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Sondheim, Moriz
Gesammelte Schriften: Buchkunde, Bibliographie, Literatur, Kunst u.a. — Frankfurt a.M., 1927

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https://doi.org/10.11588/diglit.34388#0035

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die ganze Aufmerksamkeit des Forschers. Sie ist die nothwen-
dige Ergänzung aller ernsten Sprachstudien; nur durch sie
können wir den individuellen Geist, den innersten Kern einer
Sprache ergründen. Das neue Werk von Lubarsch wird daher
jedem Freunde der romanischen Sprachen willkommen sein.
Es ist kein Handbüchlein für Dichterlinge; der Verfasser hat
weniger die Absicht, Regeln aufzustellen, nach welchen Verse
gebaut werden sollen, als dieselben aus den vorhandenen Bei-
spielen abzuleiten, und er schlägt hierbei den einzigen richtigen
Weg ein, er geht bis zu dem Ursprünge der französischen
Sprache zurück.
Im Französischen ist der Rhythmus viel unbestimmter und
wechselnder als im Deutschen. In unserer Sprache liegt der
Versaccent auf der Stammsylbe, so daß in einem gut gebauten
Vers der Wortaccent und der Versaccent fast immer zusammen-
fallen. Im Französischen aber kann der Wortaccent, der in
Folge der eigenthümlichen Bildung dieser Sprache aus dem
Lateinischen auf der letzten lautenden Sylben liegt, durch die
Stellung des Wortes im Satze ganz unterdrückt werden, so-
daß die Festsetzung des rhythmischen Werthes der Tonsylben
oft ungeheure Schwierigkeiten bietet. Es sind kaum siebzig
Jahre, daß man die Regeln, die ihn bestimmen, entdeckt hat;
bis dahin sprach man den französischen Versen jeden festen
Rhythmus ab, und noch im Anfänge dieses Jahrhunderts de-
finirten sie ernste Forscher als „gereimte Zeilen aus einer be-
stimmten Anzahl von Sylben bestehend." Seitdem haben der
Italiener Scoppa, Quicherat und in neuester Zeit der Graf
Gramont die Theorie des Rhythmus begründet und entwickelt.
Herr Lubarsch hat die Forschungen dieser Gelehrten zusam-
mengefaßt und sorgfältig gesichtet, und auf dieser Basis hat er
versucht, die Lehre weiter auszuspinnen.
Aus der Analyse der Werke der verschiedendsten Dichter
ist es ihm gelungen, ein System aufzubauen, das auf der Silben-
betonung gründet und an Logik und Klarheit nichts zu wün-
schen übrig läßt. Diesem Abschnitt hat er den größten Theil
seines Buches gewidmet, indem er, nachdem er ein festes Ver-
fahren abgeleitet, um die Versen nach Tonsylben zu scandiren,
zuerst den Einfluß der Tonsylben als Träger des Rhythmus
untersucht; darauf weist er die Entwickelung des französischen
Verses aus den rhythmischen Elementen dieser Sprache nach
und unterzieht die verschiedenen Versarten einer genauen Ana-
lyse. Zu diesem Zwecke theilt er sie in drei große Gruppen
ein: einfache cäsurlose Verse; zusammengesetzte Verse mit
rhythmischer Cäsur; zusammengesetzte cäsurlose Verse und
Verse von weniger als vier und mehr als zwölf Sylben. Die
übrigen Abschnitte des Werkes behandeln den Reim, der in
der französischen Poesie eine Bedeutung hat, von der wir in
Deutschland kaum eine Ahnung haben, die Strophenbildung,
 
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