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Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innendekoration — 6.1895

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Die Fayence-Tapete
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https://doi.org/10.11588/diglit.6759#0120

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5eite 86.

Zllustr. kunstgewerbl. Zeitschrift für Znnen-Dekoration.

Mai-Heft.

xayenre-Mapete.

Abbildung Nr. 1.2^.

Fayence-Tapete von I Ander ,4 Cie. in Rirheim.

ZAine ziemlich bedeutende Rolle unter den Fabrikaten der deutschen Tapeten-
Industrie spielt die Fayence - Tapete, das Rachel-Muster. Mit gutem
Rechte trägt sie beiderlei Benennungen, denn ganz direkt geht die Absicht
des Fabrikanten darauf hin, mit diesem Fabrikat jene Fayence-Racheln nach-
zuahmen, die ehemals in den Hausfluren, Rüchen und Badstuben aller

ordentlichen Häuser zu finden
waren, heutzutage aber nur
in vornehmeren Einrichtungen
noch in echtem Material anzu-
treffen sind und auch da
vielfach nur mit gedruckten,
nicht von der Hand gemalten
Mustern. Eintönige mit Lack
überzogene Papiertapeten mö-
gen zuerst, in Folge ihrer
Glätte und Waschbarkeit, in
Rüchen und Laderäumen wie
auch Treppenhäusern und vor-
sluren verwandt und als prak-
tisches und billiges Surrogat
für die echten Fliesen befunden
worden sein. Leicht erklär-
licher Weise führte dies bald
dahin, sie auch nach Art der
Fliesen zu bemustern, vorAllem
auch ihnen die Eintheilung in
Racheln zu verleihen, wodurch
einmal die Imitation eine
noch treuere und zugleich für
dasAuge wohlthuendere ward,
dann aber auch die praktischen
Eigenschaften dieses Fabrikats
um eine wichtige vermehrt wurden: die Tapete ließ sich durch die Rachel-
eintheilung an schadhaften Stellen leicht, unauffällig und billig ausbessern.

So mit dem Rarakter der Fayence-Rachel versehen, hat dieses Tapeten-
genre eine außerordentlich mannigfaltige Behandlung erfahren. Alle mög-
lichen Stilepochen, die Fliese gekannt und geschaffen, sind von den Tapeten-
fabrikanten für die Fayence-Tapeten benutzt worden. Renaissance, Barock,
Rokoko, Louis XVI. und Empire, ja selbst Gothik und altrömischer Stil (in

Nachahmung der Mosaiken),
vor Allem aber auch der per-
sische und arabische, sowie
der von Lhina und Japan,
haben ihre Formen zum
Schmucke der papierenen
Fayence - Tapete herleihen
müssen. Neuerdings ist dazu
noch eine Art Naturalismus
und — allerdings erst sehr
vereinzelt — die eigenartige
Formengebung des „eng-
lischen Stils" getreten; auch
der „amerikanische Stil" hat
einigen Mustern das Leben
gegeben. Die Technik aber
hat sich der Fayence-Tapete
in, man darf wohl sagen,
übertriebener Weise ange-
nommen, indem sie die For-
men der Racheln neuerdings
sogar plastisch hervorzu-
heben trachtet — ein Ver-
fahren, das nicht einmal dem
Rarakter der echten Fliesen
entspricht und jedenfalls, so-
fern es wirklich an echten
Fliesen angewandt sein sollte, eine Geschmacksverirrung bekunden würde, da
es dem Sauberen, Glatten, dem Staub nicht Platz gewährenden — also einer
der besten Eigenschaften der Rachel — den Garaus macht. Tritt die Plastik
ganz dezent auf, wie in den als Muster außerordentlich reizenden Racheln
von I. Zuber <L Eie. in Rixheim (Abbildungen Nr. 121, 123, 12s und
127), so mag sie allenfalls hingehen; im Ganzen aber müssen wir der
einfachen, glatten Rachel den Vorzug geben, da diese dem Fliesenkarakter
am besten und schönsten entspricht. Sehr natürlicher Weise haben die Zeichner
ihre Fayence-Muster mit Vorliebe den Fliesen Hollands nachgebildet, die mit

Abbildung Nr. 1.22.

Fayence-Tapete von D. Engelhard in Mannheim,

^ -

_L

Abbildung Nr. 1,23.

