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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 13.1902

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Heft 19 (20. März 1902)
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Ruge, Clara: Das New Yorker Kunstleben
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https://doi.org/10.11588/diglit.5809#0154

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Das New Yorker Kunstleben.

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wunderbaren koloristischen und atmosphärischen Wir-
kungen, ein vorzüglicher Zeichner war, der nur auf
diese Meisterschaft seine kühne Handhabung des Pinsels
aufbauen konnte, — rekrutieren sich die »Ten American
Painters.« Aber nicht nur die Formenwelt scheint
ihnen jeder deutlichen Erscheinung zu entbehren,
auch in der Farbe sind sie ihrem grossen Meister
untreu geworden. Sie sind unwahr und höchst
manieriert.

Ein neues Kunstcentrum, welches ganz besonders
dem bisher ziemlich obdachlosen Kunstgewerbe för-
derlich ist, haben wir im »National Arts Club« zu
begrüssen. Daselbst werden seit zwei Jahren all-
monatlich Ausstellungen veranstaltet. Dieses Jahr
wurden wir zuerst dahin geladen, um ein mächtiges
Votivfenster zu bewundern, welches John La Farge,
der Präsident der »Society of American Artists«
gemalt hat. Es stellt die Weisheit dar, welcher
Jugend und Alter huldigen. Dasselbe war im Auf-
trage einer Unitaner Kirche in Massachusetts gemalt
und im Stil der frühen Renaissance gehalten. Zu-
nächst folgte eine Ausstellung des »Women's Art-
Club«, der manche recht tüchtige Leistungen brachte,
dann ward die ganze kunstgewerbliche Kollektivaus-
stellung, durch welche der Klub auf der Pan-Ameri-
kanischen Ausstellung in Buffalo vertreten war, in
seinen Räumen aufgestellt. Sie umfasste Töpfereien,
Kunsttischlerarbeiten, Lederarbeiten, Bronzen u. s. w.
Hierauf folgte im Januar eine Ausstellung kirchlicher
Kunstgegenstände, darunter Entwürfe für farbige Glas-
fenster von La Farge, N. Shean Locke und E. S.
Sperry, Entwürfe für Kircheninterieurs von Lamel
Harris, für kirchliche Statuen und Reliefs von Bild-
hauer C. French und Joseph Sibbel, und religiöse
Figuren auf Kacheln von Charles Volkmar. Eine
reiche Sammlung von Stickereien für kirchliche Zwecke
gehörte auch zum Interessantesten der Ausstellung,
deren Hauptstück jedoch ein Votivfenster bildet,
welches die Brüder Lamb ausgeführt haben und
welches die kämpfende und triumphierende Kirche
darstellt. Es dürfte auch in Europa nicht un-
bekannt sein, da es auf der Pariser Weltausstellung
1900 mit der goldenen Medaille ausgezeichnet ward.

Derzeit findet eine Ausstellung der »Municipal
Art Society« statt, welche sich die Verschönerung
der Städte zur Aufgabe gestellt hat. Unter den Aus-
stellungsobjekten nehmen besonders die Pläne von
J. Lindenthal, derzeit Brückenkommissar der Stadt
New York, das allgemeine Interesse in Anspruch.
Sie zeigen die von ihm projektierte, riesenhafte und
doch graziöse Hängebrücke über den Hudson bei
New York. Andere Entwürfe stellen die projektierte
Brücke über den Potomac in Washington, welche
zum Andenken des gemordeten Präsidenten William
Mac Kinley errichtet werden soll und für welche ein
Wettbewerb ausgeschrieben worden ist. Schmiede-
eiserne und bronzene dekorative Objekte zur Ver-
schönerung öffentlicher und privater Bauten nehmen
einen grossen Teil der Ausstellung ein.

Von den eingangs erwähnten Ausstellungen liegen
die des N. Y. Watercolorclub und der Academy of Design

bereits für diesen Winter hinter uns, die der Archi-
tectural League steht jetzt den Besuchern offen und
nach deren Schliessung werden die Räume der
American Fine Arts Society, der Water Color Society
überlassen werden, welche hauptsächlich aus den in
Wasserfarben arbeitenden Mitgliedern der Academy
besteht und früher ihre Ausstellungen im Academy-
Gebäude hielt. In den letzten Märztagen wird dann
die grosse Ausstellung der »American Artists« er-
öffnet, welche bis Ende April zugänglich bleibt, das
ist heutzutage die grossartigste Kunstausstellung
New Yorks.

Von den bereits stattgehabten Ausstellungen kann
die des N. Y. Watercolorclub in einer kurzen Über-
sicht wie diese füglich mit wenig Worten abgethan
werden. Der Watercolorclub ist ursprünglich eine Ge-
sellschaft, die sich ausschliesslich aus Anhängern des
Impressionismus gebildet hatte. Der geniale Childe
Hassam, dessen Strassenbilder von kecker Auffassung
und kühner Technik ihn in die vorderste Reihe der
hiesigen Modernen stellen, kann als der Begründer
bezeichnet werden, aber längst nicht alle seine An-
hänger standen nur annähernd auf einer Stufe mit
ihm. Vielen diente die buntscheckige Palette des
Impressionismus als Deckmantel des Nichtkönnens
auf zeichnerischem Gebiet. Heute, da der Im-
pressionismus nicht mehr die neueste Mode darstellt,
möchten viele ihre Naturempfindung mit dieser
ändern — und da müssen nun gar manche jetzt
bekennen, nicht zu können, was sie einst vorgaben
nicht zu wollen. Der Impressionismus war dies Jahr
ganz aus der Ausstellung des Watercolorclub ver-
schwunden. Statt dessen machte sich der Dilettantis-
mus sehr breit.

Die Ausstellung der »Academy« war eine sehr
gediegene in diesem Winter. Die Grenzen der
»Alten« und »Jungen«, der Akademiker und »Ameri-
can Artists« sind heute längst verwischt. Die
Academy ist bedeutend liberaler geworden, und wie
schon früher erwähnt, die American Artists haben
die Linie für neue Elemente auch straffer gezogen.
William M. Share, einst ein Hauptgegner der Academy
und Gründer der American Artists, sowie langjähriger
Präsident dieser Gesellschaft, welcher derzeit John
La Farge präsidiert, gehört jetzt zu den Mitgliedern
der Academy. Der derzeitige Präsident der Academy
ist ein Deutsch-Amerikaner, Frederick Dielmann, auch
der erste Preis — Clarke-Preis — ist in den letzten
Jahren mehrmals an Deutsche verliehen worden, so
z. B. vorletztes Jahr an Charles Schreyvogel für ein
äusserst lebensvolles Reiterbild aus dem Westen;
früher herrschte die Gepflogenheit Künstler deutscher
Abkunft zurückzustellen, aber der Naturalismus fängt
an auf dem Kunstgebiet glücklicherweise abzusterben.
Wenn ich übrigens erwähne, dass diese letzte Aca-
demy-Ausstellung eine gediegene ist, so darf darunter
nicht verstanden werden, dass sich Gemälde von ganz
phänomenaler Bedeutung darin befänden. Nein, da-
von keine Spur! An Phantasiereichtum ist überhaupt
in unserer Kunst kein Überfluss. Die jetzt be-
I liebte symbolistische Richtung findet — mehr
 
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