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Sondheim, Moriz
Gesammelte Schriften: Buchkunde, Bibliographie, Literatur, Kunst u.a. — Frankfurt a.M., 1927

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https://doi.org/10.11588/diglit.34388#0197

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Stil aus dem andern entwickelt, der Sinnesart and den Be-
dürfnissen der auf einander folgenden Generationen sich an-
passend; hier bricht der Faden ab. Die alten Zünfte hat die
Devolution weggefegt, Tradition und Technik gehen verloren;
die weit sich ausbreitende Bildung hebt große Volksmassen
empor, aber mit dem rasch angeeigneten Wissen hält der lang-
sam sich entwickelnde Geschmack nicht Schritt Der Stil geht
unter und die Mode herrscht allein, und unter ihrem Einflüsse
kämpfen mit wechselndem Glücke das ganze neunzehnte Jahr-
hundert hindurch zwei Richtungen mit einander: Nach-
ahmung vergangener Stile und ausländischer
Moden, und stilloser Naturalismus.
Von bedeutendem Einflüsse waren hierbei die Litteratur-
strömungen, und im Anfänge des Jahrhunderts, zur Zeit der
Romantik, wurde die Kunst überall mittelalterlich, gotisch.
Bei uns wurden jene „altdeutschen Zimmer*' eingerichtet, welche
Goethe Eckermann gegenüber so streng verurteilt; in Frank-
reich „entdeckte" Victor Ffugo „Notre Dame** von Paris, und
man machte Alles im „genre gothique"; in England lebte man
mehr noch als auf dem Festlande im Banne des Mittelalters,
welches Walter Scott heraufbeschworen hatte. Es war eine
kindliche, für uns lächerliche Gotik, die, ohne Studium, ohne
Verständnis für die organische Bildung und den inneren Ge-
halt dieses Stiles, seine Aeußerlichkeiten mit ungeübtem Auge
nachahmte. Bei uns faßte sie nicht festen Fuß, in England da-
gegen, wo die ersten Anfänge des neugotischen Stiles tief in
das achtzehnte Jahrhundert zurückreichen, entwickelte sie sich
zu einer mächtigen nationalen Bewegung, „the Gothic Revival**.
Der Engländer A. W. Pugin (1812—52) stellte zuerst die Be-
handlung der mittelalterlichen Stile auf archäologisch fest fun-
dierte Basis. „Das Dilettantenhafte, das bis dahin der Bewegung
noch anklebte, wurde durch ihn seit Beginn der vierziger Jahre
abgeworfen. Er ist es. welcher die Ornamentik des Stiles in
jene Wege lenkte, die noch heute für das englische Kunstge-
werbe charakteristisch sind.'*D
In jener Zeit wuchs William Morris auf. Er war im Jahre
1834 in Walthamstow als der Sohn eines reichen Kaufmannes
geboren; von Kunst war in seinem väterlichen Hause wenig zu
sehen, aber eine Bibliothek war vorhanden, und mit sieben
Jahren verschlang der Knabe schon die Werke Walter Scotts,
fn seinem achtzehnten Jahre kam er als Student der Theologie
nach dem alten Oxford, das mit seinen gotischen Gebäuden
auf den Jüngling denselben Eindruck machte, den Scotts Ro-
mane auf das Kind ausgeübt hatten. Einen gleichgesinnten
Freund fand er in Burne-Jones, der an demselben Tage wie er
immatrikuliert wurde und sich mit ihm in das Studium der
mittelalterlichen Litteratur stürzte.
J Dohme, das englische Haus. Braunschw. 1886.
 
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