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Monatsberichte über Kunstwissenschaft und Kunsthandel — 1.1900/​1901

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Nr. 10
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Ostini, Fritz von: Aus der VIII. Internationalen Kunstausstellung im Münchener Glaspalast, 2, Die Romanen
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https://doi.org/10.11588/diglit.47723#0450

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409

gesichtes leiht, hat der Franzose besser getroffen. Unter
Lenbachs Hand gewinnt eben der Umriss eines markant
geschnittenen Gesichtes immer eine fast ornamentale
Bedeutung, er hat die Schärfe des streitbaren Priesters
besser dargestellt, als die Milde des Greises. Von den
hier vertretenen Meistern figürlicher Darstellung ist
Puvis de Ch avannes f wohl der berühmteste, sein
hieher gesandtes Werk aber, die „Enthauptung des
Täufers“, ist kaum das erste. Die strenge Symmetrie
der Anordnung, die gewollte Steifheit in der Stellung
des todesbereit Knieenden wirkt in dem kleineren Bilde
als Manier, während in Puvis de Chavannes umfang-
reichen Werken solche Dinge oft als majestätische Ruhe
empfunden werden. Dagegen ist Lucien Simons
„Prozession“ und kaum minder seine wenig anspruchs-
volle Atelierszene erstklassige Arbeit. Die lebensgrossen
Köpfe der verwitterten bretonischen Schiffer und Bauern
auf jenem Bilde sind von bewundernswerter Tiefe und
Wucht der Charakteristik, sie haben bei aller Modernität
der Mache etwas von schöner alter Holzschnitzerei
und sind auch ihrerseits wieder ein Zeugnis dafür, wie
wenig in der französischen Kunst von Verfall die Rede
sein kann. Vielleicht geht in Paris die Zahl guter Arbeiten
zurück, weil im Kampf ums Brod wahrscheinlich auch
die Zahl der frei und künstlerisch ohne Rücksicht auf
den Verkauf Schaffenden naturgemäss dezimiert wird.
Ein allzugrosses Unglück wäre das aber gar nicht,
denn jene Ueberfülle an Kunst, die uns vor zehn und
zwölf Jahren in Paris beinahe beängstigte, hat auch
eine Fülle nutzlos verschwendeter Kraft, hoffnungslos
verlorener Existenzen bedeutet.
Ziemlich kalt lassen uns ein paar berühmte Herren:
Gerome mit seiner „Ebene von Theben“ u. E. D e t ai Ile,
der die gleiche Gegend mit einem „Bonaparte“ staffiert
hat. Geröme, als Bildhauer ein grosser Mann, ist als
Maler wohl immer überschätzt worden und Detaille
zeigt sich in dem kalten Bilde, das ebenso gut, oder
besser in Berlin gemalt sein könnte, doch als voll-
kommen „ausgepumpt“. Er hat immer eine überraschende
Aehnlichkeit mit Herrn von Werner und vor diesem
eigentlich nur eine etwas ansprechendere Technik vor-
aus gehabt. Dagegen ist Rene Prinets „Kreuzersonate“
ein Bild, in dem sich der künstlerische Geist unserer
Zeit seltsam wiederspiegelt; eine heisse, wilde, nichts
weniger als theatralische Leidenschaft beseelt dieses
Liebespaar. Das ist Kunst ohne Phrase und ohne Pose!
Gaston la Touche verblüfft in seinen Pastellen
„Des Balles Ende“, „Theater“ u. s. w. durch virtuose,
impressionistische Mache, ebenso liegt der Wert von
0. Guillonet’s „Frohnleichnam in Sevilla“ in der hohen
malerischen und zeichnerischen Qualität. Louis Ridels
„Abschied“, den man eher für das Bild eines Engländers,
denn für das Bild eines Franzosen halten möchte, ist
eine ergreifende, novellistische Schilderung. Als Neuer
kommt uns mit seinen Bildern „Madame l’Oie“ und
„Europa“ Jean Veber, der kecke Karikaturist und
Spötter der modernen Pariser Witzblätter. In seinem
Triumphzug der Frau Gans, die riesengross durch eine
Stadt wandelt, besternt und gekrönt, von der Menge
bestaunt und angehocht, lebt etwas von Rabelais’
Satire. Ein charmantes Bildchen ist der „Raub der
Europa,“ ein originelles Werk, an dem der feine Kolorist
und der Schalk in Jean Veber gleichen Anteil haben
Glanzpunkte der Ausstellung sind Henri Thi^rots.

