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Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innendekoration — 6.1895

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Minkus, Fritz: Atelier-Stil, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.6759#0021

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Januar-Heft.

Zllustr. kunstgewerbl. Zeitschrift für Znnen-Dekoration.

Seite 7.

gänzliche Mangel stilistischer Schöpfungskraft, den
wir unserer Zeit vorwerfen, ist eine unleugbare That-
sache. Der krasse Realismus, der sich in den freien
Künsten immer mehr ausbreitet, ist die einzige Originalität unserer
Zeit auf diesem Gebiet; da er sich aber naturgemäß von jeglichem
Stile emanzipirt, so kann von einem realistischen Stil eben nur
in dem Sinne eines „Stils der Stillosigkeit" die Rede sein.

Die Architektur hat sich im profanbau, nach mancherlei
Versuchen, fast gänzlich der Renaissance und den darauffolgenden
Stilen zugewendet und hält sich im Kirchenbau fast durchgehends
streng an die bewährten Muster alter Zeiten.

Das Kunstgewerbe durchläuft innerhalb weniger Jahre planlos
den ganzen weiten Kreis
Jahrhunderte langer Stil-
entwickelung, in seiner
Formengebung nicht mehr
Ausfluß des Zeit- und
National-Karakters, son-
dern ein Spielball lau-
nischer Mode. Zn sinn-
loser Hast drängten sich
die gesammten Stilarten
crller Zeiten nacheinander
in unsere Wohnungen.

Louis XIV., Louis XV.,

Empire, italienische Re-
naissance, deutsche Renais-
sance, Gothik, japanischer,
orientalischer Stil. Allen
diesen Stilarten nach- und
nebeneinander entnahmen
nnd entnehmen wir die
Vorbilder unserer Ge-
brauchsgegenstände , unse-
res Mobiliars. Die soge-
nannten „Modernen Stile"
sind nichts als Verquickun-
gen jener alten Stilarten,
wie der modern-englische
eine Mischung der Gothik,
des Empire und des Za-
panismus ist. And trotz-
dem ist die Znnen-Dekora-
tion das einzige Gebiet
künstlerischen Schaffens,
das die Kraft hatte, den Zeitgeist in origineller Weise wiederzu-
geben, und unseren Wohnungen ein karakteristisches Gepräge zu
geben, das man mit Recht einen Stil nennen kann.

Der Name „Atelier-Stil" ist vielleicht etwas kühn erfunden;
er soll sein Hauptmerkmal bezeichnen, jenes scheinbar planlose
nnd doch wohlberechnete Durcheinander der heterogensten Stilarten,
die malerische Anordnung in der Vertheilung des Mobiliars und
der zahlreichen Nippessachen, wie wir sie in höchster Entfaltung
in den Ateliers der Maler finden, und wie sie nach und nach in
gemilderter Horm Einzug in unsere Wohnungen gehalten, ihnen
den Stempel des persönlichen, des individuellen Geschmacks ihrer
Besitzer aufdrückend und so in der Art und Weise der Wohnungs-
einrichtung als Stil das Karakteristikum der Zeit, den Indivi-
dualismus, getreulich wiedergebend. Es ist ein Haupterforderniß
ciner künstlerischen Wohnungseinrichtung, daß dieselbe die Merk-
male des Bewohntseins und des subjektiven Geschmacks des Be-
sitzers trägt: nur dann kann sie Anspruch auf ästhetischen und

ethischen Werth erheben. — Blicken wir auf die Zeiten der alten
großen Stile zurück, so nimmt es uns Wunder, einen, im Gegen-
satz zu dem sonst so hoch entwickelten Schönheits- und Kunstsinn
jener Zeiten, um so auffallenderen Mangel in Bezug auf die
oben erwähnten Erfordernisse einer Wohnungseinrichtung kon-
statiren zu müssen. Vielleicht mit Ausnahme der Zimmer der
deutschen Renaissance und den bürgerlichen Wohnungen des
Rokoko, finden wir fast durchgehends das Arrangement der Woh-
nungseinrichtung einer im Verhältniß zu der, den einzelnen Ein-
richtungsgegenständen gewidmeten, außerordentlichen Aufmerksam-
keit, merkwürdig schablonenhaften und lieblosen Behandlung
unterworfen. *

Dem klassischen Alterthum, das in Bezug aus Geschmack,
Kunstlieds und Luxus aus so hoher Stufe stand, war der Begriff
des Heims, der gemüthlichen Einrichtung desselben vollkommen

* Abbildung Nr. 8. Srlzlas-Zinnnep in einem pariser ksause.

fremd; das lag einerseits im Klima, welches das Leben im Freien
in hohem Maße begünstigte, andererseits in den Lebensgewohn-
heiten, die das Familienleben stark zurückdrängten und das Forum,
das Theater, den Tempel und andere öffentlichen Gebäude in weit
höherem Grade zum Schauplatz geselligen Lebens machten, als
das Privathaus.

Es ist eigenthümlich, daß selbst eine künstlerisch so glänzende
Periode, wie die des römischen Kaiserreichs, welche in Znnen-
und Außen-Architektur die luxuriöseste Prachtentfaltung aufwies,
eine Zeit, für deren hohes Kunstverständniß auch der Umstand
spricht, daß in derselben zum ersten Male bedeutende Kunst- und
Alterthums-Sammlungen entstanden, sich eine so hochgradige Ent-
haltsamkeit in Bezug auf Znnen-Dekoration zum Prinzip machte,
daß z. B. ein großer Kunstsammler der mäcenatischen Zeit, der
über die herrlichsten Alterthümer und Kunstwerke verfügte, nur die
zwei Wandnischen seines Atrium täglich mit anderen Vasen und
Statuen ausschmückte und die übrigen sorgfältig verbarg. <schiutz s.s.>
 
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