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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 54.1938-1939

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Hohoff, Curt: Paul Cézanne zum hundertsten Geburtstag am 19. Januar 1939
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https://doi.org/10.11588/diglit.16487#0162

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lieferung im Blut, war Maler von Grund auf. Alan
hat ihn den Tintoretto des neunzehnten Jahrhun-
derts genannt, im Vergleich von dessen Verhältnis
zu Tizian. Was der venezianische Färbersohn wollte,
hat der Franzose verwirklicht: den Gegenstand nur
aus Farbe und Tönung entstehen lassen, ohne Zeich-
nung, ohne perspektivische Künste. Dazu war es zu
Tintorettos Zeiten zu früh gewesen; für Cezanne erst
wird die Farbe allein Gegenstand und Mittel der
Malerei.

Cezanne verstand nichts von Zeichnung. Später wollte
er gelegentlich, in den Porträts, Raumtiefe erzielen
und zog mit dem Pinsel einige Linien, die zeichne-
risch betrachtet klobig wirken. Er hatte jedoch Zeich-
nung, Kontur und Raum und Perspektive nicht nötig,
weil er anders sah als gewöhnliche Menschen. Y\ ir
sehen mit konventionellen Augen, er aber ursprüng-
lich. Woher wissen wir, daß der Apfel rund ist? Aus
der Erfahrung — gut: aber Cezanne sagt, der Maler
soll keine Erfahrung malen, sondern das sinnlich
Wahrgenommene der Erscheinung des Apfels, den
farbigen Eindruck des Apfels. Für das Auge besteht
der Umriß nicht in einer Linie, sondern in der Ab-
grenzung des einen Farbflecks durch einen andern.
Diesen Eindruck will Cezanne festhalten, beschwö-
ren, bannen mit dem Pinsel auf die Fläche der Lein-
wand. Er erregte mit seinen Ansichten größten Wider-
spruch, und seine Bilder verstand man nicht, die Kin-
der liefen ihm auf der Straße nach und zeigten mit
dem Finger auf den verrückten Maler.
Er ließ sich nie beirren. Cezanne liebte eigentlich
nicht Gedanken über seine Kunst, er sagte, sie störten
die schöpferische Arbeit: er legte den Pinsel hin.
wenn ihn der Gedanke überfiel. Er mied alle Gesell-
schaft und war ein Sonderling. Er sagte einmal: ..Die
Kunst wendet sich nur an eine sehr beschränkte An-
zahl von Menschen." Für seine Kunst ist das völlig
richtig. Auch Hölderlins Gedichte wenden sich nur
an wenige. Er fand im Stilleben eine Zeitlang Befrie-
digung. In Ruhe konnte er Farben und Töne studie-
ren; er saß nämlich stundenlang vor einem Motiv
und malte dann langsam. Er verzichtete auf die Ge-
nauigkeit und technische Könnerschaft Manets: in
seinem Inneren setzte er das Gesehene um in farbige
Werte und Töne, wie ein genialer Musiker das
Wesen der Welt in Tönen erfaßt. Cezannes Kunst er-
scheint oft dekorativ, als sei sein Bild ein sorgfältig
abgewogenes Farbenspiel; aber er verlor sich nie im
bloß Dekorativen. YY enn er merkte, daß seine Farben
zu spielen begannen, wandte er sich wieder zum
Gegenstand und saß lange davor und ließ ihn in sich
eingehen, wie ein Mystiker in Betrachtungen versinkt.

Man nennt Cezanne oft konstruktiv. Wahr ist, daß
in dem Rausch von Orange, Rot und Graugrün eine
merkwürdige Ausgewogenheit herrrscht — aber nicht
im geometrischen, sondern im ästhetischen Sinn. Er
wurde zum Landschafter, und dann stellte er in diese
Landschaften nackte, plumpe Frauen — figürliche
Komposition ist immer eines der großen Ziele der
Maler gewesen. Cezanne kam auf ganz selbstver-
ständliche Weise dazu, weil er Alaler von Geblüt war.
Daß er nicht zeichnen konnte, gewahrt man auf die-
sen Badeszenen andauernd, die Bilder haben weder
Kontur noch Perspektive. Die Frauen leben aus dem
Rausch ihrer Farbe, sie sind — visionär — nur
als farbige Kontraste und Spiele gesehen. In der
Qualität unterschiedlich, sind diese Badebilder alle
von gleicher Art. Alan möchte von Manier sprechen
(es ist das, worauf so viele Nachahmer später herein-
fielen) und sagen: er konnte nicht mehr, aber es
muß heißen: er konnte nicht anders, weil diese Weise
sein Evangelium, sein Zwang, sein Genie und sein
Stolz war. V enn er nicht weiterwußte, hörte er auf
zu malen, ließ die Bilder ,,unfertig" ; auch ließ er das
Bild von Kindern im Spiel zerreißen und lachte; denn
er hatte es gemalt und gekonnt; er hatte sich in die-
sem Bild von seiner Vision befreit wie ein Mystiker,
der erst Buhe findet, wenn er seine Gesichte mitge-
teilt hat.

Indem Cezanne die Welt als farbige Flecke, getönte
Erscheinung sieht, unterschlägt er natürlich viel,
was wir als zur Wirklichkeit gehörig ansehen, er
vereinfacht die V elt gleichsam auf den sinnlichen
Eindruck der Buntheit hin, weil er nur als Maler
sieht. Man muß die Vereinfachung mitvollziehen;
das ist schwierig für den nicht rein malerisch Sehen-
den, und darum sagte Cezanne, nur wenige verstün-
den die Malerei. Unerhört ist nun. wie er dennoch
in dieser Vereinfachung der Farbsicht das ganze
Wesen des Dargestellten umgreift und — auf nrysti-
sche Weise — einbezieht. Die Vereinfachung, Stili-
sierung ist ein großes Gesetz aller Kunst, aber bei
Cezanne geht sie zum Äußersten; er ist der absolute
Maler, sie geschieht nach einem inneren Rhythmus,
der oft als „dekorativ" mißverstanden wird, der aber
auf moderne Weise dem barocken Schwung Dela-
croix' entspricht. In diesem Sinne ist Cezanne näm-
lich ganz der Überlieferung verhaftet: daß er die Er-
rungenschaften des Impressionismus in den Dienst
des gleichen Wollens stellt, das von den Früheren mit
ihren Mitteln verwirklicht wurde und um dessentwil-
len Cezanne heute so aufregend wirkte: Verwirk-
lichung der Welt durch Malen, eine zweite Schöp-
fung, das absolute Bild.

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