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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 7.1909

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blieb ihm nicht mehr viel Zeit zum Zweifel. Einen so
greifbaren, sinnen fülligen Glauben, der der Künstlernatur
schmeichelte und daneben den unleugbaren Vorzug be-
sass, dass er schon auf Erden Vergebung der Sünden
gewährte. Je näher das Ende rückte, um so mehr ward
Beardsley der Glaube zum Herzensbedürfnis. Und
welcher Glaube hätte ihm in seinem Siechtum so viele
leibliche und seelische Tröstungen bieten können wie
der katholische?

„Halb zog es ihn, halb sank er hin". Die ihn zogen,
mögen mit feinem Spürsinn gewittert haben, dass sich
ihnen hier eine aussichtsreiche, dankbare Aufgabe er-
öffnete. Mit kleinen Aufmerksamkeiten, für die jeder
Kranke nur zu empfänglich, wurde das Rettungswerk
begonnen- Blumen wurden ihm ins Haus gesandt; bald
folgte „köstliche" Chocolade, als gälte es, ein kleines
Mädchen zu erfreuen. Teilnehmende Besucher stellten
sich bei ihm ein, und ihre sanfte Gegenwart that ihm
wohl. Die frommen Brüder erkundigten sich an-
gelegentlich nach seinem Befinden, und er wusste ihnen
Dank für so viel Sympathie. Raffiniertere Mittel werden
nicht verschmäht: der junge Oswald, ein Klosterzögling,
soll für ihn beten; die Fürsprache eines unschuldigen
Kindes zählt ja doppelt im Himmel. Der Bekehrungs-
akt macht Fortschritte: schon ist der Proselyt reif, in der
heiligen Lehre unterwiesen zu werden. „Halb zog es
ihn, halb sank er hin" . . . Nachdem der Übertritt erfolgt,
erhält er einen Rosenkranz. „Vater B. war heute Nach-
mittag bei mir und brachte mir einen lieben kleinen
Rosenkranz mit, den der heilige Vater gesegnet hat. Er
hat mir seinen Gebrauch erklärt. Ich komme mir jetzt
vor wie jemand, der an einem kalten Tage auf der
Schwelle eines Hauses gestanden und gewartet hat, und
der sich lange nicht entschliessen kann anzuklopfen.
Endlich wird die Thür aufgestossen, und alle Wärme
freundlicher Gastlichkeit erquickt den erstarrten Wan-
derer." Nun lassen sie ihn nicht mehr; überall sind sie
um ihn, und wenn nicht um ihn, so doch bei ihm im
Geiste. Kaum siedelt der Konvertit nach Paris über,
wird für eine Begegnung mit Huysmans — auch er ein
Bekehrter! — gesorgt. „Ich freue mich riesig, ihn
kennenzulernen", meldet er seinem „liebsten Bruder",
obwohl später das freimütige Geständnis folgt, er habe
sich nie etwas aus Huysmans gemacht. Wo so viel
Glaube, da ist auch der Aberglaube nicht fern. „Ich
bitte Dich, lieber *w, hilf mir mit Deinen Gebeten gegen
diese Rückfälle, hilf mir auch, dass ich klug genug werde,
lächerliche kleine Unachtsamkeiten zu vermeiden, die
vielleicht das Übel zum Ausbruch bringen." Selbst das
geweihte Wasser von Lourdes fehlt nicht. Gelegentlich
geht der preziöseTon, den das Novellenfragment „Unter
dem Hügel" so virtuos handhabt, geradezu in einen alt-
jüngferlichen über: „Heute Morgen empfing ich mit
M[abel] das Abendmahl in der Kapelle der Erziehungs-
anstalt S. Thomas. Es ist eine so liebe kleine Kirche,
und die Messe wurde von den Zöglingen wirklich sehr

gut gesungen. Die Schwestern sind ganz reizend und
haben so freundlich nach uns gesehen. Du kannst Da-
vorstellen, wie glücklich der Gottesdienst uns beide
gemacht hat." Bei aller Gefühlskargheit, die Beardsley
ei^en, ist eine zunehmende Innigkeit unverkennbar. Der
„liebste Bruder" im Glauben wird ihm zu einem „Bruder

wie aus einem Märchen".-----Wenn dieser Bruder aber

vor dem Grabe der Faulbaumblüte in Mentone an das
Grab des Herrn denkt, so grenzt das wirklich an Blas-
phemie.

Einen andern Beardsley, den irdischen, offenbaren
die aus derselben Zeit stammenden, an seinen Verleger
Leonard Smithers gerichteten Briefe*), die ihr jetziger
Besitzer, der „Wiener Kunstfreund und Künsteförderer",
Fritz Waerndorfer, ins Deutsche übertragen hat.

F. B. (der wohlbekannte Doktor Franz Blei) leistet
ihnen literarische footman-Dienste. Er meldet Mr.
Smithers und Herrn Waerndorfer an und sanktioniert
das von diesem eingeschlagene Editionsverfahren. „Den
Lesern dieser Briefe ist nichts in Erinnerung zubringen;
denn ihre Liebe zu diesem Künstler ist Verehrung so
sehr, dass auch der geringste Umstand seines Lebens
ihnen nahe ist und bekannt der Kreis Jener, die um
Beardsley waren. Also sind erklärende Anmerkungen,
die sich über die in diesen Briefen genannten Personen
auslassen, überflüssig." Leider ist meine Liebe zu
diesem Schriftsteller nicht Verehrung so sehr, dass ich
seine Worte ohne Widerspruch lassen könnte. Die Auf-
lage ist zwar nur für yiy Liebhaber gedruckt, abertrotz
Bleis gegenteiliger Behauptung darf man zweitein, ob
fünfundzwanzig oder auch nur fünf imstande sind anzu-
geben, was etwa der folgende Satz bedeutet: „Hat
Prange über die Hawkins geschrieben?" Oder ob sie
Raffalovich, Savile Clarke, O'Sullivan e tutti quanti
kennen. Oder ob sie verstehen, warum Beardsley dem
Verleger empfiehlt, sein neues Geschäftslokal „The
Sodley Bed" zu taufen. Gibt es wirklich in Deutsch-
land so viele, die wissen, dass des Konkurrenten John
Lane Geschäftslokal in Vigo Street „The Bodley Head"
heisst? Mir soll es recht sein. Nach den beiden Proben,
die Herr Waerndorfer beisteuert, steht mir freilich nicht
der Sinn auf mehr. Wenn Beardsley am 26. März 1 896
schreibt: „Hoffe, die Verhandlung ging gut aus. Aufs
äusserste gespannt, das Resultat zu erfahren", so fügt
der kenntnisreiche Kommentator in einer Klammer
hinzu: „Oscar Wildes trial". Nun, der ist zehn Monate
vorher verurteilt worden. Mit demselben Recht könnte
sich heute jemand nach dem Ausgang des Hau-Prozesses
erkundigen. Ebenso wird ein Brief vom 29. Juli 1896
mit Wildes Verurteilung in Zusammenhang gebracht.
Im Mai 1895 schreibt aber Beardsley schon an Gray
nach Berlin: „Vermutlich steht der Ausgang des--------

*) Briefe, Kalendernotizen u. die vier Zeichnungen zu E. A.
Poe von Aubrey Beardsley. München 1908, Hans v. Weber. In
einer einmaligen Auflage von 525Exemplaren gedruckt. M. 14;
Luxusausgabe M. 25.

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