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Sondheim, Moriz
Gesammelte Schriften: Buchkunde, Bibliographie, Literatur, Kunst u.a. — Frankfurt a.M., 1927

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https://doi.org/10.11588/diglit.34388#0130

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blos ein Bibliothekswerk sein, sondern wirklich gelesen werden
soll, unbarmherzig kürzen, alle Abschweifungen, alle Wieder-
holungen, alle Salbadereien streichen. In der vorliegenden
neuen Verdeutschung ist dies mit großem Geschick geschehen.
Aus den acht schwerfälligen Bänden sind zwei zierliche Bücher
geworden; gewandte Hände haben den alten Bau, in welchem
die Harlowe'sche Familie haust, von hundertjährigem Staube
gesäubert, die steifen Zierrathe entfernt, unnütze Kammern
vermauert, und wenn wir jetzt eintreten, wird uns klar, was
wir allen großen Geistern des vorigen Jahrhunderts nicht glau-
ben wollten. Wir verstehen jetzt Diderot, wenn er sagte: „Ich
kenne das Harlowe'sche Haus wie das meine; ich habe mir
ein Bild der Personen geschaffen, ich erkenne sie in den Stra-
ßen, auf den Plätzen, in den Häusern .... seitdem ich sie
kenne, sind sie mein Prüfstein; wem sie mißfallen, der ist ge-
richtet;" und einen neuen Sinn entdecken wir in der Klop-
stock'schen Strophe:
Reizend noch stets, noch immer liebenswürdig
Lag Clarissa, da sie uns weggeblüht war,
Und noch stille Rothe die hingesunkene Wange bedeckte.
„Die todte Clarissa" ist in der Ettlinger'schen Bearbeitung
mit ihren Vorzügen auferstanden, ohne die Fehler, welche sie
uns entfremden mußten. Bei der Fluth geistloser Uebersetzun-
gen, die fortwährend von Fabrikanten über uns ergossen wird,
verdient eine Arbeit hervorgehoben zu werden, die aus einem
todten Literaturdenkmal ein lebendiges Buch geschaffen hat.

Jörg Glockendons Kunst Perspectiva.
Jörg Glockendons Perspectiva ist lange verschollen ge-
wesen und noch heute fast unbekannt; Jörg Glockendon selbst,
obgleich er oft erwähnt und viel über ihn geschrieben wurde,
ist eine nebelhafte Persönlichkeit geblieben. Es dürfte des-
halb nicht überflüssig sein, das, was über ihn und sein Werk
bisher berichtet worden ist, kritisch zu sichten, und den Ver-
such zu wagen, aus den vielen Irrtümern, Mißverständnissen
und Hypothesen ein Körnchen Wahrheit herauszuschälen.
Die erste gedruckte Erwähnung seines Buches geschah
durch G. W. Panzer im Jahre 1788: „Von der Kunst Perspec-
tiva. 1509. Jörg Glockendon. In kl. Folio. So ist mir diese
Schrift von Herrn von Murr angezeigt worden. Sie hat 37
Holzschnitte." lautet eine kurze Notiz in dessen Annalen d. d.
Litteratur (I 452, 1033). Vierzig Jahre später druckte Fr.
Campe „nach einer alten Handschrift in der Campeschen
lung" Neudörfers Nachrichten von Nürnberger Künstlern aus
dem Jahre 1546 ab, welche einiges über Glockendon und sein
 
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