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Monatsberichte über Kunstwissenschaft und Kunsthandel — 1.1900/​1901

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Nr. 10
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Haenel, Erich: Internationale Kunstausstellung Dresden 1901, 1
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https://doi.org/10.11588/diglit.47723#0455

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der ausländischen Kunstfreunde von vornherein sicher
sein. Und man ist in seinen Erwartungen nicht getäuscht
worden. Wieder ist es, nach den künstlerischen Erfolgen
von 1897 und 1899, den Ausstellungsleitern gelungen,
eine harmonische und abgeschlossene Gesamterscheinung
zu bieten, die in ihren Hauptlinien sich von dem früher
Gebotenen wesentlich unterscheidet, ohne dabei an Eigen-
art und Feinheit hinter jenem zurückzubleiben. Hier ist
erreicht, was anderswo kaum versucht wurde: der äussere
Rahmen ist zur Einheit geworden mit dem Inhalt, die
Gestaltung und Ausschmückung der Räume steht auf
derselben künstlerischen Höhe wie deren stumme Be-
wohnerschaft selbst. So sind wir in der Lage, der deko-
rativen Architektur, sonst dem papierenen Stiefkind der
grossen Bildermärkte, fast ein eigenes Kapitel zu widmen.
Hat doch der begabteste unserer jüngeren Architekten,
der Schöpfer der Bismarcksäulen und des Eisenacher
Burschenschaftsdenkmals, Wilhelm Kreis, in der Haupt-
halle, die den Skulpturen eingeräumt ist, eine bau-
künstlerische That allerersten Ranges vollbracht. Wir
können auf die Mittel, durch die er dem riesigen Raume,
ihn äusserlich verkleinernd, den Charakter einer herben,
feierlichen Monumentalität verlieh, ohne sein Wesen als
Ausstellungshalle dem Stil nach zu verhüllen, hier nicht
im Einzelnen eingehen. Bestimmend für die Wirkung
wurde die Verkleidung der einen seitlichen Fensterreihe,
der gewaltige Zentralbogen, der das Bartholomdsche
Grabmal umschliesst, und der sparsame Gebrauch der
Ornamentation. Der düstere, schwarzblaue Grundton,
in dessen Durchbildung nach der dekorativen Seite hin
dem Künstler Otto Gussmann zur Seite stand, ist auch
als Hintergrund für die Bildwerke von vollendeter
Schönheit. Gussmanns grosse dekorative Wandgemälde,
die schon das deutsche Haus auf der Pariser Aus-
stellung zierten, haben einen Platz auf der Galerie ge-
funden, und die sonnenüberglühten Frauenleiber leuchten
märchenhaft auf den Saal herunter.
Und nun zu den Kunstwerken selbst. Eine weise
Jury hat unter der Ueberfülle des Angebotenen sorg-
fältig gesichtet, und so sind es nur etwa 1000 Gemälde
und je halbsoviel graphische Blätter und Skulpturen,
die da in den 42 Zimmern und Sälen an dem Beschauer
vorbeiziehen. Dazu kommt eine ungewöhnlich reiche
kunstgewerbliche Abteilung, wie ja schon vor zwei
Jahren dieses Gebiet künstlerischer Bethätigung besonders
durch die grosse und vornehm ausgewählte Zahl voll-
ständiger Zimmereinrichtungen ein Glanzpunkt der Aus-
stellung gewesen war. Es ist somit die Möglichkeit
gegeben, schon bei flüchtigem Durchgang ein Bild des
Gebotenen in sich aufzunehmen und die bei einer Auf-
häufung von gegen 3000 Kunstwerken, wie sie z. B. im
Münchener Glaspalast besteht, unfehlbar eintretenden
Ermüdungserscheinungen auf das geringste Mass zu
beschränken. Unter den Sälen der deutschen Abteilung
allein ist eine Art Ueberfüllung zu spüren; in den übrigen
Räumen lässt sich ohne Mühe das Wohlbehagen ruhigen
Kunstgenusses erzielen, das der Inbegriff jedes Aus-
stellungs- oder Galleriebesuches sein sollte.
Dass die Plastik unter den Werken der Ausstellung
einen ganz besonders hervorragenden Platz einnimmt,
ist man in Dresden nachgerade schon gewohnt. Auch
diesmal wieder ist es gelungen, neben einer guten Aus-
wahl einheimischer Arbeiten eine Reihe solcher aus

