Altdeutsche Kunst im Do nauland. Ausstellung in Wien, Kunstgewerbemuseum. Von Karl Oettinger
Daß die beiden Donaugaue der Ostmark die Heimat
des deutschen Barock gewesen sind, der von hier aus
ganz Süd- und Mitteldeutschland erobert hat, weiß
jedermann. Die Paläste und Kirchen Fischers von
Erlach und Hildebrands in Wien, die Stifte Kloster-
neuburg, Melk, St. Florian, Kremsmünster sind mit
zahllosen anderen Denkmälern berühmt genug.
Ebenso selbstverständlich ist der Begriff des Bieder-
meier mit der Kultur des Wiener Vormärz verknüpft.
Die Zeitgenossen Schuberts und Lenaus unter den
Malern, allen voran Waldmüller, der größte deutsche
Künstler seiner Generation, und Amerling, Danhau-
ser und Schwind sind jedem Kunstsinnigen bekannt.
Was die jetzige Ausstellung zeigen will, ist nicht
weniger, als daß auch in der Gotik und in der Dürer-
zeit eine ebenso reiche Kunst hier gewachsen ist, daß
auch damals das Donauland, für die ganze Epoche ge-
sehen, die glücklichste Landschaft im Reiche war.
Das wird vielen und sogar vielen Kunstforschern zu-
nächst anmaßend oder mindestens überraschend
scheinen. Denn a^lßer dem Dom von St. Stephan und
dem herrlichen Schnitzaltar, den der Tiroler Michael
Pacher für St. Wolfgang im Salzkammergut schuf,
ist kaum etwas einem weiteren Kreis und vieles nicht
einmal in wissenschaftlichen Werken bekanntge-
macht worden.
Erst die letzten anderthalb Jahrzehnte haben für die
Ostmark eingeholt, was die deutsche Forschung für
die übrigen Stämme schon länger geleistet hatte. Sie
haben immer neue Entdeckungen großer Meister und
Werke der Gotik gebracht und damit für ein Unter-
nehmen wie die neue Ausstellung die Grundlage ge-
schaffen. Vor dreizehn Jahren ist mit einer ähnlichen,
wenn auch viel bescheideneren Schau ein guter An-
fang gemacht worden.
Eine weitere Voraussetzung war erst in diesem Jahre
zu erfüllen: eine verantwortungsbewußte und groß-
zügige Kunstverwaltung hat die Rettung und Wie-
derherstellung von mehr als hundert Hauptwerken
der altdeutschen Kunst der Ostmark möglich gemacht.
Unter der Oberleitung Robert Eigenbergers sind in
erfolgreichem Zusammenwirken mit dem Denkmal-
amt im Lauf eines Jahres unschätzbare Werte ge-
sichert und zum Teil überhaupt erst ans Licht ge-
bracht worden. Eine Fülle von ausgezeichneten Kräf-
ten hat an dieser größten denkmalpflegerischen Ak-
tion ihrer Art auf deutschem Boden mitgeschaffen
and die Unterlassungssünden mehrerer Jahrzehnte
gutgemacht.
Hierin lag zugleich die Berechtigung zu einer sol-
chen Ausstellung überhaupt. Denn die Gefahr, die
der Transport von Steinskulpturen, Holzschnitzereien
and Tafelbildern immer birgt, wäre ohne die an sich
gegebene Notwendigkeit aus Konservierungsgründen
vielfach nicht zu verantworten gewesen.
So großen Nutzen ohne Zweifel die deutsche Kunst-
wissenschaft aus der Veranstaltung ziehen wird, ist
doch dies nicht ihr Hauptzweck gewesen. Nicht eine
kunsthistorische, sondern eine richtige Kunstausstel-
lung, wenn auch mit alten Werken, wird gezeigt. Die-
ser Grundsatz hat die Auswahl ebenso wie die Auf-
stellung bestimmt. Es wurde keineswegs alles für
den Fachmann Interessante und Problematische ge-
zeigt und nirgends systematische Vollständigkeit er-
strebt, sondern mit äußerster Strenge unter den vie-
len Hunderten von Werken allein das künstlerisch
Erstrangige gewählt. Es wurde ferner auf die histo-
rische Treue insoferne verzichtet, als auch die Aus-
wahl der Gegenstände auf die künstlerische Wirkung
für uns Heutige Rücksicht nahm. Das Schmerzhafte
und Verzerrte, die Uberfülle der Kruzifixe und Mar-
tyrien wurde zugunsten anderer an sich seltenerer
Themen zurückgedrängt.
