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Sondheim, Moriz
Gesammelte Schriften: Buchkunde, Bibliographie, Literatur, Kunst u.a. — Frankfurt a.M., 1927

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https://doi.org/10.11588/diglit.34388#0129

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gekauft worden. Auch das Buchgewerbemuseum in Leipzig
hat die seltene Gelegenheit benutzt und eine größere Anzahl
werthvoller Drucke zur Ergänzung seiner Sammlung erstanden.

Besprechung von
Clarissa. Roman von Samuel Richardson. Aus dem
Englischen übersetzt und bearbeitet von R. u. E. E11 -
linger. Mit einer Vorrede von F. Muncker. 2 Bde.
X und 312 und 242 S. Karlsruhe, G. Braun'sche Hof-
buchhandlung.
Im Jahre 1793 ist Richardsons „Clarissa" zum letzten Male
in deutscher Sprache gedruckt worden; fast ein volles Jahr-
hundert ist sie in Vergessenheit geblieben, ein überzeugendes
Denkmal der Hohlheit literarischen Ruhmes. Kein Buch hat
bei seinem Erscheinen größeres Aufsehen erregt, keine Heldin
so viel Beifall gefunden, so viel Thränen hervorgelockt wie
Clarissa Harlowe, kein Schriftsteller ist bei allen Nationen
mehr nachgeahmt worden, als Richardson, keiner ist wie er
von den Besten seiner Zeit über Shakespeare, über Homer
gestellt worden, — und heute ist keiner unbekannter, ungelese-
ner als er.
Dieser Umschwung ist zum Theile dadurch bewirkt wor-
den, daß wir das absichliche Schwelgen in der Empfindung
so ganz überwunden haben; die Hauptursache aber ist darin
zu suchen, daß sich für uns Clarissa nicht mehr als lichte Ge-
stalt von dem dunklen Hintergründe elender Romane abhebt,
welche vor ihr die Lesewelt beherrschen, und daß uns in so
weiter Entfernung ihre Fehler nicht mehr von ihren Vorzügen
überhellt erscheinen. Weitschweifige Breite, phrasenreiche Tu-
gendseligkeit, unwahre Gespreiztheit finden keine Gnade vor
unserem schnelllesenden Jahrhundert; an diesen Fehlern ist
Clarissa gestorben, trotz der unübertrefflichen Kunst der Klein-
malerei, der meisterhaften psychologischen Züge, der vielen
erschütternden Szenen, die ihre unvergänglichen Vorzüge sind.
Man nehme das Original zur Hand mit seinen 537 endlosen
Briefen, oder die alte Uebersetzung in sieben dicken Bänden
mit dem anmuthigen Titel „Clarissa, die Geschichte
eines vornehmen Frauenzimmers, von demjeni-
gen herausgegeben, welcher die Geschichte der
Pamela geliefert hat, Göttingen 1748"; man beginne
zu lesen, vom historischen Standpunkte, mit der festen Ab-
sicht, alle Schönheiten auf sich wirken zu lassen: man wird
diese Schönheiten finden, sie bewundern und doch in unbe-
zwinglicher Langweile langsam versinken sehen. Für uns ist
Clarissa in ihrer ursprünglichen Gestalt — seien wir offen —
unlesbar. Eine neue Ausgabe muß deßhalb, wenn sie nicht
 
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