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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 11./​12.1929/​30

DOI Heft:
1./2. Maiheft
DOI Artikel:
Herrmann, Hanns: Der neue Weg der Kunstkeramik
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https://doi.org/10.11588/diglit.26238#0331

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Det? neue LDeg dev Kunftkeeamik

oon

Jianns Het?t?mann —Selb

\/on der offiziellen Kunstwissenschaft ist die Keramik
^ stets als Stiefkind behandelt worden. Bestenfalls
fand man die frühe keramische Kunst des Interesses
würdig; was später kam schien gegenüber den gleich-
zeitigen Leistungen der Malerei, 'Großplastik und Archi-
tektur so stark zu verblassen, daß man stillschweigend
darüber hinweggehen zu dürfen glaubte. Selbst die erste
Blüte der europäischen Porzellankultur im 18. Jahr-
hundert hat nur in Spezialveröffentlichungen einen Nie-
derschlag gefunden und fristet hier ein mehr oder weni-
ger verborgenes Dasein. Und der Sünden der Folge-
zeit nahm sich erst recht keine liebevolle Hand an, ob-
wohl eine auf Sachkenntnis beruhende objektive Kritik
— rechtzeitig geübt! — sicher das Schlimmste hätte
verhüten können.

Die philosophische Betrachtung und Systematisie-
rung künstlerischer Probleme, die ein seit Jahrhunder-
ten brachliegendes Gebiet zu bearbeiten anfing, ging mit
Rücksicht auf die zunächst gebotene Oekonomie der
Kräfte an einem Arbeitsfeld vorüber, das durch seine
Zwischenstellung zwischen Kunst und Kunstgewerbe
die eindeutige Fragestellung nur zu komplizieren drohte,
und beschränkte sich auf Stoffe, die auch dem großen
Laienpublikum bekannt waren und deren Erörterung
daher auf allgemeines Interesse rechnen konnte. Der
philosophische Rationalismus, wie er uns etwa in den
kunstkritischen Schriften Lessings entgegentritt, suchte
alles zu vereinfachen und auf einen Generalnenner zu
bringen, weil man so am ersten allgemeingültige Gesetze

aufstellen zu können vermeinte. Aber wie die Astrono-
mie unserer Tage in ihren Forschungen vorzugsweise
die Anomalien, die Abweichungen von scheinbar ein-
deutigen Gesetzen berücksichtigt, so sehen auch wir in
dem Grenzgebiet der Kunstkeramik den besten Stoff
für ästhetische Untersuchungen, an dem sich die Be-
rechtigung diktatorischer Ambitionen erst zu erwei-
sen hat.

Für unseren ersten Versuch scheiden wir die Ge-
fäßkeramik aus, obwohl einzelne Generationen in ihr
ohne Zweifel ihren rein künstlerischen Willen mani-
festiert haben. Und da immer noch ein Streit darüber
besteht, wie weit die Kunstkeramik dem Kunstgewerbe
oder der „freien“ Kunst zuzurechnen sei, beschränken wir
uns bei Betrachtung der keramischen Plastik auf jene
Werke, die in keiner Weise praktisch-zweckhaften Zie-
len dienen.

Die Aesthetik der Lehre vom „Wahrnehmbaren“
hat lange übersehen, daß das Wahrnehmbare zugleich
auch das „Wirkende“ ist. Die 'fliese, daß zum rich-
tigen Genuß eines Kunstwerkes notwendig das Fehlen
einer „interessierten Absicht“ gehört, hat indirekt auch
auf die schaffenden Künstler zurückgewirkt.und sie zu
folgenschwerem Verzicht auf eine in höheren Bezirken
tendenziöse Absicht verleitet. Erst Kant, der auf
der einen Seite noch das „Interesse an der Existenz des
ästhetischen Gegenstandes“ leugnet, erklärt doch an-
dererseits „die Schönheit als Symbol des Sittlich-
Guten“. Dadurch wird alle Kunst zu einem Expressionis-

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