Auch in der Aufstellung ist nur in großen Zügen die
entwicklungsgeschichtliche Ordnung eingehalten. Im
einzelnen aber bestimmte die künstlerische Bedeu-
tung der einzelnen Werke und die jeweils beste
Raumwirkung und Beleuchtung ihren Ort. Das große
Ausstellungsgebäude im Kunstgewerbemuseum am
Stubenring hat für diesmal eine Erweiterung durch
den bisher die ostasiatische Sammlung enthaltenden
Saal und durch den großen Vortragssaal im Ober-
stock gefunden, der zur Aufstellung der beiden
Hauptaltäre des 16. Jahrhunderts adaptiert wor-
den ist.
Dadurch wurde der nötige Raum für die gegen 500
Objekte zählende Schau geschaffen, die über 100
Stein- und Holzbildwerke und ebensoviel altdeutsche
Bildtafeln, daneben noch erlesene Glasgemälde, Mi-
niaturenhandschriften, Goldschmiedearbeiten. Kera-
miken und andere kunsthandwerkliche Stücke ent-
hält.
Nur einige der bedeutenden Schöpfungen können mit
den hier abgebildeten erwähnt werden. Die große
steinerne Madonna aus Wiener-Neustadt, neuerdings
für das Kunsthistorische Museum erworben, ist ein
Hauptwerk der frühen Dombauhütte von St. Stephan,
die durch mehrere ähnlich großartige Stücke vertre-
ten ist und einen Höhepunkt der frühgotischen Pla-
stik in Deutschland bezeichnet. Die zweite Hälfte
des 14. Jahrhunderts bietet mit dem Porträt Erzher-
zog Rudolfs IV. des Stifters (gest. 1565) das früheste
Bildnis der deutschen Malerei. Die Statue der Kai-
serin vom hohen Turm von St. Stephan gehört mit
den übrigen gezeigten Figuren ihres Meisters zu den
Spitzenleistungen des höfischen Stils vor 1400.
Die Malergeneration Stephan Lochners wird in der
Ostmark durch Hans von Tübingen vertreten, der
seit den Zwanziger jähren hier ansässig und jahr-
zehntelang Meister zu Wiener-Neustadt war. Dem
Kölner Maler des Marienlebens und Dürers Lehrer
Hans Wolgemut parallel entstand um 1470 der große
Altar für die Wiener Schottenkirche, einzigartig
durch die Stadt- und Landschaftsporträts, die sich auf
Kunst für Alle, Jahrg. 54, Heft 10, Juli 1939 33
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Daß die beiden Donaugaue der Ostmark die Heimat
des deutschen Barock gewesen sind, der von hier aus
ganz Süd- und Mitteldeutschland erobert hat, weiß
jedermann. Die Paläste und Kirchen Fischers von
Erlach und Hildebrands in Wien, die Stifte Kloster-
neuburg, Melk, St. Florian, Kremsmünster sind mit
zahllosen anderen Denkmälern berühmt genug.
Ebenso selbstverständlich ist der Begriff des Bieder-
meier mit der Kultur des Wiener Vormärz verknüpft.
Die Zeitgenossen Schuberts und Lenaus unter den
Malern, allen voran Waldmüller, der größte deutsche
Künstler seiner Generation, und Amerling, Danhau-
ser und Schwind sind jedem Kunstsinnigen bekannt.
Was die jetzige Ausstellung zeigen will, ist nicht
weniger, als daß auch in der Gotik und in der Dürer-
zeit eine ebenso reiche Kunst hier gewachsen ist, daß
auch damals das Donauland, für die ganze Epoche ge-
sehen, die glücklichste Landschaft im Reiche war.
Das wird vielen und sogar vielen Kunstforschern zu-
nächst anmaßend oder mindestens überraschend
scheinen. Denn a^lßer dem Dom von St. Stephan und
dem herrlichen Schnitzaltar, den der Tiroler Michael
Pacher für St. Wolfgang im Salzkammergut schuf,
ist kaum etwas einem weiteren Kreis und vieles nicht
einmal in wissenschaftlichen Werken bekanntge-
macht worden.
Erst die letzten anderthalb Jahrzehnte haben für die
Ostmark eingeholt, was die deutsche Forschung für
die übrigen Stämme schon länger geleistet hatte. Sie
haben immer neue Entdeckungen großer Meister und
Werke der Gotik gebracht und damit für ein Unter-
nehmen wie die neue Ausstellung die Grundlage ge-
schaffen. Vor dreizehn Jahren ist mit einer ähnlichen,
wenn auch viel bescheideneren Schau ein guter An-
fang gemacht worden.
Eine weitere Voraussetzung war erst in diesem Jahre
zu erfüllen: eine verantwortungsbewußte und groß-
zügige Kunstverwaltung hat die Rettung und Wie-
derherstellung von mehr als hundert Hauptwerken
der altdeutschen Kunst der Ostmark möglich gemacht.
