Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 7.1909

DOI Heft:
Heft 10
DOI Artikel:
Veth, Jan: Alexandrinische Porträtmalereien
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.4599#0460

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
/

es liegt etwas in ihrem Blick, als wolle sie fragen:
könnt ihr es mir nicht ansehen, welchem traurigen
Schicksal ich erliegen muss'r

Es lässt sich nicht bestimmt sagen, inwiefern
man hier mit der Unbeholfenheit eines allzu harm-
losen Künstlers zu rechnen hat, denn die nicht mehr
jugendlichen Züge erscheinen allerdings ungewöhn-
lich verzerrt. Die scharf gekniffene Nase steht ein
wenig schief, die Backenknochen treten ungleich-
massig spitz hervor, von dem tiefliegenden rechten
Nasenflügel senkt sich eine traurige Falte nach dem
zierlichen Kiefer, und auf der anderen Seite weichen
unterhalb der steifen Oberlippe der gespannte Mund
und das kindliche Kinn bedenklich von der Verti-
kalen ab. Aber dieses fesselnde Bild, das über-
raschend ausdrucksvolle Erzeugnis einer vergessenen

psychologischen Porträtkunst, die man sich eher
kühl und konventionell gedacht haben würde,
zeigt gerade durch die vielleicht übertriebenen Eigen-
artigkeiten um so mehr und mit unvergesslicher
Lebensschärfe jenen peinlich gelassenen Ausdruck,
der uns erinnert an den einer grausam gefolterten
Märtyrerin aus einer altdeutsch christlichen Vision,
und die hier dargestellt ist mit eben solchem Maass-
halten an Gefühl und in den angewandten Mitteln,
wie ein Fresko-Porträt der Frührenaissance aus
der frommen Schule von Siena.

Es ist, wenn man will, ein hässliches Gesicht,
der Kopf einer hinsiechenden Somnambule, ein
Lazarettypus; aber vor allem erblicken wir darin
einen Menschen mit einer Seele und mit Sorgen, —
einenMenschen,den man herzlich lieb haben möchte.

FRAU ALINE. AUF LEINWAND GEMALT

BERLINER MUSEUM

446
 
Annotationen