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Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innendekoration — 6.1895

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Volbehr, Theodor: Die Ankläger des modernen Kunstgewerbes
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https://doi.org/10.11588/diglit.6759#0233

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Zllustr. kunstgewerbl. Zeitschrift für Znnen-Dekoration.

Seite s77.

November-Pest.


Hnklüger des modernen HuMgewerdes.

von vr. Th. volbehr, Magdeburg.

scheint wirklich so, als gäbe es für die Menschen der
Gegenwart keinen größeren Genuß, als zu kritisiren,
zu schelten. Zn den Aunst-Ausstellungen ist es längst
nicht mehr Sitte, die erfreulichen Bilder sich herauszusuchen und
sich in diese zu vertiefen, im Gegentheil: man sucht mit einem
Spürsinn, der einer besseren Sache würdig wäre, nach denjenigen
Werken, über die man sich glaubt lustig machen zu können. Dann
werden die guten Freunde
und die guten Freundin-
nen hergeholt und ein
Sprühregen von Witz,

Spott, sittlicher Entrüst-
ung rc. ergießt sich über
die armen Mpfer.

Wenn sich derartige
Gepflogenheiten doch auf
die Ausstellungen be-
schränkenwollten! Aber
nein! Zn Zeitschriften,
in Broschüren und auf
Rednerpulten pflanzt sich
diese empörte Aritik fort.

Wer Vergnügen daran
findet, der kann sich aus
Zeitungsartikeln ein Bild
der heutigen Aunst zu-
sammenstellen, daß auch
muthigeren Gemüthern
das Gruseln kommt.

Fast noch schlimmer aber
gestaltet sich die Sache,
wenn von dem modernen
Aunstgewerbe die Rede
ist. Will man einer gan-
zen Reihe von Nothruf-
Schreibern glauben, dann ist der Augiasstall, verglichen mit dem
modernen Aunsthandwerk, ein sehr erfreulicher Aufenthaltsort
gewesen, dann ist das moderne Aunsthandwerk so tief in den
lehmigsten Wegen verfahren, daß an ein „Flottwerden" nur zu
rechnen ist, wenn bedingungslos die Gedanken des betreffenden
Autors als Vorspann benutzt werden.

Solche Artikel, Broschüren oder Reden haben das sehr Ge-
fährliche, daß Diejenigen, die dem Aunsthandwerk fern stehen,
ihrem Gott danken, daß sie ihm fern stehen, und nie und nimmer
einen Finger rühren werden, in eine intimere Berührung mit
einem so von Gott verlassenen Ding, wie es das moderne Aunst-
handwerk ist, zu kommen. Es ist eine wunderliche Logik, die
verlangt, man solle sich für eine Pflanze interessiren, die man
verkrüppelt, verdorrt, rettungslos krank nennt.

„Aber warum soll man die Dinge nicht beim rechten Namen
nennen?" Za, wenns der rechte Name wäre, da ließe sich noch

darüber sprechen. Dann könnte man ja Arankenhäuser für das
Aunsthandwerk bauen und es auf Tod und Leben mit dem
Auriren versuchen. Aber einstweilen soll der Beweis noch erbracht
werden, daß in der That das Aunstgewerbe unserer Tage so
jammervoll darniederliegt. Der aber wird schwerlich erbracht
werden können. — „Aber, ich bitte Sie —! Zst das ein gesundes
Aunsthandwerk, wenn es hin und her schwankt wie ein Betrunkener?

Die Renaissance, ja, die
wußte, was sie wollte,
die Gothik auch, das
Rokoko auch. Aber un-
sere Zeit? Du lieber
Gott! Die taumelt vom
Rokoko zur Gothik, von
der Renaissance zum Za-
panismus! Zst das Ge-
sundheit?" Za, warum
denn nicht? UnserAunst-
handwerk thut ganz
genau das, was es als
Aind unserer Zeit lhun
muß. Und bisher hat
man noch immer von
Gesundheit gesprochen,
wenn ein Ding sich den
Bedingungen gemäß ent-
wickelte, die ihm gegeben
waren. Man braucht
nur gerecht und weit-
herzig, vor Allem aber
offenäugig genug zu sein,
um diese Bedingungen
nicht außer Acht zu lassen
bei der Beurtheilung des
modernen Aunsthand-
werks. Vor Allem: wie kommt man dazu, unsere Zeit mit der
Elle vergangener Zahrhunderte zu messen? Man würde mit-
leidig die Achsel zucken, wenn einer die Arbeiten des Rokoko be-
werthen wollte nach künstlerischen Prinzipien der Gothik. Die
Gothik hatte in ihrer Zeit Recht, das Rokoko in der seinen.
Die einfachste Aonsequenz des Gedankens muß doch dazu führen,
daß in unserer Zeit wieder ein anderes künstlerisches Prinzip Recht
haben muß, als in irgend einem Zahrhundert der Vergangenheit.

„Das ist es ja gerade, was wir behaupten. Unsere Zeit
müßte einen eigenen Stil haben! Da ist ja eben der Zammer,
daß sie keinen hat, daß sie Anleihen bei allen Zeiten und allen
Völkern macht und nichts aus eigener Araft heraus zu schaffen
vermag." Zn der That: auf den ersten Blick hat die Bemerkung
etwas Bestechendes. Aber doch nur aus den ersten, flüchtigsten
Blick. Einen eigenen Stil hat zweifellos unsere Zeit, muß unsere
Zeit haben, und wenn es der Stil des Mischmaschs wäre. Mit

Abbildung jllr/r57. Rainin in einem öffentlichen Gebäude.
 
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