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Verein für Kunst und Altertum in Ulm und Oberschwaben [Hrsg.]
Ulm, Oberschwaben: Korrespondenzblatt des Vereins für Kunst und Alterthum in Ulm und Oberschwaben — 1.1876

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Nr. 1
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Bazing, Hugo: Die Verehrung des Mistels: ein Rest heidnischen Glaubens
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Sittenbilder aus dem XVI und XVII Jahrhundert, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.52608#0010

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4

Baldur hatte 1) unheilverkündende Träume.
Erschreckt hierüber pflogen die Äsen Rath und
beschlossen, dem Baldur Sicherheit vor allen j
Gefahren auszuwirken. Da nahm Frigg Eide
von Feuer und Wasser, Eisen und allen Erzen,
Steinen und Erden, von Bäumen, Krankheiten
und Giften, dazu von allen vierfüssigen Thie-
ren, Vögeln und Würmern, dass sie Baldurs
schonen wollten. Als das geschehen war, kurz-
weilten die Äsen mit Baldur, er stellte sich
mitten in einen Kreis, wo dann einige nach
ihm schossen, andre nach ihm hieben und noch
andre mit Steinen warfen. Was sie auch thaten,
es schadete ihm nicht, das däuchte sie alle ein
grosser Vortheil. Als aber Loki das sah, ge-
fiel es ihm übel, dass den Baldur nichts ver-
letzen sollte. Da gieng er in Gestalt eines '
alten Weibs nach Fensal zu Frigg, und erfuhr
von ihr, dass sie von allen Dingen Eide ge-
nommen, dem Baldur nicht zu schaden, nur
nicht von einer östlich von Walhall wachsenden
Staude, Misfilteinn2) genannt, weil die ihr zu
jung geschienen, sie in Eid zu nehmen. Loki
nahm den Misfilteinn, riss ihn aus und gieng
zur Versammlung. Hödur stand zuäussert
im Kreise der Männer; denn er war blind.
Da sprach Loki zu ihm: warum schiessest du
nicht nach Baldur? Er antwortete: weil ich
nicht sehe, wo Baldur steht, zum andern hab’
ich auch keine Waffe. Da sprach Loki: thu
doch wie andre Männer, und biete Baldurn
Ehre, wie alle thun, ich will dich dahin weisen,
wo er steht, so schiesse nach ihm mit diesem
Reis. Hödur nahm den Mistelzweig und schoss
auf Baldur nach Lokis Anweisung. Das Ge-
schoss flog und durchbohrte ihn, dass er todt
zur Erde fiel.
Von der Mistelstaude nahm Loki den tödt-
lichen Zweig; denn der Mistel als auch im
Winter grünend fragt nichts nach dem som-
merlichen Baldur.

*) Ich entnehme diese Erzählung Simrocks deutscher
Mythologie.
2) Altnord, tein ahd. zein ist Zweig, Stab. Grimm
D. Myth. 3. Ausg. 1156. Weigand, D. Wörterb. III.
S. 1130.

Wenn nun aber im Baldermythus der Mistel
ah dem Baldur schadend erscheint, so lag doch
in dem tödtlichen Schüsse nichts als der Aus-
spruch, dass auch der Winter sein Recht habe,
und damit, dass der Mistel als immergrünend
von dem Wechsel der Jahreszeiten unberührt
bleibt, musste sich die Vorstellung verknüpfen,
dass diese Pflanze über der gewöhnlichen Natur
stehe. Wenn dann der Mistel vollends auf der
heiligen Eiche sich fand, so war unsern hehL
nischen Altvordern kein Zweifel mehr an sei-
ner Heiligkeit, und in der Folge die Kristen
trugen kein Bedenken, das hergebracht heilige
Holz an ihre Gebetschnur anzufassen.
B a z i n g.

Sittenbilder aus dem XVI und XVII Jahr-
hundert.
i.
Wie der Kaiser in Ulm empfangen wurde.
Als Karl V im Sommer des Jahres 1543
von Italien nach den Niederlanden zog, führte
ihn sein Weg über Ulm. Es war das erste
Mal, dass er die Stadt betrat. Und zwar kam
er nicht allein, sondern an der Spitze eines
ansehnlichen Heeres, das, wie sein Gebieter,
welscher Abkunft, kein Verständniss für die
Art der Deutschen hatte, am wenigsten für die
Frage, die sie so tief erregte und drei Jahre
später den schmalkaldischen Krieg entzündete,
die Religion. Aber auch diese besonderen Um-
stände weggedacht, so war eine Kaisersnähe
für die damaligen Zeiten ein Ereigniss, das
mehr gefürchtet als gewünscht wurde, nicht
nur wegen des Aufwands, der damit verbunden
war, sondern namentlich auch aus Sorge für
die erworbenen oder hergebrachten Privilegien.
In alle diese Verhältnisse sehen wir hinein,
wenn wir in den ulmischen Rathsprotokollen
die Zurüstungen für den genannten Besuch
des Kaisers lesen. Die erste flüchtige Erwäh-
nung des in Aussicht stehenden Ereignisses
ist vom 18. Juni. Als die Möglichkeit zur
Gewissheit wurde, begannen die Beratbungen,
aus denen folgende Anordnungen hervorgiengen:
 
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