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Sondheim, Moriz
Gesammelte Schriften: Buchkunde, Bibliographie, Literatur, Kunst u.a. — Frankfurt a.M., 1927

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https://doi.org/10.11588/diglit.34388#0203

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sehen Werke" mag die neue Generation zum alten Eisen wer-
fen, die späteren Geschlechter werden sie wieder hervorholen;
und die Kunstgesetze, nach welchen du sie ersonnen und aus-
geführt, werden noch gelten, lange nachdem der auf sich
selbst gestellte moderne Stil in sich seihst zusammengebrochen
sein wird.

Neues über Goethe.
Anknüpfend an ein neues Werk von E. Rod bringt die
Revue Bleue in ihrer Nummer vom 17. September einen
Aufsatz von Herrn Emile Faguet über Goethe, der in lite-
rarischen Kreisen in Deutschland große Aufregung verur-
sachen wird. Herr Faguet beweist darin, daß es Dichter gibt,
wie z. B. Frau Desbordes-Valmore, denen man einen großen
Dienst erweist, wenn man ihre Werke durch ihr Leben erklärt,
aber bei einem Menschen wie Goethe werden die Werke ver-
kleinert, schwächlich und farblos, wenn man sie mit seinem
Leben zusammenbringt. Das ist ein schwerer Schlag für die
Goethe-Gesellschaft, die nun ihre Schriften und ihr Jahrbuch
einstellen muß und sich wohl am besten ganz auflöst, wenn
sie Goethes Ruhm noch retten will. Denn wir zweifeln nicht,
daß es ihren sämmtlichen Mitgliedern wie uns ergehen und
der Aufsatz des Herrn Faguet Allen über das Erbärmliche in
Goethes Leben die Augen öffnen wird. Dieses Leben entrollt
er in wenigen aber scharfen Zügen folgendermaßen:
„Goethe ist ein eitles und geziertes Studentchen in Straß-
burg, er unterhält sich ein bischen mit Herder, bewundert den
Münster und liest Shakespeare, den Voltaire (!) und Lessing
eben in Mode gebracht haben. Er reist ein wenig, nicht sehr
weit; er verlieht sich nacheinander in ein stilles junges Mäd-
chen, das mit einem Spießbürger verlobt ist und durchaus
nicht daran denkt, den jungen Dichter zu erhören, und in eine
verheirathete Frau, die ebenfalls sehr bürgerlich und sehr ge-
wöhnlich ist, die ein wenig flirtet, und deren Mann schleunigst
den jungen Liebhaber entfernt. Er läßt sich in Weimar nieder
und wird Premierminister dieses Reichs. Weimar ist eine Stadt
von 7000 Einwohnern. Der Premier dieses Landes ist etwa ein
Ding wie ein Unterpräfekt von Issoudun. Diese hohe Stellung
erfüllt alle Wünsche Goethes und entzückt ihn. Zehn Jahre
lang arbeitete er fast nichts, so sehr nehmen ihn die Geschäfte
und die Vergnügungen von Issoudun in Sachsen in Anspruch.
Er unterhält mit einer ziemlich hervorragenden Frau, die sieben
Jahre älter als er ist, ein Verhältniß, das ganz geistig gewesen
zu sein scheint, — ich hoffe, daß es so war. Er reißt sich von
so vielen Sirenen los, um eine Reise nach Italien zu machen
 
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