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Sondheim, Moriz
Gesammelte Schriften: Buchkunde, Bibliographie, Literatur, Kunst u.a. — Frankfurt a.M., 1927

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https://doi.org/10.11588/diglit.34388#0040

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vor der Nachtluft schaudernd. Sie schauten ihn an und kicher-
ten unter sich, er aber bemerkte es nicht. Er ging auf und ab,
bis droben die Portiere wieder rauschte und ein schlankes
Weib die steinerne Treppe herabkam. Das war Luise Leina.
Der Mann trat dicht an das Thor und lehnte sich an die Mauer
an, um sie ungesehen zu schauen.
Sie stieg ein, ihren Pelzmantel um sich schmiegend; ich
fühlte, wie der Wagen auf seinen Federn leise bebte, und jagte
mit meiner leichten Last stolz von dannen. Und jedes Mal,
wenn sie gespielt, kam der junge Mann und wartete, bis sie
heraustrat. Der Kutscher und der Theaterdiener spotteten
über ihn. Mich hatte er lieb gewonnen; er brachte mir immer
Zucker mit und klopfte liebkosend auf meinen Hals. Nach
einiger Zeit blieb er nicht mehr im Dunkeln stehen; er öffnete
den Wagenschlag und reichte ihr hilfreich die Hand; sie dankte
ihm ganz leise, leise. Und als der Frühling kam und die Gärt-
ner die Orangenbäume aus der Orangerie hervorholten und
auf dem Theaterplatz in den hohen Holzkübeln aufstellten,
wollte sie nie mehr nach Hause fahren; auf seinen Arm ge-
stützt, schritt sie in die dunkelblaue Mondnacht hinaus, und
ich trabte langsam fort, an die zwei schönen Menschen denkend.
So vergingen viele Wochen. Ich hatte erzählen hören, er
sei ein Dichter und habe ein Trauerspiel für sie geschrieben,
das in der nächsten Zeit aufgeführt werden sollte. Eines Abends
kam er nicht mehr. Aber schon am zweiten Tage stand ein
schöner Offizier vor dem Thore, an dem er so oft gewartet
hatte. Er öffnete den Wagenschlag und sie dankte ihm ganz
leise, leise, wie sie dem Andern gedankt hatte. Doch in einer
finstern Nacht, in der es wie heute regnete und stürmte, trat
der Dichter plötzlich an den Wagen und faßte sie beim Arm,
als sie einsteigen wollte. Knirschend in verbissener Wuth sprach
er zu dem Offizier. Sie lachte hell auf. Das war nicht das
silberne Lachen, mit dem sie ihn in den hellen Mainächten
begrüßt hatte, da der Mond sein flüssiges Silber auf die Erde
goß und die Luft von Orangenduft erfüllt war. Und als er
heftiger wurde, winkte sie dem Offizier, er solle zu ihr ein-
sfeigen. „Das weitere werden meine Zeugen ordneni" sprach
dieser.
Ich hörte seinen Pallasch auf dem Trittbrett rasseln. Da
wogte das Araberblut in mir. Ich haßte das treulose Weih,
das Gott so schön gemacht hafte, und das so falsch und herz-
los war. Damals war ich noch jung und ohne Ueberlegung.
Ich hafte nur noch einen Gedanken: den armen Dichter rächen,
und ohne auf die Stimme des Kutschers zu hören, flog ich
in rasendem Galopp durch die leeren Gassen, weiter, immer
weiter, bis an den Strom, der brausend unter den schwarzen
Brückenbogen sich wälzte.
 
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