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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 54.1938-1939

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Wehner, Josef Magnus: Über Dora Brandenburg-Polster
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https://doi.org/10.11588/diglit.16487#0157

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Dora Brandenburg-Polster. Heimkehrende Rinderherde

Über Dora Brandenburg-Polster. Von Josef Magnus Wehner

Je weiter wir uns von der Natur entfernen, desto
notwendiger wird die Priesterschaft des Künstlers,
der uns Wein und Brot der Natur zurückreicht.
Mensch und Landschaft sind erst von der Kunst ent-
deckt worden, vorher gab es keine Möglichkeit, sie
wesentlich zu sehen. Dies Wesentliche freilich ist nur
ein Annäherungswert; auch wird das Wesentliche,
von der Zeit oder vom verschiedenen Einzelnen, auch
von der Rasse her, jeweils anders gedeutet werden.
Gleichgültig aber, wie den Zeitaltern auch Mensch
und Natur erscheinen mögen, so hat unser Weltzeit-
alter derart tiefe und vernichtende Eingriffe in die
Natur erlebt, daß die Aufgabe des Künstlers immer
brennender wird, das Elementare zu retten. Wäh-
rend die Natur bisher Helfer und Heiler des Men-
schen war, verarmt sie nun zusehends, und der Mensch
muß ihr helfen, will er sich nicht selbst des Lebens
berauben. Das strömende Elementarleben der Natur
in Wasser und Wind, in Baum und Feuer, in Tier
und Mensch auch dem Nichtsehenden zu offenbaren,
den Halbwissenden zu wecken und den Wissenden zu
trösten, könnte auch in unserer Zeit, die zu allem
Guten willig ist, aber der Führung bedarf, eine hohe
innere Aufgabe der Kunst, unbeschadet ihres gestal-

tenden Auftrages sein. Wie wenige Menschen ver-
mögen das lebendige Leben in der Natur (und im
Menschen) zu begreifen. Landschaft mit Sonne, zu
Ausflügen geeignet, das ist gewöhnlich alles, was die
Natur dem Landläufigen zu sagen hat. Oft genug
schon unfähig, die menschlichen Typen zu unter-
scheiden— man denke nur an die mangelnde Kennt-
nis der Typen des Künstlers — versagt die gröbste
Unterscheidungsgabe schon beim Charakter des Tie-
res. Ein Wurf Hunde etwa gilt dem Naturfremden
soviel wie ein Würfelspiel mit gleichen Augen: Hund
gleich Hund. Wer aber vermag noch das Gesicht der
Bäume oder der Pflanzen zu deuten oder gar das
Wesen, die Seele der Kräfte und Elemente, die ihre
Gestalt strömend verbergen, des Wassers, des Stur-
mes, der Wolken? Je mehr das große Zusammen-
leben, die Symbiose alles Lebendigen zerstört wurde,
um so fremder, gleichgültiger wurde ja dem Men-
schen auch die Einzelgestalt, um so schwächer auch
ihre hegende, heilende Wirkung. Wir spüren alle die
verhängnisvolle Unordnung, die in das Ganze ein-
zog und es zerspaltete, seit die technischen Ordnun-
gen eine neue, rücksichtslose Gegenwelt aufbauten
— und hier, im Aufbruch des Volkes, das die Ge-

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