Ernesto de Fiori. Sinnende
Ern es f o de F ori Von guter und schlechter Kunst
Woran merkt man. daß ein Kunstwerk schön ist?
fragte mich vor kurzem ein junger Mann. Ein selten
aufrichtiger Jüngling, von Kopf bis Fuß eine wirk-
lich ehrliche Haut, denn wenn man den ersten
Schreck und den darauffolgenden Lachreiz über-
wunden hat, muß man sich sagen-, ja, dieser junge
Mann hat den Mut, eine Frage zu stellen, die sich
eigentlich alle diejenigen stellen sollten, die. ohne
besondere Berechtigung, dieLberzeugung hegen, ein
gutes Bild von einem schlechten unterscheiden zu
können. Die meisten sagen: „Ich verstehe zwar
nichts von Kunst, aber ich weiß, was mir gefällt",
was natürlich, wie man es auch dreht und wendet,
hoffnungsloser Unsinn ist. Es ist wohl anzunehmen,
daß sie meinen: „Ich verstehe zwar nichts von Kunst,
aber ich habe einen sehr persönlichen Geschmack,
und zwar einen hervorragenden.'" Das wiederum
kann, nimmt man es genau, nur heißen: „Ich bin so
objektiv und so bescheiden, mir über mein Kunstver-
ständnis keine Illusionen zu machen, aber ich bin
zugleich so subjektiv und unbescheiden, daß nie-
mand mich von der Lberzeugung abbringt, unge-
heuer viel von Kunst zu verstehen." Hat man sich
mühsam bis zu dieser letzten und Gott sei Dank end-
gültigen Fassung eines der vielen und recht verbrei-
teten menschlichen Irrtümer durchgearbeitet, kann
man nur noch über die Ethik staunen, die solche
Logik zuläßt. Und dann wird man sich gerührt und
reumütig dem ehrlichen Jüngling zuwenden, der
da wissen wollte, woran man es merkt, daß ein Kunst-
werk schön ist. Und man wird versuchen, seine Frage
zu beantworten.
Also: Zuerst merkt man es daran, daß es einem auch
dann noch gefällt, wenn man sich zwingt, das dar-
gestellte Sujet zu vergessen. Vom Sujet abstrahieren,
sagen die Gelehrten. Wir wollen z. B. annehmen, daß
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Ern es f o de F ori Von guter und schlechter Kunst
Woran merkt man. daß ein Kunstwerk schön ist?
fragte mich vor kurzem ein junger Mann. Ein selten
aufrichtiger Jüngling, von Kopf bis Fuß eine wirk-
lich ehrliche Haut, denn wenn man den ersten
Schreck und den darauffolgenden Lachreiz über-
wunden hat, muß man sich sagen-, ja, dieser junge
Mann hat den Mut, eine Frage zu stellen, die sich
eigentlich alle diejenigen stellen sollten, die. ohne
besondere Berechtigung, dieLberzeugung hegen, ein
gutes Bild von einem schlechten unterscheiden zu
können. Die meisten sagen: „Ich verstehe zwar
nichts von Kunst, aber ich weiß, was mir gefällt",
was natürlich, wie man es auch dreht und wendet,
hoffnungsloser Unsinn ist. Es ist wohl anzunehmen,
daß sie meinen: „Ich verstehe zwar nichts von Kunst,
aber ich habe einen sehr persönlichen Geschmack,
und zwar einen hervorragenden.'" Das wiederum
kann, nimmt man es genau, nur heißen: „Ich bin so
objektiv und so bescheiden, mir über mein Kunstver-
ständnis keine Illusionen zu machen, aber ich bin
zugleich so subjektiv und unbescheiden, daß nie-
mand mich von der Lberzeugung abbringt, unge-
heuer viel von Kunst zu verstehen." Hat man sich
mühsam bis zu dieser letzten und Gott sei Dank end-
gültigen Fassung eines der vielen und recht verbrei-
teten menschlichen Irrtümer durchgearbeitet, kann
man nur noch über die Ethik staunen, die solche
Logik zuläßt. Und dann wird man sich gerührt und
reumütig dem ehrlichen Jüngling zuwenden, der
da wissen wollte, woran man es merkt, daß ein Kunst-
werk schön ist. Und man wird versuchen, seine Frage
zu beantworten.
Also: Zuerst merkt man es daran, daß es einem auch
dann noch gefällt, wenn man sich zwingt, das dar-
gestellte Sujet zu vergessen. Vom Sujet abstrahieren,
sagen die Gelehrten. Wir wollen z. B. annehmen, daß
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