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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 22.1911

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Wiener Brief
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ACAD. I £SEH.
2äJÜL1911

KUNSTCHRONIK

WOCHENSCHRIFT FÜR KUNST UND KUNSTGEWERBE

Verlag von E. A. SEEMANN in Leipzig, Querstraße 13
Neue Folge. XXII. Jahrgang 1910/1911 Nr. 33. 28. Juli 1911.

Die Kunstchronik erscheint als Beiblatt zur »Zeitschrift für bildende Kunst« monatlich dreimal. Der Jahrgang kostet 8 Mark und umfaßt 40 Nummern.
Die Abonnenten der »Zeitschrift für bildende Kunst« erhalten die Kunstchronik kostenfrei. — Für Zeichnungen, Manuskripte usw., die unverlangt
eingesandt werden, leisten Redaktion und Verlagshandlung keine Gewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E.A.Seemann,
Leipzig, Querstraße 13. Anzeigen 30 Pf. für die dreispaltige Petitzeile, nehmen außer der Verlagshandlung die Annoncenexpeditionen an.

WIENER BRIEF
Der Wiener Kunstfrühling hat uns diesmal keinerlei
nennenswerte Emotionen gebracht, höchstens solche,
die mit Kunst nur im übertragenen Sinne des Wortes
etwas zu tun haben. Das öffentliche Kunstleben
stand im Zeichen der Jubiläumsfeierlichkeiten der
Genossenschaft bildender Künstler Wiens (Künstler-
haus). Die Künstlergenossenschaft ist vor fünfzig
Jahren gegründet worden, hatte schon in den ersten
Anfängen einen etwas offiziellen Charakter und hat
es im Verlaufe von fünfzig Jahren verstanden, die
Gunst des breiten Publikums, sowie der hohen und
höchsten Kreise zu erringen und »die« Wiener Kunst
zu repräsentieren. Diese allgemeine Gunst zeigte sich
nun deutlich genug in glanzvollen Festen und Emp-
fängen, Reden, Toasten, in großen Geldzuwendungen
und, last but not the least, sie zeigte sich auch darin,
daß in der »Jubiläumsausstellung« fast sämtliche aus-
gestellte Werke ihren Käufer fanden. Daß diese retro-
spektive und akademische Kunstrichtung in Wien
noch heute so feste Wurzeln hat, gehört zu den
vielen rätselhaften Unerklärlichkeiten der Kaiserstadt,
die ja auch in andern Beziehungen die konservativste
aller Großstädte ist. Ein geistreicher Wiener Publizist
hat die witzige Parallele gezogen: »Die Künstler-
genossenschaft verhält sich zur Malerei ähnlich wie
der Männergesangverein zur Musik«. Und da auch
der Männergesangverein in Wien, der Musikstadt par
excellence, noch heute eine hochoffizielle Stellung
einnimmt und große Bedeutung hat, so stimmt die
Gleichung auch nach außen. Der ernste und unvor-
eingenommene Kunstbetrachter, der es vorzieht, von
Künstlern Werke zu sehen statt schwungvolle Reden
zu hören, hätte erwartet, anläßlich des Jubiläums in
einer großen Ausstellung das Fazit der letzten fünfzig
Jahre zu sehen, an der Hand der besten Werke der
verstorbenen und lebenden Künstler beurteilen zu
können, was denn nun die Genossenschaft Zeit ihres
Bestehens Gutes geleistet hat. Aus unerfindlichen
Gründen hat sich die Genossenschaft diesen Rechen-
schaftsbericht geschenkt. Böswillige Menschen wollen
wissen, daß die retrospektive Ausstellung des Aqua-
rellistenklubs der Genossenschaft im heurigen Winter
(vergl. Kunstchronik Nr. 16, Sp. 248) der Genossen-
schaft die Lust zu solchen Experimenten genommen
hat. So war die Jubiläumsausstellung nur dem Namen
nach eine besondere, tatsächlich war sie eine der ge-

wöhnlichen Frühjahrsausstellungen mit ein paar Gästen*
Etwas Besonderes waren bloß die vom Thronfolger
für die neue Hofburg bestellten Historienbilder, die
auch ausgestellt wurden. Sonst überwogen wie immer
die Porträts, die bestenfalls repräsentativ, manchmal
routiniert ä la Läszlö waren. Unter den Malern waren
m. E. nur zwei hervorhebenswert, Jehudo Epstein, ein
temperamentvoller Künstler mit beherztem saftigem
Kolorit (besonders in seinem Bilde »Im Gemüseladen«,
einer italienischen Straßenszene mit überzeugendem
Leben) und Hans Larwin mit seinem Bilde »Winter-
sport in Neustift am Walde«. Von Gästen hatten
sich u. a. einige Worpsweder, Lavery, Läszlö, sowie
Leon de Smet, ein belgischer Pointiiiist, dem es in
der vornehmen und reservierten Umgebung nicht
recht wohl war, eingefunden. Von Plastikern ist Karl
Wollek zu nennen, der leider in seinem kolossalen
»Wieland der Schmied«, der für das neue Brünner
Museum bestimmt ist, sich zu einer bramarbasierenden
Geschwollenheit und Aufgeblasenheit hinreißen ließ,
die Größe und Monumentalität bedeuten soll.

Die »Sezession« hat in ihrer Ausstellung eine
große Kollektion von Werken Alfred Philippe Rolls
gezeigt. Die Wahl ist bedauerlich. Man sieht in
Wien so wenig von guter fremder Kunst, daß es zu
falschen Auffassungen führen kann, wenn ein histo-
risch interessanter Künstler, der in seiner Jugend eine
gewisse Entwickelungsbedeutung gehabt hat, heute
aber zu den Künstlern gehört, die der jungen Kunst
im Wege stehen, gleichsam ein akademisches Über-
bleibsel aus der Manetzeit ist, von einer Vereinigung
gefeiert wird, die dem Leben dienen will. Vor allem
Rolls letzte Bilder haben eine manchmal geradezu un-
erträgliche Süßlichkeit der Farbe und der Empfindung.
Einer Freundespflicht genügte die Sezession, indem
sie eine Gedächtnisausstellung des im Dezember 1910
verstorbenen Mitgliedes Franz Jaschke veranstaltete.
Aus akademischen Schulanschauungen hervorgegangen,
hat er sich in seinen spätem Bildern an die Franzosen
und Belgier, an Pissarro, Monet und Rysselberghe
angeschlossen. In den Arbeiten, die um 1900 ent-
standen, interessierte ihn vor allem das leuchtende
Blumenbeet; in seinen letzten Arbeiten wurde er
wieder weich und zart, grünviolette Schatten wiegen
vor. Ein interessantes unaufdringliches Talent, das
in dieser Kollektiv-Ausstellung zu Ehren kam. Die
Mitgliederausstellung brachte kein Werk von über-
 
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