Frankreich, Belgien und Italien heranzuziehen, Arbeiten,
denen wir, unter Uebergehung aller jener Proteste, die
ihr Ankauf aus öffentlichen Mitteln in den vergangenen
Monaten hervorgerufen hat, nur das grösste Interesse
entgegenbringen können. Bartholomes Denkmal für die
Toten auf dem Pere Lachaise, in Erinnerung an des
Künstlers Gattin geschaffen, dessen Abguss nun der
Stadt Dresden gehört, ist ein vielgerühmtes Meisterwerk.
Schönheit der Linienführung und eine durchgeistigte Reife
der Naturanschauung vereinigen sich hier, um dem ganzen
eine Weihe, ja Tragik der Stimmung zu verleihen, die
gerade durch das Fehlen einer ganz klaren künstlerischen
Idee einen besonderen Zauber erhält. Der tiefe Eindruck,
den die etwas gedrängten Seitengruppen machen, mag
bei näherem Versenken in die Einzelheiten der Ge-
staltung vielleicht nicht ganz standhalten, die Mittel-
gruppe wird in ihrer, von wahrer Empfindung gesättigten
Schönheit stets unter den vornehmsten Werken der
neueren plastischen Kunst genannt werden dürfen. Ueber
Rodin zu sprechen, dem wir in etwa einem Dutzend
Werken begegnen, ist heutzutage eine verantwortungs-
reiche Aufgabe. Sein opus classicum ist der Johannes
imLuxembourg. Hier ist derNatur eine neue individuelle
Form gegeben, die uns ganz ungeahnte Schönheiten
enthüllt und das mit einer grandiosen Selbstverständ-
lichkeit, deren sich ein Michel Angelo nicht würde zu
schämen brauchen. Der rechte erhobene Arm dieses
trotz seiner eingefallenen Brust so muskulösen Mannes
wirkt für jeden mit der historischen Ausdrucksweise
plastischer Kunst Vertrauten wie eine Offenbarung.
Man sieht hier, was Rodin leisten kann, wenn er sich
seine plastische Kraft nicht von der „Mystik des inner-
lich Erlebten“ vergewaltigen lässt. In dem Bürger von
Calais halten sich beide Faktoren noch die Wage; die
Gestalt ist von einer erschütternden Lebenswahrheit, in
der Schlichtheit des Aufbaues fast ohne Vorbild. Aber
wer vermag die psychische Bewegung, mit der Viktor
Hugo, in dem vielbesprochenen Denkmalsentwurf, seiner
inneren Stimme lauscht, aus der steifen Bewegung der
übergrossen Hand voll herauszufühlen, wer möchte
nicht einen fast parodistischen Widerspruch zwischen
dem Gigantenhaupt des Poeten und dem verkümmerten
Wesen, das sich an sein Ohr geschwungen hat, peinlich
empfinden? Uns scheint, diese Inkarnation einer seeli-
schen Zuckung ein künstlerischer Fehltritt, und unver-
einbar mit den Grundgesetzen vor allem des monumen-
talen Schaffens. Wo Rodins kleinplastische Gestalten,
wie die „Eva“, die „Paolo Malatesta und Francesca
da Rimini“ sich wirklich aus dem Steine losgelöst haben,
kann man ihnen einen urpersönlichen Zug sensitiven
Lebens nicht absprechen; und gar seine Bildnisse, wie
das von Laurens, sind von ganz genialer psychologischer
Schärfe. Fremiets Naturalismus ist in der Zeit des
Rodintaumels von vielen als brutal verschrieen worden.
Und doch eignet seiner Riesengruppe des hl. Georg
bei aller Verve ein Stilgefühl und eine Geschlossenheit
des Aufbaues an, die wir in den Werken jenes grossen
Mystikers zu oft vergeblich suchen. Desselben Meisters
Grabfigur einer Italienerin beweist, dass seine Kunst
auch den feineren Effekten zugänglich ist, die wir aus
der Stimmung des Epitaphs zu nehmen gewohnt sind.
Der zu früh gestorbene Carries zeigt sich, in einer
Sonderausstellung von annähernd 30 Werken, als ein
 
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