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Sondheim, Moriz
Gesammelte Schriften: Buchkunde, Bibliographie, Literatur, Kunst u.a. — Frankfurt a.M., 1927

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https://doi.org/10.11588/diglit.34388#0202

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einbürgert, so wollen wir ihm gerne seine üeberhebung und
seine Geschmacklosigkeiten verzeihen. Aber wir dürfen nicht
blind sein für die Gefahren, die erbirgt, und welche die Wohl-
thaten dieser gesunden Reaktion leicht überwiegen können.
Durch die treue Nachbildung der Werke vergangener Zeiten
haben wir eine hochentwickelte Technik wiedererlangt; der
moderne Stil, der einem fröhlichen Dilettantismus weit die
Thore öffnet, ist auf dem besten Wege diese Technik zu unter-
graben, und die Sucht, natürlich und doch originell zu sein,
führt unsere Künstler direkt zur Unnatur und erzeugt Werke,
welche einfach scheinen wollen und maniriert sind.
Unsere jungen Künstler mögen für den modernen Stil
schwärmen, ihn für eine unerhörte Neuerung halten und in ihm
die erhabenste Kunstformel des Jahrhunderts erblicken; wer den
Gang der Geschichte überblickt, weiß, daß er nur eine Episode
in dem großen Kampfe ist, den seit hundert Jahren mit wech-
selndem Glücke Tradition und Naturalismus mit einander
kämpfen. Man höre, was vor vierzig Jahren der Franzose
Laborde der Jugend seiner Zeit zurief: „Da ich an alle
großen Ueberlieferungen anknüpfe/' sagte er da-
mals, „so werde ich alle diejenigen gegen mich
haben, welche sie für unnützen Trödel halten; da
ich aufrichtig glaube, daß die begabtesten und fortgeschritten-
sten Völker vom Niedergang bedroht werden, wenn sie nicht
entschlossen auf dem Wege des Fortschrittes weiter schreiten,
so werde ich gegen jene Jugend zu kämpfen haben,
welche glaubt, die jetzige Generation sei für die
großen Kunstschöpfungen ausersehen, weil sie
es verstanden hat, al len Zwang des Studiums ab-
zuschütteln; aber meine Ueberzeugung wird nicht erschüt-
tert durch diese hochmütige Geringschätzung, durch dieses
blinde Vertrauen. Ich habe überall in der Geschichte der
Künste gesehen, daß Renaissancen sich langsam, aus der ge-
schickten Verbindung alter und neuer Elemente durch harte
Arbeit, durch tausend Anstrengungen bilden und ich glaube,
daß die Renaissance des neunzehnten Jahrhunderts ebenfalls
erstehen wird aus der ernsten und tiefen Vergleichung aller
Vorbilder der Kunst und der Natur, durch ehrliche, gewissen-
hafte, ausdauernde und bescheidene Studien."*)
Diese Worte schrieb Laborde im Jahre 1856. Wo sind die
Werke der damaligen Jugend, welche sich zu den großen Kunst-
schöpfungen auserkoren glaubte, weil sie die Traditionen ver-
achtete? Sie sind dahin gewandert, wohin die Werke unserer
Modernen wandern werden^ wenn sie sich von dem Schlacht-
rufe „Fort mit allem Alfen" auf der gefährlichen Bahn fort-
reißen lassen. Ehrlicher William Morris! Deine „archaisti-

5 Laborde, De l'union des arfs et de l'indusfrie. Paris 1856 1 S. 4.
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