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Kunstwart und Kulturwart — 35,2.1922

DOI Heft:
Heft 7 (Aprilheft 1922)
DOI Artikel:
Bernhardt, Josef: Aus Joseph Bernharts "Kaplan"
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https://doi.org/10.11588/diglit.14435#0034

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junge Frucht. Gehört sie dem Baum? Nein, im tzerbst, wenn sie voll nnd
golden ist, fällt sie ab und lästt den dürren Baum kahl und allein auf
den Winter warten. So ist die Welt eingerichtet, daß alles sich opfern
muß. Opfern aber heißt leiden! Wie oft, wenn wir Schmerz ausstehen,
krank am Leibe, traurig an der Seels sind, sprechen wir: Ach, wenn es
doch anders wäre! Wir verstehen nicht, warum Gott die Welt aus Freud
und Leid erschaffen hat. Ia, auf jeden wartet sein bestimmtes Leiden,
ein bestimmter Kelch, der nicht an ihm vorübergeht, auch wenn er

dreimal darum betet.-Also, was ist es, was wir heute lernen wollten?

Ich habe euch, Kinder, erzählt, was mir begegnet ist. Ich wollte Tiere
vom Leiden erretten und habe dafür ein anderes ins Leiden gebracht.
Ein Leiden also mußte geschehen. Vielleicht hätte ich meine Sache
besssr machen sollen, aber ich wußte im Augenblick nicht wie. Heute
weiß ich bloß, daß es Leid gibt, das man nicht verhüten, nur von einev
Kreatur auf die andere wälzen kann. Auch die Natur muß leiden, nicht
nur der Mensch. Warum, das ist ein Geheimnis, das wir nie ergründen.
Der Schmerz ist notwendig, das hat euer Kaplan an dieser traurigen Ge-
schichte gelernt. Lernt ihr es von ihm. Ich sag es noch einmal: der
Schmerz ist eine Einrichtung Gottes. Gott aber ist gut und will nur Gutes.
Also muß wohl auch der Schmerz etwas Gutes sein. Seht empor zum
Kreuz, an dem der Mann der Schmerzen hängt. Beten wir um seine
Kraft und Gnads, recht zu leiden!

<^eute war Kegeltag im Grünen Baum. Ich erzählte dem Rechtsanwalt
^von A. mein Erlebnis und fragte, wie der Fall rechtlich zu betrachten wäre.
Er sagte, daß ich vor dem Gesetze schuldig bin, weil die Katze in fremdem
Garten gewildert hat. Freilich, was geht es mich an, wenn überm Nach-
barzaun drüben sich die halbe Welt zerfleischt! Mitleidiger Mensch, der
du bist, laß die Finger vom Handel der Kreaturen! Sie sind, wie sie
sind, und niemand weiß, warum sie so sind. Ich bin nun doch um
einiges klüger geworden. Äbrigens ist vom Peter nichts zu sehen und zu
(7^er Bäuerin habe ich heut eine schöne „Legende" zum Geschenk ge-
^macht. Sie ist nun wieder ausgesöhnt. Wir blätterten in dem Buch und
fanden darin auch ein Bild, das den heiligen Franziskus darstellt, wie er
dem Wolf von Gubbio predigt, dem wilden Kerl, der auf das Wort des
Heiligen hin sein Rauben eingestellt hat. Dabei steht eine Betrachtung
unter dem Titel: Die ächzende Kreatur. Ich habe das Wort bei Paulus,
daß die seufzende Kreatur sich sehne nach dem Offenbarwerdcn der Kinder
Gottes, stets fremd und seltsam gefunden. Aber ich glaube fest, daß alle

bösen Dinge zusammenhängen und miteinander im Bunde sind wie die

guten, und daß die guten berufen sind, den bössn zu Hilfe zu kommen;,
denn die gnten verdanken es den bösen, daß sie kämpfen müssen und also
kämpfend sich gut erhalten. Wer begreift diese kriegerische Einrichtung
der Welt? Aber es bleibt bei Pauli Wort: „Es finden sich alle Geschöpfe
in Iammer und Wehe zusammen: wer von uns hörte ihr Seufzen nicht?"

Wär erst das Tier verendet — es wäre alles wieder gut! Die Kinder

schauen mich scheu, fast ehrfürchtig an, als wäre ich auf besondere Weise

ins Weltgeheimnis verstrickt. Auch der Pfarrer sieht die Sache nicht
mehr scherzhaft an.

/L.s ist Sonntagnachmittag. Was geschehen ist, macht mich erschauern
^-"wie ein dämonisches Rätsel. Die Katze lag hente morgen tot im Garten,,
neben ihr mein Täubchen zerrissen. Es hatte sich seit zwei Tagen zw'ischen

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