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Monatsberichte über Kunstwissenschaft und Kunsthandel — 1.1900/​1901

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Nr. 11
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Krauss, Ingo: Das Portrait Dantes, 1, Dantes Portrait in der litterarischen Ueberlieferung
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https://doi.org/10.11588/diglit.47723#0492

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457

sicht benutzt werden darf. Unter diesem Gesichts-
punkte müssen wir auch die Zeilen Boccaccios prüfen,
welche uns hier beschäftigen. Der Anfang scheint eine
Bestätigung von convivio I, 3 zu enthalten: „Der Dichter
war von mässig grosser Gestalt.“ Dass Dante im Alter
etwas gebückt gegangen sei, wiederholt Boccaccio an
anderer Stelle. Im Kommentar1) schreibt er über Andrea
Poggi: „andava un poco gabbo, come Dante si dice
ehe facea“. Jedoch die Einfügung des „si dice“ warnt
davor, diese Mitteilung, soweit sie Dante betrifft, als
unumstössliche Thatsache zu glauben. Boccaccio selbst
weist durch dieses vorsichtige „man sagt“ die Ver-
antwortung für seine Angabe von sich zurück.
Bemerkenswert ist aber seine Behauptung, Dantes
Haar sei schwarz gewesen. Hierin befindet er sich in
offenbarem Widerspruch zu Ecloge 1. Dort bezeichnete
sich der Dichter als blond. Gegenüber einem so ge-
wichtigen Argumente bleibt nichts übrig, als Boccaccio
eines Irrtums zu zeihen. Wenige der Zeitgenossen
mögen wohl des Dichters Haupthaar gesehen
haben. War doch der Kopf durch den modischen
cappuccio stets ganz eingehüllt. Ebenfalls nicht in
vollem Umfange aufrecht erhalten lässt sich die Er-
zählung von Dantes schwarzem und dichtem Barte.
Boccaccio selbst erbringt dafür den Beweis. Im dritten
Paragraphen seiner Dantebiographie2) erzählt er nämlich,
der Dichter sei durch den Tod Beatrices so mitge-
nommen worden, dass er sein Aeusseres völlig ver-
nachlässigte und „magro, barbuto e quasi tutto tras-
formato da quello ehe avanti essere solea“ wurde.
Dass der damals 25jährige Dante in seiner kummer-
vollen Gleichgültigkeit sich den Bart wachsen liess, fiel
also dermassen auf, dass es als etwas Fremdes an ihm,
als eine Veränderung in malam partem hervorgehoben
wurde. Andrerseits betont Boccaccio in der anfangs
citierten Stelle, dass Dante stets auf Wohlanständigkeit
und Würde des Auftretens hielt. Das Tragen eines
Bartes scheint in damaliger Zeit der gute Ton einem
Manne von Stand zu verbieten3). Wenigstens lassen
die zahlreichen bartlosen Portraits aus jenen Tagen den
Schluss zu. Dieselbe Folgerung ergiebt sich auch aus
einer Anekdote, die gleichfalls Boccaccio überliefert4).
In Verona erregte der Dichter die Aufmerksamkeit
einiger plaudernder Frauen. Die eine derselben wies
auf ihn mit den Worten: „Sehet den dort, er geht in
die Hölle und kommt zurück, wann es ihm behagt,
und giebt Kunde von der Farbe dort unten.“ „Wahr-
haftig, Du hast Recht“, antwortete eine andere, „siehst
Du nicht, wie er durch Rauch und Hitze Bart und
braune Farbe bekommen hat?“ Wenn gleich die Glaub-
würdigkeit dieser Anekdote in Zweifel steht, dieselbe
also einer geschichtlichen Untersuchung nicht als
Grundlage dienen kann, so geht doch auch aus ihr
hervor, dass ein Bart damals als etwas Absonderliches
auffiel und nur durch die ungewöhnliche Strapaze einer
Höllenwanderung für den vorliegenden Fall erklärt
wurde.
Wir sind also wohl berechtigt, auch in diesem
9 Boce, Comento. II. p. 129.
2) Bocc. vita di D. Macri-Leone, p. 18.
3) Siehe auch Costümgeschichte der Kulturvölker. Jakob von Falke.
Stuttg. 1880. p. 196, 197. Desgl. Bruno Köhler. Allgem. Trachtenkunde.
Lpz. „Bei den jiin gere n Männern sah man stets glattrasierte Gesichter,
ältere trugen hin und wieder einen Vollbart.“
4) Bocc. loc. cit. p. 43.

