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Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innendekoration — 6.1895

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Steinbrück, P. O.: Welches ist der natürliche und einfachste Weg zur Gewinnung neuer Stilarten?
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https://doi.org/10.11588/diglit.6759#0265

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Dezember-Heft.

Zllustr. kunstgewerbl. Zeitschrift für Znnen-Dekoration.

Seite 203.

Welches ist der natürliche und einfachste
Weg zue Gewinnung neuer Stilarten?*)

s5uf Grund kunstgeschichtlicher Forschungen pflegt man gewöhnlich
anzunehmen, daß sich die Neubildung oder Umwandlung von
Stilarten nur ganz langsam und allmählich, womöglich erst im
Laufe vieler Dezennien vollziehen könne. In Bezug auf frühere
Jahrhunderte mag ja diese Annahme durchaus zutreffend sein, ob aber auch
noch für unsere heutigen Zeitverhältnisse, wäre doch sehr stark zu bezweifeln,
obgleich gerade unser so verkehrsreiches Jahrhundert dies gewissermaßen zu
bestätigen scheint. In der That ist bereits seit dem Ende des zs. Jahr-
Hunderts, als das Rokoko erlosch, nachdem es beinahe ein volles Jahrhundert
herrschte, keine eigentlich neue Stilart mehr entstanden, man griff seitdem
immer nur auf alte zurück.

Wenn man nun bedenkt, daß in unserem Jahrhundert einerseits die
günstigsten Bedingungen für die Neubildung von Stilarten vorhanden waren,
andererseits aber auch das Streben und verlangen danach unausgesetzt rege
blieb, so muß es eigentlich befremden und zum Nachdenken auffordern, daß
es, abgesehen von einigen schwachen versuchen, bisher noch nicht dazu kam.
Es müssen also störende und hindernde Einflüsse vorhanden sein, welche allen
derartigen Bestrebungen feindlich im Wege stehen. Was mich persönlich
aubelangt, so bin ich der, wenn auch unmaßgeblicheu Meinung, daß wir
wohl schon längst zum Ziele gekommen wären, wenn wir uns in heutiger
Zeit noch die einfache naive Anschauungsweise früherer Jahrhunderte hätten
bewahren können; wo man noch nichts von den oft spitzfindigen und pedan-
tischen Theorien der Kunstgelehrten wußte, wo noch keine Knltureinflüsse,
wie z. B. die Mode, so störend einwirken konnten, wie heute, vor Allem
ist aber die eine Thatsache beachtenswerth, daß wir Deutschen in unserem
ganzen Jahrhundert noch nicht einmal wieder den versuch machten, auf dem
einfachsten und natürlichsten Wege, den die Kunstgeschichte selbst uns so nahe
legt, eine neue Stilart zu gewinnen^*).

Bevor ich aber näher darauf eingehe, dürfte es wohl angebracht sein,
eine allgemeine, übersichtliche Darstellung von den heutigen Stilverhältnissen
unseres deutschen Kunstgewerbes zu geben. Leider bietet sich wenig Erfreu-
liches. Zuerst ist die für uns gewiß beschämende Thatsache zu verzeichnen,
daß wir wieder einmal völlig stillos find, indem uns nicht nur ein deutsch
nationaler, sondern überhaupt jeder einheitliche Stil fehlt. Mit standhafter
Verleugnung jeder karakteristischen Eigenart wird in allen möglichen fremden
Stilarten herumgepfuscht.

