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Sondheim, Moriz
Gesammelte Schriften: Buchkunde, Bibliographie, Literatur, Kunst u.a. — Frankfurt a.M., 1927

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https://doi.org/10.11588/diglit.34388#0215

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Die Frankfurter Goethe-Feier im Jahre 1830.
Am 28. August 1830 vollendete Goethe sein einundacht-
zigstes Lebensjahr. Die Feier dieses Tages nahm in Frankfurt
einen so merkwürdigen Verlauf, daß sie der Vergessenheit
entrissen zu werden verdient.
Als Festspiel hatte die Theaterdirektion einen Einakter von
H o 11 e i angenommen, der mit einer Huldigung für Goethe
schließt; hierauf sollten „Die Mitschuldigen*' gespielt werden,
die hier noch niemals gegeben worden und als Nachspiel zu
dem Holtei'schen Stücke sehr geeignet schienen. Dieser Plan
stieß auf lebhaften Widerspruch in der Presse. Am 22. August
brachte die Ober-Postamts-Zeitung einen Artikel mit der
Ueberschrift: Wie man Goethe'n ehrt. Sie erklärte darin:
„Wie wir hören, soll am 28. August, an Goethe's Geburts-
feste und dem Dichtergreise zu Ehren, dessen Lustspiel „Die
Mitschuldigen" gegeben werden. Welche Wahl! War es mög-
lich, eine verkehrtere zu treffen? Man will Goethen durch ein
Lustspiel ehren, in dem die gemeinste Spitzbüberei des Le-
bens verherrlicht wird, ein Lustspiel, worin nur lasterhafte
Menschen auftreten .... Und die Aufführung dieses Lustspiels,
das nach des Dichters eigenem Ausspruch die Zuschauer
in Gewissensfurcht setzt und ängstigt, das widergesetzliche
Handlungen Todsünden des Katechismus zu einem komischen
Scherze gebraucht; und das moralische wie ästhetische Gefühl
verletzt, ist die Festfeier, die man dem greisen Dichter be-
stimmt!"
Drei Tage später brachten die „Zeit-Bilder", die literarische
Beilage der „Zeitung der freien Stadt Frankfurt" die versteckte
Drohung:
„Dem Vernehmen nach wird an dem bevorstehenden Ge-
bartstage Goethe's ein Theaterfreund einen Trippelsonnetten-
kranz auf den greisen Sänger auf Subskription erscheinen
lassen und dem Kranze ein spitzes Distichon auf die „Mit-
schuldigen" beigeben."
Dicht darunter stand, wohl als zarter Wink, wie dieser
Gefahr zu entgehen sei, eine zweite Notiz:
„Dem Vernehmen nach wird, Goethen zu Ehren, an
dessen Geburtstag im Theater eine musikalisch-deklamatorische
Abendunterhaltung stattfinden, wo man zwölf Piecen aus dem
Ehrentempel oder Supplementband vortragen wird.*)
Dies scheint auf die Theaterdirektion Eindruck gemacht zu
haben. Die beiden Stücke waren einstudirt und mußten ge-
spielt werden, die Aufführung wurde aber verschoben. Als
der 28. August herankam, meldete der Theaterzettel nichts von
9 Gemeint ist: Goethes Ehrentempel. Eine Sammlung aller an Goethe ge-
richteten Poesien, herausg. von J. V. Rousseau, Hamm 1827—1828. Diese
Anthologie war auch als Supplementband zu Goethe's Werken erschienen.
 
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