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Sondheim, Moriz
Gesammelte Schriften: Buchkunde, Bibliographie, Literatur, Kunst u.a. — Frankfurt a.M., 1927

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https://doi.org/10.11588/diglit.34388#0357

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fQr Musik, für Malerei oder Mathematik sich vererbt. Sein
Großvater Joseph Baer hatte unter den widrigsten Verhält-
nissen im letzten Viertel des 18. Jahrhunderts ein Antiquariat
in Frankfurt errichtet; sein Vater und sein Onkel erweiterten
das Geschäft zu einem ansehnlichen wissenschaftlichen Anti-
quariate in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, zu einer
Zeit, wo es kaum schon wissenschaftliche Antiquariate gab.
Der Knabe wuchs auf in einer Atmosphäre von Büchern, der
Jüngling begeisterte sich für Literatur und Dichtkunst und
schloß mit Gleichgesinnten Freundschaften, die er sein ganzes
Leben treu bewahrt hat. Ich gedenke dabei seiner ihm im
Tode vorangegangenen Jugendfreunde, Gottlieb Schnapper, des
Nationalökonomen, des Literarhistorikers Ludwig Geiger und
des mit uns trauernden Zoologen Otto Bütschli. Sie alle haben
wissenschaftliche Berufe erwählt, ihr Freund Baer wurde Anti-
quar. Das war der Beruf, zu dem ihn Herkunft, Art und Wesen
hintrieben; er ist nicht Antiquar geworden, er wurde als
Antiquar geboren.
Leicht waren die Anfänge nicht; sein Vater starb plötzlich
und unerwartet, als er, ein Knabe von 15 Jahren, als Lehrling
in das Geschäft kaum eingetreten war. Es war eine harte Lehr-
zeit, die er durchmachte, eine harte Lehrzeit, die ihn noch als
ganz alten Mann im Traume gequält hat, aber sie stählte seinen
Charakter. Energie, zähe Ausdauer, rastlosen Fleiß, das Gebot
der eisernen, selbstverständlichen Pflicht hat er damals geübt
und sich damit für den Kampf des Lebens gewappnet. Denn
sanft ist das Leben nicht mit ihm umgegangen und er hatte
diese gute Rüstung nötig, um durchzukommen. Sein älterer
Bruder, der liebenswürdige und talentvolle Julius Baer, und ein
jüngerer Vetter, die mit ihm vereint die Firma weiterführen
sollten, starben beide in jungen Jahren und ließen die schwere
Last auf den Schultern des noch jungen Mannes. Mutig nahm
er sie auf und hat sie den Berg hinaufgetragen, heiteren Ge-
mütes seinen Kräften vertrauend. Damals hat er begonnen, seine
Firma zu einem Welthaus zu machen und ihr eine führende
Rolle im deutschen Antiquariate zu verschaffen. Verbindungen
mit wissenschaftlichen Instituten des Auslandes wurden durch
ihn persönlich in häufigen und weifen Reisen befestigt, erweitert
und neu angeknüpft. Seine geschäftlichen Erfolge waren die
Frucht mannigfacher Gaben und Eigenschaften, die aufs Glück-
lichste in ihm vereint waren. Er hafte den klugen und kühnen
Blick des Kaufmannes und das umfassende Wissen eines Ge-
lehrten, von dem er auch die humorvolle Zerstreutheit hatte;
bei einer rührenden Unbeholfenheit in Dingen, die der Bücher-
welt fremd waren, besaß er den schärfsten Verstand und ein
enzyklopädisches Gedächtnis für Alles, was zum Buche ge-
hörte. Das bibliographische System aller Wissenschaften hafte
er in seinem Kopfe zu einem herrlichen Gebilde ausgearbeitef.
 
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