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Monatsberichte über Kunstwissenschaft und Kunsthandel — 1.1900/​1901

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Nr. 10
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Ostini, Fritz von: Aus der VIII. Internationalen Kunstausstellung im Münchener Glaspalast, 2, Die Romanen
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https://doi.org/10.11588/diglit.47723#0451

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410

lerisch interessiert „Der Stolz des Dorfes“ von Antonio
Fillol y Grannell. Der Stolz des Dorfes — ist er
Opernsänger, Torero oder Deputierter, der da von den
Spitzen der Behörden und seinen Eltern Abschied
nimmt? — sieht beinahe komisch aus, mag er als Typus
noch so gut getroffen sein. Viel Kraft und Verve liegt
in Chicharro y Agiiera’s lebensgrossen Pygmalion-
bilde, in der Farbe aber ist es etwas roh und unan-
genehm wirkt die überpastose Technik. Die Oelfarbe
wirft hier förmlich Falten (z. B. am Leib der Statue
selbst) und zwar nicht immer in der Richtung des
Pinselstrichs, so dass es aussieht, als sei die Dar-
stellung über ein anderes Bild gemalt. Mit Glück ist
der weiblichen Figur der Ausdruck des Erwachens zum
Leben verliehen. „Illusion und Wirklichkeit“ — mit
diesem vollkommen unverständlichen Titel bezeichnet
Felipe Abarzuza sein vorzüglich gemaltes Interieur,
ein Vorzimmer mit wartenden Menschen; vielleicht halten
sie Totenwache, vielleicht thun sie etwas ganz anderes
— für den Nichtspanier ist es jedenfalls kaum zu ent-
scheiden. Wackere Arbeit, wenn uns heute auch der
Gegenstand nicht mehr fesseln kann, ist ferner das
grosse Spitalbild vonSoriano Fort „Ein Unglücklicher“,
wackere Arbeit ist das, für unseren nordischen Ge-
schmack nur etwas zu prunkvolle Herrenbildniss von
Salvador Martinez Culaells. Von den Landschaften
sind es namentlich zweie, die uneingeschränktes Lob
verdienen: „Die Sümpfe des Nemi“ von Nikolas
Raurich Petre in Barcelona und Joaquin Mir y
Trinxet’s „Garten des Einsiedlers.“ Durch die zwei
umfangreichen Landschaften von Muüoz Degrain
geht wohl unläugbar ein grosser Zug, namentlich der
„Oktobertag“ mit den pittoresken Baumleichen ist be-
merkenswert; aber der Strich des Künstlers ist merk-
würdig maniriert, so maniriert, dass auf dem zweiten
Bilde kaum mehr zu erkennen ist, ob die wild bewegten
Dinge, die man da vor sich hat, kämpfende Raubvögel
oder wunderlich geformte Baumäste sind. Alles in
allem: wir erfahren aus dem Spanischen Saal im Glas-
palast nur sehr lückenhaft, wie heute die spanische
Kunst aussieht!
Dagegen gibt uns die sehr reichhaltige italienische
Abteilung Proben aller Geschmacksrichtungen und Wert-
unterschiede der modernen Malerei in Italien und wie
uns auch das schlechteste nicht erspart bleibt von dem,
was dort die Massenproduktion zu Tage fördert, so
werden uns auch Leistungen der besten nicht vorent-
halten, Leistungen, die den fruchtbaren Ansatz zu einer
„Neuen Italienischen Kunst“ darzustellen scheinen. Viel-
fach ist der Einfluss von Giovanni Segantini f zu
spüren, von dem selbst ein paar, offenbar ältere Werke
zu sehen sind, die von seinem Wesen keinen rechten
Begriff geben. Eine solche Verwandtschaft, zu der frei-
lich sehr viel selbständige Anschauung kommt, zeigt
sich in den vortrefflichen Bildern des Venetianers Sar-
torelli, dessen grosses, lichtdurchtränktes Seebild
„Visione del Lago“, dessen Abenddämmerung mit der
ergreifenden Staffage einer obdachlosen Wandererfamilie
und dessen frisch und derb hingestrichene Schnecken-
sucherin zu den besten Bildern der Abteilung gehören.
Trockener in seiner Mache ist Giuseppe Pelizza, der
mit ähnlichen Mitteln aber schier zu starker Objektivi-
tät grosse Naturwahrheit erzielt. In „Sui fenile“ schil-
dert er einen auf dem Heuboden sterbenden armen

