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Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innendekoration — 6.1895

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Steinbrück, P. O.: Ueber "echte" altdeutsche Wohnungs-Einrichtungen und die sog. "echten" Ausstattungsstücke
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https://doi.org/10.11588/diglit.6759#0031

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Zllustr. kunstgewerbl. Zeitschrift für Znnen-Dekoration.

Januar-Heft.

Seite fH.

zu erstehen. Ueberall, wo man ihrer nur habhaft werden konnte, wurden
sie von den Böden und Rumpelkammern alter Schlösser, aus dem Staube
und Moder der Vergessenheit, unter altem Plunder hervor, wieder an das
Tageslicht gezogen. Nur das Nothwendigste wurde gebessert, um die Marke
der Echtheit nicht zu zerstören oder unkenntlich zu machen. Gar seltsam und
wie verwundert schauten allerdings diese altväterischen Formen einer mehrere
— Jahrhunderte alten Vergangenheit in das junge Leben und Treiben der
Neuzeit hinein; doch das zog gerade, das machte sie interessant und begehrens-
werth. So ließ man sich also vor allen Dingen die unvermeidlichen Butzen-
scheiben einsetzen, welche wenigstens noch den einzigen freundlichen Effekt
hervorriefen, wenn die Sonne hindurchscheinend, bunte Reflexe auf die Dielen
oder die dunkele Holztäfelung der Wänd^" hinzauberte. Dielen und Wände
wurden mit verblichenen Teppichen oder auch ebensolchen Gobelins bedeckt,
wenn man nicht etwa dunkele, goldgepreßte Ledertaxeten vorzog, unter denen
sich dann ebenso dunkele Holzvertäfelungen befanden. Bst wurden auch noch
die Decken mit solchen versehen. In diese Räume wurde nun das alte

Gerümpel jener „echten altdeutschen" Möbel, welche sich durch ihre schweren
Formen auszeichneten und allenfalls noch dunkel aufgebeizt waren, hinein-
gestellt. Hierbei waren besonders alte, eisenbeschlagene Truhen ein Hauxt-
ausstattungsstück, welches nirgends fehlen durfte und selbst bei den Ausstat-
tungen der neuen altdeutschen Renaissance, wenn auch in bedeutend ver-
schönerter, reichgeschnitzter Form bevorzugt wurde. Ebenso spielten ziemlich
kunstlose und oft geradezu häßliche Leuchterweibchen, wenn sie „ganz echt"
waren, alte rostzerfressene Rüstungen, welche in den Ecken aufgestellt waren
— man war sogar auf die wunderliche Idee gekommen, eiserne Besen damit
zu bekleiden — ferner an den lvänden: Gruppen von Helmen, Schildern,
Schwerten und alten Spießen rc. eine große Rolle. Außerdem vervollständigten
dann noch alte Krüge, Teller, Schalen, Kannen und allerlei Trinkgefäße,
Pokale und mächtige Humpen rc., die überall von den Simsen herabschauten,
die altdeutsche Wohnungseinrichtung. Selbstverständlich durste in dem Frauen-
gemach das obligate Spinnrad auch nicht fehlen.

So deutete Alles auf den Brauch und die Eigenthümlichkeiten — nicht
etwa des Bewohners, sondern — einer längst vergangenen Zeit. Mußte
nun eine derartig ausgestattete Wohnung nicht durchaus fremdartig auf den
Inhaber wirken und gewissermaßen in ihm das Gefühl erzeugen, er sei gar I

nicht bei sich zu Hause? besonders wenn er kein Kriegsmann war und Waffe»
gar keine Beziehung zu ihm hatten, wenn er nicht einmal ein rechtschaffenen
Trinker war und nun alle die Gefäße, welche darauf hindeuteten, eitel Lüg^
und verschwärzung waren, ebenso wenn die Frauen mit dem Spinnrad nichts
anzufangen wußten und lieber Seide gesponnen hätten als wie Flachs! Nur
ein Raritäten- und Antiquitätensammler konnte sich in solchen Räumen
behaglich und gemüthlich fühlen, weil sie seinen Neigungen allenfalls ent-
sprach. Der Gedanke an ein Antiquitätenkabinet konnte sich einem bei der-
artigen altdeutschen Wohnungseinrichtungen wohl noch am ehesten aufdrängen,
ja selbst der an eine Art Mausoleum oder Nsinsnto inori — ich weiß nichts
wie ich mich gelinder ausdrücken kann, um das Richtige zu treffen — lag.
nicht gar so ferne.