Wenn die Annahme wirklich berechtigt ist, daß der Stil als der Aus-
druck der Lebensformen und Anschauungsweise eines Volkes und seiner Zeit
anzusehen und somit gewissermaßen ein Abbild seiner Eigenschaften ist, so
wäre das für uns Deutsche wenig schmeichelhaft. Zeigt doch bei allem
Können und sonstiger Tüchtigkeit unser Kunstgewerbe ein Bild der Zer-
fahrenheit und haltlosen Unbeständigkeit! wir besitzen augenscheinlich die
Flatterhaftigkeit selbst, die wir so gerne und zu jeder Zeit den Franzosen in
die Schuhe schieben möchten. Nach den wenigen mißglückten versuchen zu
schließen, scheint uns überhaupt die Energie zu fehlen, uns zu einer deutschen
Stilart aufzuraffen. Der Vorwand aber, daß man berechtigt sei, aus dem
vorhandenen und uns so leicht zugänglichen Formenschatz aller Stilarten nach
Belieben zu schöpfen und daß dieses überhaupt den heutigen Zeitverhältnissen
entspräche, könnte doch nur dann gelten, wenn man wenigstens versuchte, den
betreffenden Vrnamentformen einen anderen nur uns Deutschen eigenartigen
Ausdruck zu verleihen, anstatt uns zu bemühen, fremde Art und weise
möglichst getreu nachzuäffen. Bedauerlicher weise ist aber unsere ganze
Moderichtung von der Art, daß sie nur das Fremde als gut anerkennt und
alles Deutsche mit Geringschätzung betrachtet, was um so schlimmer ist, weil
auf dem Kunstgewerbegebiete nicht mehr der echte, künstlerisch gebildete
Geschmack, sondern nur noch die Mode allein maßgebend ist. Das zeigte
sich besonders so recht klar in jener Zeit, als unser Kunstgewerbe durch die
ganzen Zeitverhältnisse dazu gedrängt wurde, sich wieder einmal deutscher
Art und Weise zuzuwenden und zu dem Zwecke die altdeutsche Renaissance
wieder neu zu beleben suchte. In welcher täppischen und verständnißlosen
Weise die Mode aber dieses an und für sich durchaus gesunde Streben in
Mißkredit zu bringen wußte, indem sie, ohne jede Rücksicht auf das ursprüng-
liche künstlerische Wollen, auf die nüchternen und steifen altdeutschen Formen
zurückgriff, welche wenig oder nichts mit altdeutscher Renaissance zu thun
haben, suchte ich schon gelegentlich meines früheren Artikels über „echt alt-


deutsche Wohnungs-Einrichtungen" nachzuweisen. Muß es demnach nicht
wie eine leere Phrase klingen, wenn jederzeit und bei jeder Gelegenheit die
Mahnung wiederholt und betont wird: der Künstler solle erziehend auf den
Geschmack des Publikums einwirken?

Ihrem launenhaften Wesen entsprechend, wandte sich die Mode, nachdem
sie des Altdeutschen überdrüssig geworden, in buntem Wechsel den verschie-
densten Stilarten zu. Während Anfangs eine einzige zur Einrichtung einer
„stilvollen" Wohnung genügte, bedarf man heute deren drei bis vier und
zwar oft entgegengesetztester Art. Gb nun in Folge eines besonders vielseitig
ausgebildeten Geschmacks, oder in Folge eines natürlichen Verlangens, mit
seinem Reichthum zu prunken, kann uns wohl gleichgültig sein, da es hier
nur darauf ankommt, alle Ursachen zu erwägen, welche schädigend auf das
Kunstgewerbe einwirkten. Da dasselbe nun gezwungen war, sich allen Mode-
richtungen möglichst anzubequemen, so machte sich bei ihm in Folge dessen
dieselbe Unbeständigkeit geltend, wie auch in der Mode, indem man nun
ebenfalls von einer Stilart zur anderen irrte.

