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Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innendekoration — 6.1895

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Abel, Lothar: Ueber den ästhetischen Geschmack bei Anordnung einer Wohnung
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https://doi.org/10.11588/diglit.6759#0053

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Seite 32.

Zllustr. kunstgewerbl. Zeitschrift für Znnen-Dekoration.

Februar-Heft.

sogenannten Modegeschmack, wo Nichts schön gefunden wird,
als was nach den eingebildeten Regeln der Mode geformt erscheint.
Hier verwirft man oft Vortreffliches, einzig aus dem Grunde,
weil es nicht „modern" ist.

Schon aus diesen flüchtigen Andeutungen dürfte man ersehen,
daß die vortheilhafte Wirkung eines guten Geschmacks im ästhe-
tischen Sinne nur dann erzielt werden kann, wenn dieser seinem
ganzen Umfange nach entsprechend geschult und gebildet wurde,
und man kein „besonderes Wohlgefallen" an mit sportlichem
Raffinement erdachten kleinlichen Formen oder bizarren Farben
findet. Bei diesen geschmacklosen Ansichten legt man oft ganz
unnützen Dingen, welche höchstens die Fantasie reizen, einen zu
hohen künstlerischen Werth bei.- Eine Wohnung verliert aber
dadurch an Behaglichkeit, und die Begriffe von Ordnung, Schick-
lichkeit, Anständigkeit und Schönheit erleiden dadurch eine gewaltige
Ginbuße. Sobald es bei der Ginrichtung einer Wohnung an Ge-
schmack, an
feinem Ge-
fühl und
richtiger Be-
urtheilungs-
kraft fehlt,
wird man
sehr leicht
auf Abwege
gerathen.

Ginerseits
kann man
dabei auch
sehr leicht
zu schwer-
fällig und
zu plump
werden,bald
kann man
ins Klein-
liche verfal-
len, bald in
Prunksucht
oder Ueber-
ladung aus-
arten. Deß-
halb muß
man genau
die Grenzen
beobachten,
welche man

in Bezug der Geschmacksrichtung bei der Anordnung und Aus-
stattung eines Wohnhauses zu berücksichtigen hat, selbstverständlich
muß man hierbei auf die Bestimmung des Hauses sehen und darf
dessen Karakter nie aus den Augen verlieren, auch muß man
bestrebt sein, dem Ganzen ein Bild zu geben, welches schon durch
ein gefälliges Aussehen die beabsichtigte Wirkung hervorbringt.

Zn dieser Beziehung sind nun vor Allem die entsprechenden
Verhältnisse (Proportionen) zu berücksichtigen. Bekanntlich hat
es in der gesammten Baukunst mit den „Verhältnissen" eine
ähnliche Bewandtniß, wie mit einem schöngewachsenen Menschen.
Da man aber nun einmal vollkommene Vorbilder vor sich hat,
so müssen die schönen Verhältnisse als erwiesene Regeln unbedingt
auch angenommen werden, und ein guter Geschmack erfordert
deshalb eine genaue Beobachtung der von den besten Architekten
angewendeten Verhältnisse. Denn sobald man diese einfachen
Regeln aus dem Auge läßt, wird dem schlechten Geschmack Thür
und Thor geöffnet, wie an so vielen Beispielen der „modernen"
Baukunst nachgewiesen werden kann. — Unser gewöhnliches Urtheil

über die Verhältnisse der einzelnen Theile entspringt entweder aus
der Natur der Gegenstände selbst, oder aus der Gewohnheit der
Anschauung und des Gebrauches. Dieser letztere hat uns z. B.
mit gewissen Dimensionen von Möbeln rc. bekannt gemacht, so
daß eine Abweichung von diesen Maßen von vornherein bei uns
eine unangenehme Vorstellung wachruft. Anderseits erweckt ein
Gegenstand, sobald ein Theil daran auffallend größer oder kleiner
erscheint und seiner Natur oder seiner Bestimmung widerspricht,
immer ein unangenehmes Gefühl. Die Größe der Zimmer, die
Höhe und Breite der Thüren und Fenster, die Form der Oefen,
Schränke rc. sind für die gute Wirkung in erster Linie bestimmend;
und in dieser Beziehung ist es immer besser, sich nach anerkannt
guten Mustern zu richten, als davon abzuweichen, wodurch man
nur dem schlechten Geschmack die Freiheit läßt und das bereits
„anerkannt Schöne" verdirbt.

Was schließlich die spezielle Dekoration einer Wohnung an-
belangt, so
sollte man
sich stets vor
Augen hal-
ten,daßdiese
Verzierun-
gen überall
wo sie an-
gebracht er-
scheinen, un-
ter anderen
Bedingun-
gen auch ent-
ferntwerden
können,ohne
daß deshalb
die Woh-
nung man-
gelhaft oder
gar in sei-
ner Art ver-
ändert er-
scheint. Gs
ist hinläng-
lich klarge-
legt, daß ein
mäßiger
und von
gutem Ge-
schmack be-
gleiteter Ge-
brauch von Dekorationsgegenständen einer jeden Wohnung An-
nehmlichkeit, Reiz und Behaglichkeit verleiht. Gbenso sicher ist
es aber anderseits, daß eine überhäufte, ohne Geschmack ange-
brachte Dekoration die beste Anordnung beeinträchtigen kann.
Wenige und mit gutem Geschmack gewählte Motive können eine
gute, bequeme Anordnung ganz bedeutend heben, während man
eine fehlerhafte Gintheilung selbst durch die prunkvollste Ausstat-
tung nie bemänteln wird. Nur Derjenige, welcher einen schlechten
Geschmack besitzt, könnte sich durch angehängte Dekorationen
befriedigt erklären. Gine noble Gleganz zeichnet sich durch eine
gewisse wohlthuende Sparsamkeit an unnützen Verzierungen aus.

Mit diesen Zeilen wollten wir auf ein Thema leiten, bei
welchem es speziell auf den guten Geschmack ankommt, und hoffen,
daß dasselbe nun von berufener Seite eingehend behandelt werde.

Der Schluß des Feuilletons „Bruno's cheim" mußte wegen Raummangels
für das nächste chest zurückgestellt werden. Die Schriftleitung.

Abbildung Nr. SS. Arlleits -Zimmer aus dem Hause von Professor Hermann Göh in Karlsruhe.
 
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