Teufel; nicht ohne Humor ist das Morgenbild mit den
Schafen im Gänsemarsch, die auf einem schmalen Damm
quer durch den Sumpf dem Leithammel folgen. Carlo
Fornaro zeigt, und noch dazu nicht ohne farbigen
Reiz in seinem Bilde „Auf der Weide“ die unveränderte
umständliche Technik Segantinis, hat es aber fertig
gebracht, trotz dieser speziell auf Luftwirkung zielenden
Malweise, alle und jede Luftperspektive vermissen zu
lassen. Auch Angelo Morbellis lebensgrosse Ar-
beiterinnen im Reisfelde deuten noch auf gleiche Ein-
flüsse, aber die Technik ist hier vergröbert, bunt und
hart geworden, vertheoretisiert, wenn man so sagen
darf. Wunderschön ist Beppe Ci ar dis „Abend“ mit
dem Alten, der seine Schafe melkt; wie ein weicher,
lauer Wind weht es einen aus dem Bilde an. Und
welcher Zauber in dem Bilde „Helle Nacht“! Auch
Antonio Rizzis „Heimkehr am Abend“, ist ein Werk,
das bedingungslos erfreut, grosszügig, voll Sonne, Heiter-
keit und Rythmus; Guglielmo Ciardis „Oktober“ mit
seinen warmen, vollklingenden Farben, Sofia de Bri-
cherasios Landschaft mit dem Frühschnee, Fragia-
comos in seiner Einfachheit so ergreifender Abend-
frieden und sein Markusplatz, der fast an Turner er-
innern möchte, Augusto Sezannes pittoreske und
gut gemalte „Alte Mühlen am Po“ — lauter schöne
und durch und durch künstlerische Arbeiten ! Und dann
die superbe Tauwetterlandschaft von Emilio Golaund
des gleichen „Am Naviglio in Mailand“ mit seiner
saftigen, breiten Malerei, Cairatis grosse Mondnacht,
Carozzis trauriges Nachtstück, Alessandero Milesis
Venetianer Kanal mit der auf den Gondelier wartenden,
lebenswahren Gruppe, Maicus Pictors eigenartige
„Mondnacht in Venedig“ und sein phantastisches aber
schwer verständliches Bild „finis coronat opus“ —
welche Fülle des Interessanten und Wertvollen! Silvio
R ottas „Verlassenes Gemäuer“ ist gewiss eine der
geistreichsten und meisterlichsten Schöpfungen in der
ganzen Ausstellung, Gaetano Previatis „Tanz der
Stunden“ nicht minder ein Werk voll Poesie und schöner
Anmut, das freilich in dem entlegenen Kabinet 65 von
drei Vierteilen der Besucher nicht gesehen wird. Mit
seltenem Können ist Pio Joris Kirchenfest in der
Peterskirche, ist Grossos Damenbildniss und noch
mehr dessen schlichtes Conterfei eines alten Mannes,
Barisons Streit in der Schenke, Ferraguttis
reizender durchgeistigter Frauenkopf „Der Sommer“
gemalt — und noch vieles andere! Und trotzdem ist’s
nicht behaglich in den italienischen Sälen: Für jedes
gute, vornehme Bild hängt auch wieder ein Stück
Fabrikarbeit da, über das man sich ärgert oder irgend
ein Ding, das brutal sinnlich ist, wie Enrico Lionnes
„Blaue Reflexe“, aufdringlich in seiner Charakteristik
wie Teofilo Patinis „Am Sterbebette“, zu gross, oder
zu bunt, oder zu ausgetüftelt. Als die unterste Stufe
der italienischen Kunst kann man dann die höchst ver-
käuflichen Aquarelle anekdotischen Inhalts bezeichnen,
wie sie Core Hi und Martin etti und die weitver-
zweigte Künstlerfamilie Tutti quanti bieten. Die ange-
borne manuelle Geschicklichkeit des Italieners, die er
auf allen Gebieten zeigt, ist, so seltsam das klingen
mag, vielleicht die grösste Gefahr für die Kunst in
jenem Lande. Das äusserlichste in der Kunst wird
ihnen furchtbar leicht und da die grosse Menge nur
für das äusserlichste Augen und Verständnis hat, steht
 
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