Unter der Oberleitung Robert Eigenbergers sind in
erfolgreichem Zusammenwirken mit dem Denkmal-
amt im Lauf eines Jahres unschätzbare Werte ge-
sichert und zum Teil überhaupt erst ans Licht ge-
bracht worden. Eine Fülle von ausgezeichneten Kräf-
ten hat an dieser größten denkmalpflegerischen Ak-
tion ihrer Art auf deutschem Boden mitgeschaffen
and die Unterlassungssünden mehrerer Jahrzehnte
gutgemacht.
Hierin lag zugleich die Berechtigung zu einer sol-
chen Ausstellung überhaupt. Denn die Gefahr, die
der Transport von Steinskulpturen, Holzschnitzereien
and Tafelbildern immer birgt, wäre ohne die an sich
gegebene Notwendigkeit aus Konservierungsgründen
vielfach nicht zu verantworten gewesen.
So großen Nutzen ohne Zweifel die deutsche Kunst-
wissenschaft aus der Veranstaltung ziehen wird, ist
doch dies nicht ihr Hauptzweck gewesen. Nicht eine
kunsthistorische, sondern eine richtige Kunstausstel-
lung, wenn auch mit alten Werken, wird gezeigt. Die-
ser Grundsatz hat die Auswahl ebenso wie die Auf-
stellung bestimmt. Es wurde keineswegs alles für
den Fachmann Interessante und Problematische ge-
zeigt und nirgends systematische Vollständigkeit er-
strebt, sondern mit äußerster Strenge unter den vie-
len Hunderten von Werken allein das künstlerisch
Erstrangige gewählt. Es wurde ferner auf die histo-
rische Treue insoferne verzichtet, als auch die Aus-
wahl der Gegenstände auf die künstlerische Wirkung
für uns Heutige Rücksicht nahm. Das Schmerzhafte
und Verzerrte, die Uberfülle der Kruzifixe und Mar-
tyrien wurde zugunsten anderer an sich seltenerer
Themen zurückgedrängt.
Auch in der Aufstellung ist nur in großen Zügen die
entwicklungsgeschichtliche Ordnung eingehalten. Im
einzelnen aber bestimmte die künstlerische Bedeu-
tung der einzelnen Werke und die jeweils beste
Raumwirkung und Beleuchtung ihren Ort. Das große
Ausstellungsgebäude im Kunstgewerbemuseum am
Stubenring hat für diesmal eine Erweiterung durch
den bisher die ostasiatische Sammlung enthaltenden
Saal und durch den großen Vortragssaal im Ober-
stock gefunden, der zur Aufstellung der beiden
Hauptaltäre des 16. Jahrhunderts adaptiert wor-
den ist.
Dadurch wurde der nötige Raum für die gegen 500
Objekte zählende Schau geschaffen, die über 100
Stein- und Holzbildwerke und ebensoviel altdeutsche
Bildtafeln, daneben noch erlesene Glasgemälde, Mi-
niaturenhandschriften, Goldschmiedearbeiten. Kera-
miken und andere kunsthandwerkliche Stücke ent-
hält.
Nur einige der bedeutenden Schöpfungen können mit
den hier abgebildeten erwähnt werden. Die große
steinerne Madonna aus Wiener-Neustadt, neuerdings
für das Kunsthistorische Museum erworben, ist ein
Hauptwerk der frühen Dombauhütte von St. Stephan,
die durch mehrere ähnlich großartige Stücke vertre-
ten ist und einen Höhepunkt der frühgotischen Pla-
stik in Deutschland bezeichnet. Die zweite Hälfte
des 14. Jahrhunderts bietet mit dem Porträt Erzher-
zog Rudolfs IV. des Stifters (gest. 1565) das früheste
Bildnis der deutschen Malerei. Die Statue der Kai-
serin vom hohen Turm von St. Stephan gehört mit
den übrigen gezeigten Figuren ihres Meisters zu den
Spitzenleistungen des höfischen Stils vor 1400.
Die Malergeneration Stephan Lochners wird in der
Ostmark durch Hans von Tübingen vertreten, der
seit den Zwanziger jähren hier ansässig und jahr-
zehntelang Meister zu Wiener-Neustadt war. Dem
Kölner Maler des Marienlebens und Dürers Lehrer
Hans Wolgemut parallel entstand um 1470 der große
Altar für die Wiener Schottenkirche, einzigartig
durch die Stadt- und Landschaftsporträts, die sich auf
Kunst für Alle, Jahrg. 54, Heft 10, Juli 1939 33
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