„Quellen“, die wunderbar weiche und poesievolle
Schilderung eines sommerlichen Flussthales mit baden-
den Frauen am Abend und Rene Mesnards einfach-
grosses Abendbild „Die Heerde“, ein Werk von reichstem
lyrischen Gehalt. Von Jules Alexis Muenier ist ein
guter Sommerabend da, in dem kleinen weltverlorenen
Kabinet für die zweite Garnitur schlechter untergebracht,
als er es verdiente, von Le Sidaner ein Paar merk-
würdiger, sehr intim wirkender Bilder, Ansichten des
gleichen kleinen Platzes in einem stillen Winkel der
Stadt in zweierlei Stimmungen, zarte Lichtmalerei von
liebenswürdiger Eigenart. Auch die Monet, Pissarro,
Cottet, Boudin, von denen jetzt wieder so viel ge-
sprochen, geschrieben und — versteigert wird, sind
vertreten, nicht alle durch Werke erster Güte; dankens-
wert ist es aber immerhin, dass wir die Sachen gerade
jetzt zu sehen kriegen. Ganz besonders reizende Pariser
Ansichten von bekannt geschickter und zierlicher Mache
schickt wiederum Jean Framjois Raffaelli.
Hätten wir dies Kapitel nicht „Die Romanen“ über-
schrieben, sondern etwa „Pariser Kunst“ getauft, so
wäre hier noch beinahe die ganze Gruppe der
Amerikaner aufzuzählen, die in München heuer aus-
gestellt haben, die Walter Gay, Weeks und Walter
Mac Ewen, Stewart, Bridgeman und Hitchcock,
Dannat, Gari Melchers, Weeks u. Seymour Thomas,
Van der Weyden, — sie sind in ihrer Kunst ja fast
alle Franzosen und leben auch in Paris. Die drei
Erstgenannten sind es wohl, die uns die meiste künst-
lerische Freude machen, vielleicht auch Melchers noch
mit seinen nüchternen aber sehr guten Frauenakten.
Die übrigen sagen nicht allzuviel neues.
Die Auswahl der Spanischen Kunst scheint dieses
mal eine recht willkürliche gewesen zu sein. Man sieht
da nirgends Merkmale eines Zusammenhangs, einer
Schule, einer Rasse — was gut ist, ist es für sich allein
und stammt, nebenbei gesagt, fast durchgehends aus
dem Besitze des spanischen Staates. Zu diesen Arbeiten
gehört das grosse Hauptbild des Saales allerdings nicht,
Jose Benlliure y Gils Riesenleinwand „Das Thal
Josaphat am Tage des jüngsten Gerichtes“, ein sehr,
sehr verdünnter Aufguss von des Malers einst mit
Recht bewunderter „Vision im Kolosseum.“ In dem
Schemengewimmel, das da wie Nebelmassen dem
biblischen Thale entsteigt, schweben Dante und Beatrice,
als die einzigen interessanteren Gestalten in einem
Schwarm von Heiligen, Märtyrern, Asketen und Klerus
aller Sorten. Auch gegenständlich hat der Maler dem
grandiosen Stoff so viel wie nichts abgewinnen können.
Vielleicht ein bischen schwer im Ton, aber rassig und
von grosser Wahrheit ist Pläy Rubios „In den Krieg“,
Soldaten, die vor dem Bahnzug stehend, von ihren
Lieben herzbewegenden Abschied nehmen. Vor dem
Koupee eines höhern Offiziers harrt schon der Trompeter
des Befehles, zur Abfahrt zu blasen — und dann fort
in Not und Tod! Feinere Malerei, aber auch in diplo-
matisch genauer Natürlichkeit fast abstossend ist die
„Oeffentliche Hinrichtung“ von Ramon Casas; wir
werden hier umständlich mit den Zeremonien und der
Technik einer Garottirung bekannt gemacht, ein Vor-
wurf, der in seiner brutalen Scheusslichkeit wohl nur
im Lande der Autodafes und Stiergefechte einen Maler
reizen konnte, noch dazu einen Maler von diesem un-
gewöhnlichen Können. Mehr ethnographisch als künst-
 
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