Der altdeutschen Renaissance, welche nur ausnahmsweise noch verwendet
wird, folgte sehr bald das Rokoko, das wohl auch heute noch vorherrscht,
doch ist auch wieder die französische und italienische Renaissance in Aufnahme
gekommen, nebenbei auch etwas Romanisch, während neuerdings die für
Wohnungen am wenigsten geeignete, schwere Gothik wieder beliebt ist, oder
an Stelle derselben der mit ihr verwandte englische Stil, der so vortrefflich
den steifen und trockenen Karakter des echten Inselbriten veranschaulicht,
vereinsamt und wie verloren zwischen allen anderen Stilarten findet sich
dann auch noch das Japanische, dessen kfauptreiz sicher nur in seiner Fremd-
artigkeit liegt und deshalb gewissermaßen wie Paprika auf den übersättigten
Geschmack einwirkt. Doch auch dieses wird in nicht allzulanger Zeit xasss
sein, denn bei aller sonstigen unableugbaren Schönheit, die allerdings mehr
in den Stoffen, Webereien und Stickereien, allenfalls auch noch in den
Malereien auf kfolz und Porzellan rc. zur Geltung kommt (d. h. in Betreff
der verzierungsweise, nicht des Materials oder der Technik), ist das Japanische
eigentlich doch recht arm an Motiven. Immer ein und dasselbe, überall
die gleichen Vögel, dieselben offenen Blüthenzweige in natürlicher und
unstilistrter Darstellung. Das Alles kennt man sehr bald in- und auswendig.
Die unter einander wenig verschiedenen Geräthe- und Möbelformen sind
jedenfalls mehr sonderbar als schön, lfat man aber nur eine einzige japanische
Wohnungs-Einrichtung gesehen, so kennt man überhaupt alle. Ich glaube
kaum, daß das Japanische als Grnamentstil für unser Kunstgewerbe in
Betracht kommen kann. Dagegen ist eine noch neue Richtung besonders
beachtenswerth, weil in derselben ebenfalls das Streben nach einer neuen
Stilart zur Geltung kommt. Es wird dabei auf den Anfang allen Grnamentes,
auf die natürliche Pflanze zurückgegriffen, welche man zu stilisiren versucht.
Da man hauptsächlich heimische Formen wählt, so könnte mit der Zeit wohl
wieder ein deutscher Stil daraus entstehen. Jedenfalls ist dieses Verfahren
durchaus richtig und auch naturgemäß, doch habe ich noch einen einfacheren
und kürzeren Weg im Auge, um zum selben Ziele zu kommen, wahrscheinlich
aber noch mit besserem Erfolge; außerdem ist aber auch die Verwendung
natürlicher Pflanzen- und Blattformen durchaus nicht mehr neu. Schon die
Franzosen versuchten solche in gefällig stilisirter Weise ihrem Renaissance-
Drnament einzuverleiben und dieses dadurch neu zu beleben, wie uns die
trefflichen Entwürfe eines Lisnard schon länger als vor dreißig Jahren
zeigten. Lin solches Verfahren ist meines Erachtens auch viel versprechender,
als wenn wir die stilisirte Pflanzenform, wie es wohl bei uns angestrebt
wird, ganz allein und für sich zu einem neuen Grnamentstil heranbilden
wollen. Die Gefahr, einseitig zu werden, und in Folge dessen verhältniß-
mäßig schnell wieder Ueberdruß zu erzeugen, liegt gar zu nahe, aber leider
auch noch eine andere, nämlich die, daß man anstatt wirklich zu stilisiren,
versucht, die natürlichen Pflanzenformen einfach zu koxiren und zwar, wie
verschiedene Beispiele heute schon zeigen, möglichst getreu; so wären wir ja
glücklich auch bei diesen neuen versuchen wieder auf dem Standpunkt der
bloßen Nachäfferei angelangt; was aber das Schlimmste ist, die glücklich
überwundenen Blumenmuster, die sich früher als Stickereien in ihrer häßlichen
Geschmacklosigkeit überall so recht aufdringlich breit machten, werden, obgleich
sie augenblicklich noch verrufen sind, bald wieder in Aufnahme kommen. Es
läßt sich durchaus nichts dagegen einwenden, wenn man bei Zeichnungen
und Malereien, besonders aber für Fächer- und Porzellanmalerei, kurzum
überall da, wo es sich um Flächenverzierung handelt, Arabesken nach lebenden
Pflanzen und Blumen anbringt, die vielleicht durch Putten oder allerlei
Gethier, Schmetterlinge, Käfer, Vögel rc. rc. belebt sind.

Immerhin bleibt es aber sehr bedenklich, das plastische oder Relief-
Grnament ähnlich behandeln zu wollen, indem man die Natur möglichst
getreu in Form — und Farben! — nachzuahmen sucht; und doch soll dies
in neuester Zeit, wenn man dem betreffenden Berichterstatter trauen darf,
ein Professor an irgend einer Kunstschule fertig gebracht haben, indem er
ein Grabgitter in Schmiedeeisen nach seinem Entwürfe Herstellen ließ, das
aus lauter natürlichen, der Natur entsprechend gefärbten Rosenzweigen
bestanden haben soll. Das würde aber nicht mehr das sein, was man unter
Grnament versteht. —
 
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