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Zeitschrift für christliche Kunst — 2.1889

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Sommer, Gustav: Die alten Stuckreliefs in der Klosterkirche zu Westgröningen bei Halberstadt
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https://doi.org/10.11588/diglit.3570#0202

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349

1889.

ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 11.

350

Orgelgehäuse die Mitte und deren drei Figuren
etwas geschützt. Von den nach Durchbruch der
Emporenwand überhaupt übrig gebliebenen elf
Ge talten sind am besten erhalten: die drei mitt-
leren mit Christo und zwei Apostel auf der süd-
lichen Flanke, die übrigen sechs besitzen keine
Köpfe mehr und sind auch aufserdem noch mehr
oder weniger beschädigt, besonders an Händen
und Füfsen, indem diese naturgemäfs weiter
hervortreten als die andern Körpertheile.

Jeder Figur ist eine gewisse, der Natur ab-
gelauschte Körperhaltung gegeben, welche sich
in der Figurenfolge nicht wiederholt, also indi-
viduell ist. Dieses, wie die ganze Leistung des
Hautreliefs, dokumentirt die aus einer Künstler-
werkstatt hervorgegangene sichere und gewandte
Hand des Ausführenden. Nach vorsichtiger Ent-
fernung der starken Uebertünchung trat eine ge-
wisse Feinheit der Stuckarbeit hervor, wenn man
auch im Ganzen dem Zeitgeschmack des XI. oder
Anfang des XII. Jahrh. einigen Einflufs zuschreiben
mufs. In wieweit hierbei mit einer Färbung
der Flächen, mit Vergoldung u. dergl. nachge-
holfen sein wird, hat mit völliger Sicherheit nicht
festgestellt werden können. Die Reliefs treten
so deutlich und kräftig vor, dafs wohl kaum
ein Bedürfnifs zur Bemalung vorliegen konnte.4)
Jede Farben-Aufsetzung erhöht nur das Starre
und Leblose des Ausdrucks in der Skulptur.
Erklärlicher erscheint diese Farben-Nachhülfe
an den übrigen, spärlichen Skulpturen der alten
Basilika, deren Säulen- und Pfeilerkapitäle, so-
wie die wagerechten Gurtgesimse zwischen Erd-
geschofs und Obergaden fast nur in einer aus-
gemeifselten Zeichnung auf einfachen Schrägen
oder Rundungen bestehen, welche Springer
so treffend mit einer Imitation von Teppich-
mustern vergleicht. Die Reliefs solcher Aus-
meifselungen sind naturgemäfs nur sehr schwach
vortretend und machen die Bemalung schon
nöthiger. Wir finden diese Weise in den älte-
sten Basiliken derselben niedersächsischen (oder
nordthüringischen) Gegenden, z.B. inderSchlofs-

4) [An der ursprünglichen Bemalung gerade dieser
mit der Architektur so eng verbundenen Figuren dürfte
bei der Gepflogenheit besonders dieser Periode, sämmt-
liche Wände (sogar die Möbel) der Kirche farbig zu
behandeln, kaum zu zweifeln sein. Die Verwendung
des Goldes dürfte bei ihnen, wie bei den gleichzeitigen
Wandgemälden, auf die Nimben, Attribute, Säume be-
schränkt geblieben sein.] D. H.

kirche zu Quedlinburg, der Klosterkirche von
Frose, der Marienkirche zu Magdeburg, in Ha-
mersleben u. s. w.5)

Das Schwächere in der Bildhauerarbeit der
Empore bleibt die Gewandung, die nicht der
Natur, also nicht einem Modell abgelauscht,
sondern durchweg erdacht sein wird, weil mehr-
fache Unwahrscheinlichkeiten in den Fältelungen
mit unterlaufen, besonders an den Knieen, —
ein Mangel, der sich an den später ausgeführten
Stuckatur-Arbeiten von Hamersleben, Halber-
stadt u. s. w. allmählich verliert, so dafs diese
bis zur Mustergültigkeit sich vervollkommnen.

Noch sei über die Art der Ausführung selbst,
welche für die frühe Ursprungszeit ganz unge-
wöhnlich ist, bemerkt, dafs sie eine besondere
technische Erfahrung und Geschicklichkeit ver-
räth. Wie sich nach eingehender Untersuchung
herausstellt, ist die ganze Brüstung zwischen dem
Ober- und Untergesims in drei Stücken aus-
geführt, den beiden geraden Flanken und dem
Kreisstück, was drei kolossale Steinmassen von
ca. 20 cm Dicke und 1,51/2 m Höhe verlangt.
Das Material ist ein etwas poröser, aber sehr fester
Kalkstein, auf beiden Seiten glatt bearbeitet. An
der dem Kirchenraume zugekehrten Aufsenseite
sind die Figuren aus einer besonders ausgesuch-
ten und geschickt bearbeiteten cementartigen
Gypsmasse unter Voraussetzung einer grofsen
Adhäsion auf der Kalkstein-Unterlage aufgesetzt,
die bis heute festgehalten hat, wo sie nicht
gewaltsam heruntergerissen ist. Die Adhäsion
ist so grofs und das Aeufsere in der Textur
so ähnlich, dafs man vielfältig der Annahme
gewesen ist, Steinunterlage und Stuckaufsatz sei
ein und dieselbe Stein- oder Stuckmasse.

Ueber die alte Basilika und ihre eigenthüm-
liche Form sei auf das in Kurzem erscheinende
Heft (Oscherslebener Kreis) der „Bau- u. Kunst-
denkmäler der Provinz Sachsen" verwiesen. Auch
wird bemerkt, dafs schon die Kugler'sche Notiz
in dem Buche „Beschreibung und Geschichte
der Schloßkirche zu Quedlinburg, nebst Nach-
richten über die Kirchen der Umgegend", von
Ranke, Kugler und Fricke (Berlin 1838 bei Gro-
pius), eine sehr schätzenswerthe Nachricht gibt.

Wernigerode. Gustav Sommer.



6) Die Liebhaberei für Farben hätte indessen selbst-
redend auch ohne vorhergegangene Vornieifselung be-
stehen und angewendet werden können.
 
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