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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 54.1938-1939

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Geibel, Hermann K.: Über das Arbeiten in Stein
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Ferdinand Hodler an die Künstler
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https://doi.org/10.11588/diglit.16487#0234

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Mundwinkel, setzen und veranlaßt den Handwerker,
auch mit den wenigen Punkten noch einen oder einige
Millimeter von der Oberfläche entfernt zu bleiben,
damit man noch Spielraum hat und sich nicht fest-
gelegt fühlt. Auch an der Plinte wünscht man gerne
noch zu ändern: man kann das bei Schaffung des
Tonmodells oft nicht voraussehen und will sich daher
lieber vom Stein und seinen Gesetzen leiten lassen.
Also ist es zweckmäßig, auch da noch nicht soweit
durch den Steinmetzen vorarbeiten zu lassen. Man
muß überhaupt dem Handwerker sehr auf die
Finger sehen, damit er nicht zu weit geht und zu viel
Meßpunkte setzt. Ist dann erst mal die erste Scheu
vor dem bossierten Steinungetüm überwunden, so
läßt sich mit dem Zahneisen weitgehend die Form
im Stein erschaffen: danach kommt das Glätten mit
dem Schneideisen, aber nur schrittweise im Maße
der Ausreifung der Form. Je nach der Beschaffenheit
des Materials muß man seinen Schlag regeln. Da der
Stein auf jeden Schlag kraft seiner eigenen Elastizi-
tät antwortet, so ist es alles andere als ein Schaffen
an totem Material. Der Stein lebt, er hat seine Eigen-
heiten, seine Tücken, er ist farbig, ist zuweilen
durchscheinend, und man muß den ihm eigenen
Lichtgeselzen bei Schaffung der Form Rechnung

tragen. Am Stein bleibt man immer frisch und
schöpferisch, sofern man sich nicht damit begnügt,
ein bereits als Gipsmodell existierendes Bildwerk
lediglich in Stein zu kopieren. Aber Zeit muß man
haben, es darf einem nicht eilen, man darf der heu-
tigen Zeitkrankheit nicht verfallen. Deutschlands
Gebietszuwachs hat auch dem Bildhauer schöne Roh-
stoffe erschlossen. Aus dem Salzkammergut, Tirol
und Kärnten kommen herrliche heimische Marmor-
sorten, und Steine haben wir auch im Altreich die
allerschönsten. Bei den öffentlichen Aufträgen wird
ja heute weitgehend von unserem Steinmaterial
Gebrauch gemacht, aber leider hindert das Tempo,
in dem heute die Lieferung der Bildhauerarbeiten
verlangt zu werden pflegt, den Künstler in den
meisten Fällen, sein Werk ausreifen zu lassen und
eigenhändig Entscheidendes am Stein selbst zu
schaffen. Er muß es mehr oder weniger geübten
Handwerkern überlassen und behält sich die Ober-
aufsicht vor. Darum sollten die Künstler hin und
wieder auch eine Steinplastik machen, die sie freut
und bei deren Ausarbeitung es gar nicht ejlt. In den
letzten Jahren ist ein erfreulicher Aufschwung in
dieser Richtung zu bemerken.

Ferdinand Hodler an die Künstler*)

..Wer nach Eindrücken, nach Stoffen sucht oder
suchen muß, ist nicht nur kein Künstler, sondern
entweder ein anmaßlicher Geck oder ein hoffnungs-
loser Stümper, denn andernfalls hätte er gerade da-
mit genug zu schaffen, die auf ihn eindringenden
Gegenstände und Stoffe von sich abzuwehren oder
wo das nicht geht, sie zu sichten und zu verarbeiten.'"
..Ich habe mich fast immer verhauen, wenn ich der
bloßen Begeisterung nachgegeben habe."
..Gefällige Geläufigkeit und Auswendigkönnen sind
nicht bloß gefährlich an sich, sondern sind auch eine
Selbsttäuschung. Denn es gibt zu unendlich viele
Formen, als daß sie ein einzelner Mensch alle aus-
wendig wüßte oder sie sich einprägen könnte."
.,Albrecht Dürer, von dem wir alle immer und im-
mer wieder vieles und wesentliches lernen können,
hat es nie verschmäht, sich selbst und andern den
scheinbar kindlichsten Elementarunterricht zu er-
teilen. Je tiefer man in seine /Unterweisung der Mes-
sung' eindringt, je getreuer man seine Ratschläge
namentlich in der praktischen Arbeit befolgt und von
ihnen ungeahnt gefördert wird, je klarer kommt
einem zum Bewußtsein, daß nur ein vollendeter
großer Meister der Kunst dieses Buch schreiben
konnte. Man lernt Albrecht Dürer nicht nur als
Künstler, sondern auch als untrüglichen und wohl-
wollenden Lehrer je länger, je inniger verehren. Ich
verdanke ihm ungeheuer viel und bleibe meinem
Lehrer Menn zeitlebens zu Dank verpflichtet, daß er
mich gerade zu Dürer, in dessen strenge, unerbitt-
liche Lehre schickte."

„Man muß im voraus genau wissen, was und wozu

") Aus: CA. I.oosli ..Aus der Werkstatt Ferdinand Hodlers".

man zeichnen oder malen will. Erst wenn man sich
darüber, womöglich bis in alle Einzelheiten im kla-
ren ist, trete man an die Natur oder an das Modell
heran. Natur und Modelle haben sich der Absichl
und dem künstlerischen Wollen zu fügen."
..Jegliche F'orm enthält schon die Grundlagen eines
Stils. Stil aber ist Rhythmus und Rhythmus bedeutet
Leben überhaupt."

„Die Größe eines Gemäldes hängt nie von seinem
äußeren Umfang, sondern immer nur von seinem
Gehalt und inneren Gleichgewicht ab. Großformate
sind nur für den gefährlich, der klein empfindet,
denn sie wollen gefüllt sein. Die Fläche verpflichtet."
„Der bildende Künstler vor allem, wie der Mensch
überhaupt, braucht weder Leid noch Leidenschaft
besonders zu suchen. Sie stellen sich schon unberufen
reichlich genug ein. Aber wer wirklich ein Künstler
ist, der wird ihnen nicht ausweichen, sondern wird um
sie und mit ihnen ringen."

..Denn was verstehen wir unter Größe, wenn nicht
etwas, das möglichst viele Menschen lange, nach-
haltig und dermaßen tief beeindruckt, daß sie sich
darob dauernd bereichert, gehoben und veredelt füh-
len. Diese allgemeine Lebensbereicherung zu fördern
und zu mehren, darin besteht nicht nur die Aufgabe,
sondern die Daseinsberechtigung des Künstlers über-
haupt. Er hat Schönheit zu vermitteln nach bestem
Können und A'ermögen, denn die Schönheit ist dem
Menschen ebenso unentbehrlich wie Speise und
Trank, wie die Luft zum Atmen. Die Sehnsucht nach
Schönheit, wie sie die Kunst vermittelt, ist lediglich
ein Ausdruck des allmenschlichen Liebe- und Ver-
ehrungsbedürfnisses."

Kunst für Alle. Jahrg. 54, Heft7. April 1939

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