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Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innendekoration — 6.1895

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Minkus, Fritz: Atelier-Stil, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.6759#0023

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Januar-Heft.

Illustr. kunstgewerbl. Zeitschrift für Innen-Dekoration.

Seite 9.


von Fritz Minkns. (Schlutz von Seile ö.)

-omantik und Gothik beschränkten ihr künstlerisches
Augenmerk fast einzig auf den Kirchenbau und die
Errichtung öffentlicher Monumentalbauten, der privat-
bau und seine innere Ausstattung war noch auf so niederer Stufe,
das Bequemlichkeit^ und Luxusbedürfniß war selbst in den höchsten
Ständen noch ein so minimales, daß
selbst die Einrichtung der vornehmsten
Burgen jener Zeit weitaus primitiver war,
als diejenige der bescheidensten Woh-
nungen unserer Tage.

Der neue Geist, der mit der Re-
naissance in das Reich der Kunst ein-
zog, brachte einen mächtigen Umschwung
auf innendekorativem Gebiet mit sich:
die Renaissance gab den Einrichtungs-
gegenständen Beweglichkeit, wenn auch
anfänglich noch schwerfällige, und erschuf
aus diese Art das Möbel. Erst von
diesem Zeitpunkte an kann von einer
Einrichtungskunst die Rede sein, denn
die oft herrliche innere Ausschmückung
gothischer Gebäude gehört durchgehends
der Innen - Architektur und nicht der
Innen-Dekoration an. Der heimische,
gemüthvolle Karakter der Wohnungen,
speziell der deutschen Renaissance, ist ein
so eklatanter, daß, als in der zweiten
Hälfte unseres Jahrhunderts eine neuer-
liche Wiedergeburt die Kunst durchzog,
das deutsche Volk mit Begeisterung auf
die deutsche Renaissance zurückgriff. So
traulich aber auch die warmen Holz-
bekleidungen, die satttönigen Stoffe und
die gediegenen Möbel der Renaissance
auf uns wirken — die Art des Mobiliar-
Arrangements jener Zeit war dennoch
eine ziemlich kahle, und auf den gleich-
zeitigen Gemälden und Stichen frappirt
uns, hauptsächlich bei großen, vornehmen
Gemächern, eine gewisse Leere des Raumes
und ein ziemlich auffallender Mangel

individualistischer Dekoration.— Das Barock, das ja eigentlich
nur in den Palästen der reichen Kreise zur vollen Blüthe kam,
unterwarf die Zimmereinrichtung ebenso wie Sitten und Lebens-
gebräuche einer strengen Etikette; dadurch war schon im Vor-
hinein Wohnlichkeit und persönlicher Karakter ausgeschlossen; so
berauschend daher auch die Einrichtung und Ausschmückung der
Prunkschlösser des Barock auf den Besucher einwirkt, wohl Nie-
mand würde sich je in ihnen heimisch fühlen und seinen häuslichen
Herd darin aufstellen wollen. —

Wie das Barock die Epoche gesellschaftlichen Pompes war,

Abbildung Nr. ;o. Kronleuchter; im Empire-Sti

Ausgeführt von p>ciul Stotz, Stuttgart.

so ist das Rokoko die Zeit der intimen Geselligkeit, in der der
Salon, das Boudoir entstanden; das neuerfundene Porzellan, der
bedeutende Import von Gstasien her, die Vorliebe für Ehinoiserien
bevölkerten die koketten Räume mit einer Unzahl von Nippes.
Trotzdem kann von wahrer Behaglichkeit, von einer malerischen
Gruppirung der Möbel und der kunstgewerblichen Ziergegenstände
nicht die Rede sein: höchstens die Wohnung des einfacheren
Mannes, in die das Rokoko in nüchternerer, hausbackener Form
eingezogen war, zeigt ein wohligeres,
wärmeres Gesammtbild; die eleganten
Apartements der vornehmen Stände weisen
insgesammt eine gewisse Schablonenhaftig-
keit auf, und die mannigfachen Nippes-
sachen verleugnen gleichsam ihren Selbst-
zweck und werden in die Innen-Architektur
miteinbezogen, wofür ein herrliches Ka-
binet des Ansbacher Schlosses ein karak-
teristisches Beispiel bietet, dessen Wände
von üppigem und graziösem goldenem
Ranken- und Muschelwerk überzogen sind,
das zahlreiche Postamente bildet, auf
denen die reizendsten Meißener Figuren
ihren Platz finden, ohne aber irgendwie
zu eigener Geltung zu gelangen.

Die gespreizte Langweiligkeit der
Wohnungen des Empire und der Bie-
dermännerzeit ist eine geradezu typische.
Nur der Umstand, daß sie der „guten
alten Zeit" unserer Urgroßväter und Groß-
väter entstammen, macht uns ihre grenzen-
lose Gede übersehen, und läßt sie uns
behaglicher und sympathischer erscheinen.

Die erste Zeit neuerwachenden Kunst-
sinns, zu Beginn der zweiten Hälfte des
sy. Jahrhunderts, hielt getreulich an
dem ererbten Einrichtungsschema fest. In
allen Kreisen der Gesellschaft begegnen
wir der gleichen, vor Staub, Luft, Licht
und den profanirenden Schritten des All-
tagslebens wohlverwahrten „guten Stube",
die uns in ihrer mehr oder minder kost-
baren, aber stets gleichartigen Einrichtung,
dem ovalen Tisch aus blankem Mahagoni,
dem mächtigen Sofa, über dem der gold-
umrahmte Spiegel prangt, dem Dutzend oder halben Dutzend
gleichartiger, in wohlabgemessenem Halbkreise aufgestellter, roth-
sammtener Stühle, dem rosenbestreuten Teppich und dem stereo-
typen Glaskasten, vollgepfropft mit den geschmacklosesten „Kunst-
werken", in ihrer peinlichen Ordnung und ihrem augenscheinlichen
Unbewohntsein gerechten Schauer einflößt.

Während des zweiten französischen Kaiserreichs ging von
Paris aus eine große Umwälzung der Wohnungseinrichtungsmanier
vor sich. Nicht nur maßloser Luxus, sondern auch wirklicher,
künstlerischer Geschmack bezeichnet diese Periode der französischen
 
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