Deutete doch die ganze Umgebung aus eine lange gestorbene Ver-
gangenheit, auf Staub und Moder-ck Dazu der düstere Ernst, die

strengen, kalten Formen und die nüchternen, verblichenen Farben! Ja selbst
die sonst so freundlichen Butzenscheiben mußten, weil sie jeden Ausblick

hinderten, noch dazu bei-
tragen, den Eindruck der
Abgeschlossenheit von der
Außenwelt zu erhöhen. Dm
gemüthliche Behaglichkeit
der Dämmerstunde konnte
sich darum in solcher Um-
gebungwenigstens bei angst-
lichen Frauengemüthern,
niemals geltend machen»
Wie anders war das bei
der lebensfrohen neuen
deutschen Renaissance-Ein-
richtung, in der gefälligere-
Formen und wärmere Far-
bentöne vorherrschten. Wa-
ren nun jene echt alt-
deutschen Wohnungseinrich-
tungen wirklich stilvoll?'
Im wahren Sinne des
Wortes wohl kaum; denn
der ideale Zweck der Woh-
nung , der so treffend in
dem einen Worte: „wohn-
lich" ausgedrückt ist und der-
Alles in sich begreift, was
die Wohnung gemüthlich.
und behaglich macht, geht
sicher vollständig verloren,
wo hinzu dann auch noch
der Widerspruch gegen die
Gewohnheiten der Bewoh-
ner tritt!

So konnte denn auch
die Ernüchterung, nachdem
der erste Rausch der Be-
geisterung über die hoch-
moderne, „echt altdeutsche'"
Wohnungseinrichtung, die
man stolzerfüllt sein Ligen
nannte, verflogen war, nicht
lange ausbleiben. Ueber-
druß und Langeweile traten
nur zu bald an die Stelle. Da wurde dann mit dem nicht mehr Zusagenden,
dem „echt altdeutschen", auch verständnißlos das Gute, die noch unvollendete
neue deutsche Renaissance verschmäht und zurückgewiesen, so daß sie heute
fast erloschen ist. Kein Volk ist so unbeständig und läßt sich so von allen
Mode-Einflüssen und dergleichen beherrschen, als das deutsche; während
andere Völker unbeirrt und zielbewnßt den einmal betretenen Weg, den sie-
als richtig erkannt, verfolgen, irren die Deutschen von einer Stilart zur
anderen. — Wo bleibt da die gerühmte deutsche Beständigkeit und wo —
dem gegenüber — die so oft geschmähte französische Flatterhaftigkeit?

Gder sollten die Deutschen wirklich nicht recht wissen, was sie wollen?"
Sollte sich in diesem wenig verständlich erscheinenden Gebühren, in diesem
I fortwährenden Wechsel, dem Naschen in allen Stilarten, etwa die unbezwiug-
^ bare Sehnsucht nach einer ganz neuen Stilart — unbewußt vielleicht —
j geltend machen? Nun wohl! auf dem bisher betretenen und hauptsächlich-
^ von den Kunstgelehrten vorgeschriebenen Wege wird solches Ziel stets un-
^ erreichbar bleiben, dafür liefert uns auch die neue deutsche Renaissance de»,
besten Beweis! Das eine Wort pedantischer Knnstgelehrsamkeit: „stilrein",
wird stets das Hemmniß bleiben, das jede naturgemäße Entwickelung so-
lange hindert, bis es durch bessere Einsicht bei Seite geräumt wird. —

Abbildung Nr. ^s. Eins'arhes Erk - Arrangement im engl.-amerikanischen Karakter.
 
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