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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 13.1902

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Mackowsky, Hans: Neue Erwerbungen in den königlichen Museen zu Berlin
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https://doi.org/10.11588/diglit.5809#0113

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KUNSTCHRONIK

WOCHENSCHRIFT FÜR KUNST UND KUNSTGEWERBE

Verlag von E. A. SEEMANN in Leipzig und Berlin SW., Dessauerstr. 13

Neue Folge. XIII. Jahrgang.

igoi/1902.

Nr. 14. 30. Januar.

Die Kunstchronik erscheint als Beiblatt zur »Zeitschrift für bildende Kunst« und zum »Kunstgewerbeblatt« monatlich dreimal, in den Sommer,
monaten Juli bis September monatlich einmal. Der Jahrgang kostet 8 Mark und umfasst 33 Nummern. Die Abonnenten der »Zeitschrift für bildende
Kunst« erhalten die Kunstchronik gratis. — Für Zeichnungen, Manuskripte etc., die unverlangt eingesandt werden, leisten Redaktion und Verlags-
handlung keine Gewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E. A. Seemann, Berlin SW., Dessauerstr. 13. Inserate, ä 30 Pf. für
die dreispaltige Petitzeile, nehmen ausser der Verlagshandlung die Annoncenexpeditionen von Haasenstein & Vogler, Rud. Mosse u. s. w. an.

NEUE ERWERBUNGEN IN DEN KÖNIGLICHEN
MUSEEN ZU BERLIN

Die Kunstwerke, mit denen sich im Verlauf des
letzten Jahres das Berliner Museum bereichert
hat, kommen zum weitaus grössten Teil der Abtei-
lung der italienischen Renaissanceskulptur zu gute.
Und zwar entfallen die betreffenden Stücke in die
Bannkreise jener drei Hauptförderer der italienischen
Plastik, die in drei aufeinander folgenden Jahrhunder-
ten als stilbestimmende Mächte den kleineren Talen-
ten die unverrückbare Bahn vorzeichneten: Giovanni
Pisano, Donatello und Michelangelo.

Vier halblebensgrosse Marmorstatuen aus der
pisaner Schule Qiovanni's lassen in der Gebunden-
heit ihrer Bewegung noch den ungetrübten gotischen
Stil erkennen. Schmal und hochaufgeschossen, wie
sie erscheinen, verlangen sie den fest umschliessen-
den Rahmen einer Architektur, eines Tabernakels
oder eines Baldachins, etwa wie die Statuetten in
der luftigen Galerie des oberen Stockwerkes von
S. Maria della Spina am Arnoufer in Pisa. Ihre
stilistische Verwandtschaft mit jenen ist im übrigen
zu oberflächlicher Art, um die gleiche Meisterhand
für beide zu rechtfertigen. Deutlicher charakterisiert
sind nur die beiden Eckfiguren als König David mit
der Krone, von der ein Schleier tief auf die Schultern
herabhängt, und als Johannes der Täufer, dessen
über der Brust nackten Körper das Fell deckt. Die
mittleren stellen wohl einen Propheten mit der Band-
rolle und einen Apostel dar, dessen christusähnlicher
Kopf auf Jakobus deutet. Im Stand ermangeln sie
alle der Festigkeit, doch mag hier vieles auf die
Schuld einer ehemaligen Ergänzung zurückzuführen
sein, die namentlich die unteren Teile, Plinthe, Füsse
und Gewandstoss betroffen hat. Alles Leben ist in
den Köpfen konzentriert, deren fast düster-pathetischer
Ausdruck den Gestalten Ernst und Würde verleiht.
Stark mit dem Bohrer bearbeitet, sind die Köpfe
durch tiefe Aushöhlungen um Mund und Augen und
durch scharf gefurchte Stirnfalten auf einen mit Hilfe
des Schattenspiels lebhaften koloristischen Effekt hin
angelegt. Über das Typische hinaus hat den Meister
seine Absicht nicht geführt; niemand wird unter diesen
von innerem Erleben durchgearbeiteten Köpfen, wie
ohne Zweifel bei einem Quattrocentisten, Porträts

hafte Schönheitsgefühl
der gleichen Stilstufe

vermuten. Der Typik der Köpfe entspricht eine
ideale Gewandung, unter deren straffer Knappheit
im Oberkörper die Freiheit der Bewegung leidet
und deren Schwere im Fall von den Hüften herab
dem Standmotiv die Klarheit nimmt. Der Saum der
Mäntel ist durchaus keine spielerische Zugabe, son-
dern dient, als ein Resultat künstlerischer Einsicht,
dazu, die eintönig, oft röhrenartig herabhängenden
Falten zu durchqueren. In der Eleganz der schmal-
fingerigen Hände lebt dagegen das schon formel-
des späten Gotikers. Auf
stehen zwei langgewandete
Engel, die, von einem Grabmal herrührend, vielleicht
zu Häupten und zu Füssen des Toten die Vorhänge
zurückschoben. Höchst unsymmetrisch spreizen sie
ihre Flügel je nach der gleichen Körperseite aus, wo-
durch jedoch in die Silhouette ein besonderer Reiz
kommt. Was bei dem alten Künstler gewiss der
architektonische Rahmen und die Enge des verfügbaren
Raumes bedingten, erscheint uns, die wir die Teile
vom Ganzen getrennt sehen, als reizvolle Willkür;
man denkt an Vögel, die durch lebhaftes Flügel-
schlagen die Sicherheit ihres Aufenthaltes in -luftiger
Höhe zu befestigen suchen. Die ziemlich plumpe
Figur eines Mönches, dessen zurückweichende, halb
erschreckte Bewegung auf den Zusammenhang mit
anderen Statuetten an einem grösseren Altarwerk deutet,
schliesst sich an. Durch diese Arbeiten wird in er-
freulicher Weise das Bild der Trecentoplastik unserer
Sammlungen bereichert, das bisher nur lückenhaft
sich zu erkennen gab.

Vier Madonnenreliefs stammen aus dem Künstler-
kreise um Donatello. So leicht es fällt, das Vorbild
des Meisters in ihnen festzustellen, so schwer hält
es — wie auch bei fast allen übrigen mit Donatello
in Zusammenhang gebrachten Madonnen — die
eigenhändige Ausführung nachzuweisen. Hier fehlt
noch jeder feste, durch Inschrift oder durch Doku-
mente gestützte Anhalt. Bei solcher Unsicherheit
des Urteils scheint es geraten, von dem juristischen
Grundsatz in dubio pro reo vorläufig abzusehen.
Die schönste dieser Madonnen wiederholt das an
der Ecke der via pietra piana in Florenz auf-
gestellte Relief. Sie zeichnet sich durch ihre herr-
liche alte Bemalung in hellen, zarten Farben aus,
deren Ton den alten Tanagrafiguren nahe kommt.
 
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