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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 54.1938-1939

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Hartmann, Heinrich: Zur Gestaltung des Hausrats
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https://doi.org/10.11588/diglit.16487#0070

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Zur Gestaltung des Hausrates

Von Heinrich Hartmann, Hauptreferent für bildende Kunst in der Reichsjugendführung

Die Sprache eines Raumes wird erst dann klingend
und wirksam, wenn zu seinen baulichen Elementen
noch Bilder, Möbel und die kleinen Dinge des täg-
lichen Gebrauchs hinzutreten, ihm seine Leere neh-
men und ihre Kräfte schenken. Von all diesen Gegen-
ständen des Hausrates, die wir täglich gebrauchen,
wird der besondere Charakter einer Räumlichkeit
meist mehr bestimmt als von der Gestalt der um-
schließenden Wände. Sie sind lebendiger und feiner,
oft einladender und ansprechender, sie kommen im-
mer wieder mit uns in Berührung als unsere unmit-
telbaren Freunde und Helfer. Während Wände,
Decke, Boden und Öffnungen in ihrer entscheiden-
den raumbestimmenden Wirkimg vielen gar nicht be-
wußt werden, haben wir doch alle schon einmal über
die schöne Platte eines Tisches gestrichen, eine Schale
in der Hand gewogen, uns an der Reinheit einer
edlen Form erfreut und ein Bild bewußt betrachtet.
All' diese Gegenstände, die wir mit einem Blick um-
fassen können, mit denen wir in langen Jahren des
Besitzens und Gebrauchens erst recht verwachsen,
schaffen für die meisten die tiefsten Bindungen an
einen Raum, geben ihm eine Wärme und Herzlich-
keit, die ihn uns liebenswert macht. Auch von seinem
Hausrat her wird ein Raum von einer Fülle von Be-
ziehungen und Kräften durchzogen, die sich über
den Alltagszweck hinaus unmittelbar an den leben-
digen inneren Menschen wenden. Darum bedarf aller
Hausrat mehr als nur der Hand des Technikers, die
ihn brauchbar und haltbar löst, er braucht Gestal-
tung aus reifem Herzen und begnadeten Fländen.

Weil sich uns heute so vieles als gestaltetes Werk
aufdrängt, was in Wahrheit Blendwerk und Lüge ist,
muß hier versucht werden, etwas zum Wesen echter
Gestaltung zu sagen. So wenig eine Gestalt in ihrer
Richtigkeit rechnerisch bewiesen werden kann, weil
sie nämlich aus innerer Notwendigkeit und Sicherheit
zu gerade dieser Form wächst, so wenig kann der
Vorgang des Gestaltens selbst methodisch erklärt und
gelehrt werden. Gestaltung ist Wachstum, darum
gibt es vor ihr nur ein Ahnen und eine Ehrfurcht.
Was uns als Gestalt in seiner Schönheit erfreut, in
seiner Innerlichkeit bereichert, in seiner Reinheit
klärt und in seinem Adel verpflichtet, wächst in
einem langen Prozeß inneren Ringens und Suchens,
wächst aus Zweifeln und Hoffen aus der Seele des
Künstlers nach seinem prägenden Gesetz. Die ge-
stellte Aufgabe und der in allen seinen Bedingungen
geklärte Zweck eines Gegenstandes erwecken die erste
Vorstellung einer möglichen Form, die ihm gerecht
werden könnte, und die Erfahrung der handwerk-
lichen Arbeit findet das Material und die Konstruk-
tion, die zu diesem gewünschten Ergebnis führen
könnte. Alles das muß in einem Werkstück zusam-
menwachsen und verbunden werden: die reine Zweck-
mäßigkeit der Form, die der oftmals nüchternen
Aufgabe gerecht werden soll, das Material in seiner
Haltbarkeit, Zusammensetzung, in seiner besonderen

Farbe und Oberfläche, seinem Klang und innerem
Gewicht und die Konstruktion mit ihren technischen
Bedingungen, ihrer Abhängigkeit vom Material und
dem Wert ihres Ausdruckes. All diese Notwendig-
keiten und Abhängigkeiten zu einer Harmonie zu
verbinden, verlangt schon den ganzen Menschen,
braucht die Phantasie, die das Ergebnis vorwegnimmt
und klärt, braucht das geübte Auge, das die Formen
schaut und prüft und die fühlende Hand, die ihnen
nachspürt. Vor allem aber ist notwendig die schöpfe-
rische Kraft, die nach einem in jedem Menschen
rulienden, inneren Gesetz aus der bloßen Vereini-
gung aller Bedingungen eine Gestalt prägt. Es ist das
Gesetz, nach dem sich alles Organische und Leben-
dige baut, das auch in jeder echten künstlerischen
Arbeit sichtbar wird.

Wir warnen alle die, denen noch immer die Frage
des Möbelbaues nur ein Geschäft ist und die sich
skrupellos bald sachlich, bald romantisch geben und
je nach Wunsch in Biedermeier, Barock oder ,,Mo-
dern-Kaukasisch-Nußbaum" liefern können. Weder
das Kastenmöbel ohne Abschluß und ohne Fuß, noch
die phantastischen Gebilde, die uns im Fluß ihrer
Linien so stark an Autokarosserien erinnern, noch die
Liniengebilde der Stahlrohrmöbel, noch das mit
schlechten Mitteln nachgeahmte und künstlich alt-
gemachte Bauernmöbel kommen für unsere Räume
in Frage. Ein Stuhl kann eben nicht ..sachlich" be-
rechnet und mit dem Lineal entworfen werden, er
braucht die lebendige Hand, um lebendige Formen
zu erhalten. Jede Gestalt, die so gewachsen ist, ist
mehr als eine Nutzform. Sie ist die sichtbare Form
für unsichtbare Kräfte, ist das äußere Abbild einer
inneren Idee. So gehen auch in jedes echte Werk
eines Menschen die Gesetze seines eigenen Lebens
und seiner Seele ein. Darum fordern wir für die Ge-
staltung unseres Hausrates nicht nur eine zweck-
mäßige Form, einen natürlichen Werkstoff, eine ihm
gemäße richtige und saubere Konstruktion, sondern
vor allem einen Handwerker, der in seiner Haltung
und seinem ganzen Leben zu uns gehört. Er nur wird
diese Aufgabe erfüllen können, den auf Jahrzehnte
hinaus wirkenden, erzieherischen Raum der deut-
schen Jugend mitzuschaffen.

Jede echte Gestalt ist wahr und in einem höheren
Sinne „schön".

Die Schönheit eines Gegenstandes aber schließt zu-
gleich eine höhere Zweckmäßigkeit in sich. Ein
schöner Hausrat wird uns nicht nur zur Verfügung
stellen, sondern freudig dienen. Wir werden ihn nicht
nur benutzen, sondern gern gebrauchen.
Je länger aber ein echter Mensch mit solchen Gegen-
ständen lebt, um so stärker macht er sie lebendig. Sie
erhalten dann seinen Geist und strahlen ihn zurück
als ein Lebendiges, das sie von ihm empfangen haben.
Was in einem Raum gesprochen, gedacht, empfun-
den und errungen wurde, das bleibt in ihm und sei-
nem Hausrat als eine Seele, die noch nach Jahrhun-
derten zu sprechen vermag.

—1938/39- n. 3
 
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