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Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innendekoration — 6.1895

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Jaffé, Franz: Der Reichstagsbau und seine Innen-Dekoration, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.6759#0083

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Seite 58.

Illustr. kunstgewerbl. Zeitschrift für I nnen-Dekoration.

April-Heft.

Nordvorhalle, Hat doch hier der Meister selbst auf eine eigene
Rapitälbildung verzichtet; geschlossen werden beide Räume durch
flache Rorbbogentonnen, welche reich kassettirt und mit Grnament-
streifen geschmückt find.

Dem Eintretenden gegenüber in der Südvorhalle ist ein Glas-
fenster angebracht, welches den Reichsadler in kolossalem Maßstabe
zur Darstellung bringt, sodaß er die gesammte Fensterfläche von
oben bis unten füllt, und auf seinen Fittichen die Mappen der
Bundesstaaten trägt. Dieser machtvollen Romposition gegenüber
und über der Gingangspforte zu der Halle befindet sich die Figur
der Germania auf einem Thron dargestellt, den die Bundesstaaten
in Gestalt blühender Rinder umgeben. Goldiges und farbiges
Licht strömt in breiten Massen durch die herrlichen Glasfenster-
kompositionen in das Innere der Halle, die feierlich-schöne
Architektur mit einer weihevollen Stimmung umgebend, die jeden
Beschauer sofort gefangen nimmt. Diese Glasfenster, welche in
Farben und Technik sowohl wie in der Zeichnung und Erfin-
dung ganz Hervorragendes bieten, stammen von der Hand des
Meisters Alexander
Linnemann in Frank-
furt a. M., welcher noch
zwei andere Glasge-
mälde dieses Maßstabes
in der korridorartigen
Halle geschaffen hat,
welche den Verbindungs-
weg über die Nordvor-
halle hinweg zwischen
dem östlichen und west-
lichen Theile des Ge-
bäudes bildet. Hier sind
zwei große farbenpräch-
tige Allegorien, auf die
Eintracht und die Zwie-
tracht bezüglich, ge-
schaffen worden. In
einer friedlichen Land-
schaft sind zwei Männer
dargestellt, welche das
Gelübde der Treue und
der Eintracht unter dem
Laubgezelt eines Bau-
mes durch Händedruck
bekräftigen. Ein Engel,
welcher im oberen Rund-
bogentheile des Fensters angebracht ist und welcher ein Schild
trägt mit der Inschrift: „Oonooräis, res parvao orssonnt",
schwebt als guter Genius über ihnen, während die Seitentheile
des Fensters mit einer Borte umrahmt sind, welche flöten- und
schalmeienblasende Lngelsfiguren zur Darstellung bringt. Line
goldige und lichte rafaelische Empfindung geht durch die reine
und hoheitsvolle Romposition.

In einem karakteristischen Gegensatz dazu steht das Glas-
fenster, welches die Zwietracht veranschaulichen soll. Lin Mann
in blutrothem Gewands und eine Frauengestalt mit einer Zacken-
krone stehen in feindseliger Haltung und abgewendet gegen einander
neben dem Stumpf eines entblätterten Baumes, um den sich der
Dämon der Zwietracht in Gestalt einer Schlange ringelt. Den
höllischen Unfrieden und seine Folgen versinnbildlicht eine Satans-
gestalt, welche im oberen Theile des Fensters angebracht ist, mit
der Inschrift: „Visoorclia maximas clilabnntnr". Selbst die
Borte um das Fenster herum ist karakteristisch ausgebildet. Sie
enthält Dämonen- und Teufelsfratzen von überzeugendem Rarakter-
ausdruck.

Bewegten sich die eben geschilderten Räume mehr im Gebiet

der idealen Architektur, so tragen einen mehr bürgerlichen, man
möchte sagen: persönlichen Rarakter diejenigen Räume, welche
für den unmittelbaren und täglichen Gebrauch der Abgeordneten
an der Hauptfront des Gebäudes am Rönigsplatz angeordnet sind.
Es sind dies zunächst der Schreib- und der Lesesaal für die Ab-
geordneten, andererseits die Erfrischungsräume, welche — wie der
Name besagt — zu Restaurationszwecken dienen.

Schreib- und Lesesaal sind beide von der Firma A. Bembs
in Mainz nach Skizzen des Meisters hergestellt worden und zeigen
eine prunkvoll schöne Holzarchitektur in reicher Renaissance-Formen-
durchbildung. Der Schreibsaal ist achteckig und enthält in
seinen acht Ecken Nischenbildungen mit flankirenden Säulen und
krönenden Puttenfiguren, welche zur Aufnahme von Statuen dienen,
die sich auf Handel und Industrie beziehen. Ein mächtiger Ramin
von schwarzem pyrenäenmarmor ziert das Ganze; die Decken
sind in diesem wie im nächsten Raum in reichster, fast in zu
schwerer Weise ausgeführt worden. Bronze-Rosetten, die in
einigen Feldern angebracht sind, bilden die sehr nothwendige Glie-
derung für die schweren
braunen Holzmasfen.

Der Lesesaal selbst
enthält einen putten-
fries am oberen Ab-
schluß der Wand, wel-
cher von Professor Max
Roch in Berlin stammt;
darunter sollen später
Gemälde von deutschen
Landschaften ihren Platz
finden. Was diese
Räume ebenso wie einige
andere Haupträume des
Gebäudes besonders
auszeichnet, sind wunder-
voll komponirte, von der
Firma L. Riedinger
in Augsburg stammende
Rronleuchter, von denen
Abbildung Nr. 80 eine
Vorstellung gibt, und
welche, selbstverständlich
für elektrisches Licht ein-
gerichtet, auf den Prin-
zipien mittelalterlicher
Ringkronen für kirch-
liche Zwecke aufgebaut find. Diese Rronleuchter zeigen in ihrer
reichen Durchbildung eine vollendete Sicherheit des Rönnens in
zeichnerischer und technischer Beziehung.

Die Erfrischungsräume werden zunächst von einem acht-
eckigen Ecksaal (Beilage III) gebildet, der der Lage nach dem
Schreibsaal, an der nördlichen Ecke der Front entspricht und welcher
eine reiche Holzausbildung der Wände und ein walmartiges Ge-
wölbe erhalten hat, das in Stuck aufgetragene Verzierungen zeigt,
welche die vier Elemente zur Darstellung bringen. Der künstlerisch
überraschendere Raum ist jedoch der langgestreckte Saal, welcher
von einem Rorbbogen-Tonnengewölbe überdeckt wird und welchen
die Abbildungen Nr. 60 und 62, sowie die Beilage 1 in vor-
züglicher Weise zur Anschauung bringen; er erinnert in dieser Form
an die mächtigen Reller der Vorzeit, welche ebensolchen Zwecken
dienten. Das Buffet, die Thürausbildungen und die panneele
ebenso wie das große Portal, welches zu dem achteckigen Eckraum
führt, bilden wahre Rabinetstücke der Holzarbeit. Sie stammen
aus dem Atelier des weltbekannten Meisters A. pössenbacher,
München und bilden hervorragende Leistungen deutschen Runstfleißes.
Was jedoch am meisten überrascht, ist die Bemalung der Decke,

Abildung Nummer S8. Nördliches Sandstein - Portal iud der Süd-Vorhalle
Eingang znm Vorsaal für den Bundesrath.
 
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