Über das Arbeiten in Stein. Von Hermann Geibei
Das Wort „Bildhauer'" meint in erster Linie einen
Künstler, der Bildwerke mit seinen Händen in Stein
haut. Aber von den vielen, die sich heute.. Bildhauer"
nennen, sind es nur wenige, die es mit dieser Bedeu-
tung ihres Ehrentitels wirklich ernst meinen — sehr
zum Nachteil dieses Kunstzweiges. Würde von den
Künstlern mehr eigenhändig in Stein gearbeitet, so
würde das eine stilbildende Wirkung auf die heutige
deutsche Bildhauerei ausüben, und wir könnten das
erste Bildhauervolk unter den heute künstlerisch her-
vortretenden Nationen werden; denn es ist nicht zu
leugnen, daß wir starke bildhauerische Begabungen
haben. Aber zwrei Dinge sind es, die das eigenhän-
dige Arbeiten in Stein den Bildhauern verleiden: es
ist mühevoll und langwierig, daher unwirtschaftlich,
und ein Bildwerk in Stein ist ein einmaliges Werk
im Gegensatz zu einem Bronzeguß, der sich mehr-
mals herstellen und verkaufen läßt. Und der zweite
tiefere Grund ist der, daß sich nicht alles in Stein
hauen läßt, daß gerade die heute beliebten, bewegten,
tanzenden, kämpfenden oder schwebenden Figuren
in Stein ausgeführt ungünstig wirken, und daß die
noch mit der impressionistischen Sehweise zusam-
menhängende rauhe und malerische Oberflächenbe-
arbeitung eines Tonmodells sich nicht in Stein über-
tragenläßt. Unsere Figurenplastik von heute hat auch
da, wo große Formate gewählt werden, weitgehend
Kleinplastikcharakter. Der Stein verlangt eine starke
Übersetzung des Natureindrucks und Verzicht auf
alles flüchtige momentane Leben. Er verlangt mehr
Ewigkeit. Die Form muß etwas Endgültiges haben,
und malerische Skizzenhaftigkeit ist ihm nicht ge-
mäß. Aber das sollte die Künstler nicht schrecken,
denn eben im Umgang mit dem Stein bildet sich die
große Form aus. Der Stein duldet nichts Kleinliches.
Zufälliges. Selbst wenn man nicht über so große
Körperkräfte und Ausdauer verfügt, daß man eine
Figur oder überlebensgroße Büste von Anbeginn
eigenhändig aus dem Rohblock hauen kann, so hat
man noch hinreichend am Stein zu schaffen, hat noch
genügend Spielraum, die Form timzusetzen und die
Oberfläche zu gestalten, wenn man sich durch einen
zuverlässigen Handwerker einige wesentliche Meß-
punkte hat setzen und die Rohform hat vorarbeiten
lassen. An Stellen wie z. B. dem unteren Abschluß
bei Büsten oder an Durchbrüchen zwischen Rumpf
und Gliedmaßen bei Figuren läßt man sich eben noch
Steinbossen stehen, läßt die Meßpunkte nur an die
vorstehendsten Figurenteile auf die Höhen und nicht
in die Vertiefungen, z. B. die Augenhöhlen und
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Das Wort „Bildhauer'" meint in erster Linie einen
Künstler, der Bildwerke mit seinen Händen in Stein
haut. Aber von den vielen, die sich heute.. Bildhauer"
nennen, sind es nur wenige, die es mit dieser Bedeu-
tung ihres Ehrentitels wirklich ernst meinen — sehr
zum Nachteil dieses Kunstzweiges. Würde von den
Künstlern mehr eigenhändig in Stein gearbeitet, so
würde das eine stilbildende Wirkung auf die heutige
deutsche Bildhauerei ausüben, und wir könnten das
erste Bildhauervolk unter den heute künstlerisch her-
vortretenden Nationen werden; denn es ist nicht zu
leugnen, daß wir starke bildhauerische Begabungen
haben. Aber zwrei Dinge sind es, die das eigenhän-
dige Arbeiten in Stein den Bildhauern verleiden: es
ist mühevoll und langwierig, daher unwirtschaftlich,
und ein Bildwerk in Stein ist ein einmaliges Werk
im Gegensatz zu einem Bronzeguß, der sich mehr-
mals herstellen und verkaufen läßt. Und der zweite
tiefere Grund ist der, daß sich nicht alles in Stein
hauen läßt, daß gerade die heute beliebten, bewegten,
tanzenden, kämpfenden oder schwebenden Figuren
in Stein ausgeführt ungünstig wirken, und daß die
noch mit der impressionistischen Sehweise zusam-
menhängende rauhe und malerische Oberflächenbe-
arbeitung eines Tonmodells sich nicht in Stein über-
tragenläßt. Unsere Figurenplastik von heute hat auch
da, wo große Formate gewählt werden, weitgehend
Kleinplastikcharakter. Der Stein verlangt eine starke
Übersetzung des Natureindrucks und Verzicht auf
alles flüchtige momentane Leben. Er verlangt mehr
Ewigkeit. Die Form muß etwas Endgültiges haben,
und malerische Skizzenhaftigkeit ist ihm nicht ge-
mäß. Aber das sollte die Künstler nicht schrecken,
denn eben im Umgang mit dem Stein bildet sich die
große Form aus. Der Stein duldet nichts Kleinliches.
Zufälliges. Selbst wenn man nicht über so große
Körperkräfte und Ausdauer verfügt, daß man eine
Figur oder überlebensgroße Büste von Anbeginn
eigenhändig aus dem Rohblock hauen kann, so hat
man noch hinreichend am Stein zu schaffen, hat noch
genügend Spielraum, die Form timzusetzen und die
Oberfläche zu gestalten, wenn man sich durch einen
zuverlässigen Handwerker einige wesentliche Meß-
punkte hat setzen und die Rohform hat vorarbeiten
lassen. An Stellen wie z. B. dem unteren Abschluß
bei Büsten oder an Durchbrüchen zwischen Rumpf
und Gliedmaßen bei Figuren läßt man sich eben noch
Steinbossen stehen, läßt die Meßpunkte nur an die
vorstehendsten Figurenteile auf die Höhen und nicht
in die Vertiefungen, z. B. die Augenhöhlen und
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