Carl Otto Müller. Winterlandschaft mit Fluß (1937)
Der Maler C. O. Müller. Von Wilhelm Rüdiger
Uber ein Schaffen zu schreiben, das noch ganz im
Fluß ist. über einen Menschen, der im höchsten und
lebendigsten Maße ein Werdender ist, muß fast uner-
laubt erscheinen: man geht dabei nur mit Hemmun-
gen und recht zaghaft zu Werke. Denn im Augen-
blick, da man die künstlerische Substanz fixieren will,
da man sie fesseln will durch das beschreibende und
wertende Wort, hat sie bereits dieses künstliche Wehr,
das Werk und Persönlichkeit gleichsam wie in einem
Staubecken sammelnd festhalten wollte, wieder durch-
brochen und breitet sich strömend in neue, bisher
noch nicht berührte Gefilde aus.
Betrachtet werden kann nur Gewordenes, Fertiges.
Ist ein Künstler ein so „Fertiger", dann ist er kein
Werdender und letztlich kein Lebendiger mehr —
denn alles Leben heißt Verwandlung —, er zehrt
„von der Masse", er braucht sich ab und auf. Allein
aus dem tief innen wirkenden Gefühl der Unzufrie-
denheit, daß das Bestehende, das bisher Erreichte
nicht genügt, um das, was werden will, aufzunehmen
und auszusagen, kommen die künstlerischen Revolu-
tionen und Entscheidungen und die reifenden Fort-
schritte. Und es gehört Mut und Charakter dazu, das
Erreichte wieder aufzugeben und nur noch als Stufe
anzusehen, sich hinauszuwagen ins Neue, Unbe-
kannte, in neue Probleme, neue Unsicherheit.
Wenn man das Schaffen des jungen Münchner Ma-
lers Carl Otto Müller betrachtet, erscheint — neben
seinem Talent, versteht sich — (er gehört wohl zu
den begabtesten in der jüngeren Münchner Maler-
generation) — diese charaktervolle ernste Bereit-
schaft und radikale Entschlossenheit, auf bequem und
leicht Gewordenes zu verzichten und das Neue, den
Schritt weiter, zu wagen, als einer der stärksten
Wesenszüge. Der heute 58jährige Maler ist in den
8 Jahren, in denen er im Münchner Kunstleben einen
Platz einnimmt, schon durch manches Tor zu Neuem
weitergeschritten. Und wenn es richtig ist, daß der
Weg echter künstlerischer Entwicklung allein der
ist, daß ein Künstler zu sich selber findet, daß er sich
frei macht von allem Angenommenen, allem bloß Ge-
lernten, dann ist der Maler CO. Müller bereits kräf-
320
«
Der Maler C. O. Müller. Von Wilhelm Rüdiger
Uber ein Schaffen zu schreiben, das noch ganz im
Fluß ist. über einen Menschen, der im höchsten und
lebendigsten Maße ein Werdender ist, muß fast uner-
laubt erscheinen: man geht dabei nur mit Hemmun-
gen und recht zaghaft zu Werke. Denn im Augen-
blick, da man die künstlerische Substanz fixieren will,
da man sie fesseln will durch das beschreibende und
wertende Wort, hat sie bereits dieses künstliche Wehr,
das Werk und Persönlichkeit gleichsam wie in einem
Staubecken sammelnd festhalten wollte, wieder durch-
brochen und breitet sich strömend in neue, bisher
noch nicht berührte Gefilde aus.
Betrachtet werden kann nur Gewordenes, Fertiges.
Ist ein Künstler ein so „Fertiger", dann ist er kein
Werdender und letztlich kein Lebendiger mehr —
denn alles Leben heißt Verwandlung —, er zehrt
„von der Masse", er braucht sich ab und auf. Allein
aus dem tief innen wirkenden Gefühl der Unzufrie-
denheit, daß das Bestehende, das bisher Erreichte
nicht genügt, um das, was werden will, aufzunehmen
und auszusagen, kommen die künstlerischen Revolu-
tionen und Entscheidungen und die reifenden Fort-
schritte. Und es gehört Mut und Charakter dazu, das
Erreichte wieder aufzugeben und nur noch als Stufe
anzusehen, sich hinauszuwagen ins Neue, Unbe-
kannte, in neue Probleme, neue Unsicherheit.
Wenn man das Schaffen des jungen Münchner Ma-
lers Carl Otto Müller betrachtet, erscheint — neben
seinem Talent, versteht sich — (er gehört wohl zu
den begabtesten in der jüngeren Münchner Maler-
generation) — diese charaktervolle ernste Bereit-
schaft und radikale Entschlossenheit, auf bequem und
leicht Gewordenes zu verzichten und das Neue, den
Schritt weiter, zu wagen, als einer der stärksten
Wesenszüge. Der heute 58jährige Maler ist in den
8 Jahren, in denen er im Münchner Kunstleben einen
Platz einnimmt, schon durch manches Tor zu Neuem
weitergeschritten. Und wenn es richtig ist, daß der
Weg echter künstlerischer Entwicklung allein der
ist, daß ein Künstler zu sich selber findet, daß er sich
frei macht von allem Angenommenen, allem bloß Ge-
lernten, dann ist der Maler CO. Müller bereits kräf-
320
«