns auch in der Zeichnung von den
 
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