Fayence-Tapete von I. Ander ä- Cie. in Kirheim.

Recht als vorzüglichste Vorbilder gelten und als solche einen Ruf weit
über das sprichwörtlich reinliche Ländchen hinaus, ja einen Weltruf genießen.
Ansprechende Muster dieser Art haben uns von Wilhelm Böller in
Braunschweig und Flammersheim A Steinmann in Röln a. Rh. Vor-
gelegen (siehe Abb. Nr. 12-1). Einen holländisch-chinesischen Rarakter, unter
Vermeidung der Racheleinthcilung, trägt eine aparte Fayence-Tapete von
Philipp Renn in Darmstadt (Abb. Nr. 129). Derselbe Fabrikant bringt
zwei Rachelmuster in Art der italienischen Majoliken (Abb. Nr. 128 u. 122),
während Flammersheim
L Steinmann (Abb. Nr. 130)
und H. Engelhard in
Mannheim (Abb. Nr. 122)
originelle Muster in japa-
nischem Geschmack, erstere
Fabrik (Abb. Nr. 125) und
I. Zuber L Eie. in Rix-
heim (Abb. Nr. 121) sehr
hübsche orientalische Muster
aufzuweisen haben. Sehr echt
im Stil der Zeit, offenbar
guten alten Vorbildern ent-
lehnt, sind die bereits er-
wähnten Empire - Fayencen
der letztgenannten Firma
(Abb. Nr. 123 u. 127), wäh-
rend eine ganz schlichte ein-
fache Racheleintheilung (Abb.

Nr. iZi) durch ihre außer-
ordentliche Beliebtheit und
dadurch verursachte Verbrei-
tung das (ganz berechtigte)

Gefallen des Publikums an
ruhigen einfachen Wirkungen
beweist. — Selbstverständlich
findet bei der Dekorirung der
Wände mittelst solcher Fayencemuster auch eine Anwendung von Abschluß-
Borten statt. Leider ist, mit einer einzigen Ausnahme (Abb. Nr. 131), von
den Herren Fabrikanten, die Muster zu diesem Theil unseres Spezialheftes
eingesandt haben, versäumt worden, Proben solcher Abschluß-Borten beizu-
fügen. Lonsequenter weise müssen diese Borten ebenfalls Racheleintheilung
zeigen (wie es die abschließenden wirklichen Racheln thun). Die Schwierigkeit
aber des Tapezierens (die Racheln der Borte würden sehr leicht mit denen
der Tapete differiren) hat
die Fabrikanten von der kon-
sequenten Durchführung der
Imitation in dieser Hinsicht
abgehen lassen: die Rachel-
Borten laufen glatt und ohne
Eintheilung dahin wie an-
dere Bordüren und treten
meist — bei der Abneigung
unserer Zeit vor breiten
Borten — in sehr schmalen
Formaten auf.

Die Fayence-Taxete ist
sicher noch einer bedeutenden
Entwickelung fähig. Der
Rachel-Rarakter ist gewiß
berechtigt, praktisch und auch
ästhetisch befriedigend. Aber
nicht leugnen läßt sich, daß
neue und ebenso schöne Wir-
kungen zu erreichen sind,
ohne diese Eintheilung, die
das Entfalten einer großen
und bedeutsamen Formen-
gebung hindert. Irren wir
nicht, so wird auch in dieser
Hinsicht die „englische Stil-
richtung" Wandel schaffen. Es läßt sich z. B. recht wohl die Ausschmückung
eines Badezimmers mit Papiertapeten von einer Musterung denken, die bei
freiester Entfaltung der Formen jegliche Racheleintheilung oder auch nur
Fayence-Imitation verschmäht und einzig und allein in Formen- und Farben-
gebung des Rarakters einer lackirten Papiertapete dem Zweck des Raumes
gerecht zu werden sucht. Ebenso anwendbar ist dies auf Rüchen und in
noch erhöhtem Maße auf Fluren und Treppenhäuser. Hier besonders wären
größere und machtvollere Wirkungen als die bisher beliebten sehr angebracht.
Der neue Impuls, den der Formensinn unserer Zeit, von dem „englischen Stil"

Abbildung Nr. ^2H.

Fayence-Tapete v. Flammersheim K Steinmann in Köln.
 
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