Punkte die Angabe Boccaccios einzuschränken. Er
selbst hat sich vielleicht durch Missverständnis des
Verses im Purgatorio dazu verleiten lassen.
Seine Arbeit diente in der Folgezeit der Mehrzahl
aller Dantebiographen direkt oder indirekt zur Vorlage.
Filippo Villani (schrieb seit 1343—1405) eröffnet die
Reihe derselben. Er war 1401 zum Nachfolger Boccaccios,
der 1375 gestorben war, als Erklärer der DivinaCommedia
berufen worden. Seine „vita Dantis“ ist im Grunde
nichts anderes als eine lateinische Uebersetzung der-
jenigen seines Vorgängers. Das beweist allein schon
eine Vergleichung beider Texte. Ausserdem spricht
es Villani selbst aus, dass er die Dantevita Boccaccios
gekannt hat1). Somit bietet er für unseren Gegenstand
keine neuen Anhaltspunkte2). Zwar nennt er die Nase
nicht nur „aquilinus“, sondern auch „subgibbosus“,
und die Kinnladen „pendentes“. Diese Zusätze sind
aber ganz unwesentlich und scheinen nur rhetorische
Ausschmückungen zu sein.
Von desto grösserer Bedeutung ist dagegen die
Dantebiographie des Leonardo Bruni (1369—1444). Er
erkannte die Unzulänglichkeit und die Schwächen der
Arbeit des Boccaccio und richtete seine Kritik gegen
die novellistische Art der Geschichtsschreibung, wie
sie jener geistvolle Schriftsteller beliebte. So äussert
Aretino in der Vorrede zu einer „vita di Dante“3):
.„mi parve ehe il nostro Boccaccio, dolcissimo,
e suavissimo uomo, cosi scrivesse la vita, e i costumi
di tanto sublime Poeta, come se a scrivere avesse il
Filoscolo, o il Filostrato, o la Fiammetta“.und
an einer anderen Stelle:.„e tanto s’infiamma
in queste parti d’amore, ehe le gravi, e sustanzievoli
parti della vita di Dante lascia in dietro, e trapassa
con silenzio, ricordando le cose leggieri, e tacendo le
gravi.“ Aus diesem Grunde, so fährt er fort, wolle er
eine neue Lebensgeschichte Dantes abfassen, die mit
Gründlichkeit auf die wichtigen Momente eingehe.
Bruni aber berichtet über Dantes körperliche Erscheinung:
„Fu uomo molto polito, di statura decente, e di grato
aspetto e pieno di gravitä“. Im Uebrigen verweist er
auf das Bild des Dichters in Santa Croce zu Florenz,
das er kannte. Er lässt die Angabe Boccaccios über
den Bart Dantes als unsicher fallen.
Noch auffälliger tritt diese Erscheinung zu Tage
bei einem Sonette, das Theod. Paur im Jahrbuch der
deutschen Dantegesellschaft (1869, II.) abgedruckt hat.
Leider war es nicht möglich, den Verfasser und die
genaue Zeitangabe desselben ausfindig zu machen.
Paur berichtet nur, dass es von Lyell veröffentlicht
worden sei und sich „dem Ende einer grossen Zahl

1) Fil. Villani. Il comento al primo canto dell’ Inferno. Giuseppe
Cugnoni. Cittä di Castello. 1896. p. 30. „Circa personarh efficientem
causam denotantem, quoniam de origini, vita, studiis moribusque poete
Johannes Boccaccii libellum edidit, et nobis eo libro, quo scripsimus de
hedificatione civitatis Florentie et de suis illustribus ciuibus, referre
contigerit.“
2) Fil. Villani. Vita Dantis etc. p. 27/28. „Fuit poeta staturae
mediocris, oblonga paululum facie, oculis plusculum grandioribus,
nasu aquilino et subgibboso, latis pendentibusque maxillis, inferiori labio
aliquantisper eminentiori, coloris fusci, spissa barba, capillo suberispo,
niggerimo et adusto. Is dum annis maturuisset curvatis aliquantulum
renibus incedebat, incessu tarnen gravi, mansuetoque aspectu, tristisque
illi in facie severitas inerat, et quae citra comitatem, qua pro temporis
opportunitate mire pollebat melancolico habitu absolesceret.
8) Le vite di ;Dante e del Petrarca scritte da Lionardo Aretino.
Franc. Redi. Fir. 1672. p. 7—8. Die Interpunktion richtet sich nach dieser
Ausgabe.
 
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